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Priorin Irene: «Für mich ist Ungewissheit Glauben pur»
Episode 2228th March 2024 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:30:25

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Shownotes

Irene Gassmann ist seit zwanzig Jahren Priorin des Klosters Fahr. Doch von Amtsmüdigkeit keine Spur. Sie spricht offen über das Leben im Kloster und setzt sich trotz Widerstand ein für Erneuerung und Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche. Sie sagt: «Vielleicht muss die Kirche noch mehr zerfallen, damit etwas Neues entstehen kann.»

Themen dieser Folge:

  • Wie die Priorin Entscheidungen fällt
  • Das Zusammenleben der 17 Benediktinerinnen im Kloster Fahr
  • Der Besuch von Kardinal Mario Grech, Präsident der Weltsynode, löst Ohnmacht aus
  • Liturgische Kreativität: Frauen werden ermächtigt
  • Zukunft des Klosters Fahr: Das Nachwuchsproblem ist ungelöst
  • Wohnungen anstelle der Bäuerinnenschule: die Kriterien für Mieter:innen
  • Das Buch zum 888-Jahr-Jubiläum von Susann Bosshard-Kälin: Im Fahr. Die Klosterfrauen erzählen aus ihrem Leben. Fotografien von Christoph Hammer. Verlag Hier + Jetzt, Baden 2018

Transcripts

Priorin Irene [:

Ja, vielleicht muss die Kirche wirklich noch mehr runterkommen, mehr zerfallen, damit etwas Neues entstehen kann. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Kirche nicht glaubwürdig ist – gerade in unserer Gesellschaft –, wenn Frauen nicht gleichberechtigt sind. Das ist für mich ein Grundanliegen. Ich denke, das ist auch ein Anliegen des Evangeliums, dass die Menschen in ihrer Würde, mit ihren Fähigkeiten und Charismen ernst genommen werden.

Sandra Leis [:

Das sagt Irene Gassmann. Sie ist seit 20 Jahren Priorin des Klosters Fahr, das in der Nähe von Zürich im Limmattal liegt. Im Podcast «Laut + Leis» schauen wir zurück und nach vorn. Wie hat sich das Kloster verändert, seit Irene Gassmann Priorin ist? Was sind ihre Herausforderungen? Wie fällt sie Entscheidungen? Was gibt ihr Kraft? Und wie sieht die Zukunft des Klosters aus? Ich bin Sandra Leis und besuche Priorin Irene Gassmann im Kloster Fahr. Herzlich willkommen zu unserem Gespräch.

Irene Gassmann, vor 20 Jahren sind Sie zur Priorin ernannt worden. Das ist eine lange Zeit. Gibt es bei Ihnen so etwas wie Amtsmüdigkeit?

Priorin Irene [:

Bis jetzt zum Glück nicht. Ich sorge auch vor. Ich schaue auch zu mir. Ich hatte nach der dritten Amtsdauer, ich bin jeweils für sechs Jahre gewählt, hatte ich den Wunsch, eine längere Auszeit zu machen. Das war 2018. Da konnte ich drei Monate eine Auszeit nehmen. Das hat mir sehr gutgetan.

Sandra Leis [:

Damals waren Sie 38 Jahre alt. Mit welcher Vision haben Sie diese Aufgabe, Priorin zu sein, angepackt?

Priorin Irene [:

Meine Vision: Wir hatten den Auftrag vom Abt Martin, dass jede Schwester ihre Vision für das Kloster formuliert. Meine Vision war und ist es immer noch Frauen, die das Leben lieben. Und das lässt natürlich sehr viel Spielraum. Es ist vieles drin, was mir wichtig ist: Frauen und auch das Leben lieben.

Sandra Leis [:

Und wie sind Sie mit den Visionen Ihrer Schwestern umgegangen? Hat das gepasst?

Priorin Irene [:

Das hat gepasst. Das war zum Teil auch bei einzelnen Schwestern viel konkreter. Das ist dann eher manchmal auch nicht erfüllbar, wenn man sich wünscht, dass auch in zehn Jahren viele Novizinnen da sind. So etwas erfüllt sich nicht so, und wenn eine Vision möglichst offen ist, dann gibt es auch Spielraum für Überraschungen. Und die Vision bleibt immer noch.

Sandra Leis [:

Und wenn Sie jetzt Ihr persönliches Leben anschauen, haben Sie vor, mit 65 in eine Art Pensionierung zu gehen?

Priorin Irene [:

Nein, im Kloster wird man nicht einfach mit 64oder 65 pensioniert. Das habe ich auch nicht. Wenn ich gesund bin und die Kraft habe, dann mache ich das Amt weiter, solange auch die Gemeinschaft das wünscht. Ich bin, wie gesagt, immer für sechs Jahre gewählt. Das gibt dann immer so auch eine Zeit der Reflexion und wieder Bereitschaft, gegenseitig miteinander weiterzugehen.

Sandra Leis [:

Und gewählt werden sie von den Benediktinerinnen?

Priorin Irene [:

Von den Mitschwestern hier im Fahr und der Abtei, weil wir zu Einsiedeln gehören. Der Abt hat das Recht, die Priorin zu ernennen auf die Wahl hin. Das ist eigentlich eine so genannte Vorschlagswahl der Schwestern. Und wenn er klug ist, dann ernennt er diejenige, die die Schwestern vorschlagen.

Sandra Leis [:

Bis jetzt war er ja klug und hat das so gemacht. Also wenn man sich für ein Leben im Kloster entscheidet, dann entscheidet man sich ja primär für ein Leben mit Jesus Christus. Man fokussiert das eigene Leben auf ihn. Gleichzeitig müssen die Schwestern oder die Mönche in einem Männerkloster auch miteinander auskommen. Man hat sich ja nicht gewählt für diese Gemeinschaft. Ich muss ehrlich sagen, das stelle ich mir sehr anspruchsvoll vor.

Priorin Irene [:

Ja, das ist anspruchsvoll. Daran kann man auch wachsen. Sich selber kennenzulernen, auch im Umgang miteinander. Was die anderen einem spiegeln und einfach auch immer wieder zu lernen. Ja, wir sind gemeinsam auf dem Weg. Wir haben die gemeinsame Mitte, das gleiche Ziel. Wir üben auch immer wieder, einander zu verzeihen, einander anzunehmen mit unseren Schwächen, Fehlern, Charaktereigenschaften. Wir sind verschieden. Wir haben unterschiedliche Vorstellungen. Ich denke, das ist eigentlich wirklich das Umfeld, um geistlich wachsen zu können. Wenn man sich dem auch immer wieder ehrlich stellt.

Sandra Leis [:

Können Sie sich auch an einen Konflikt erinnern, der Ihnen wirklich zu schaffen gemacht hat?

Priorin Irene [:

Ja, bei uns ist schon immer so ein Thema. Das ist im Chor-Gebet – etwas, was uns heilig und wichtig ist. Und da einfach zu spüren, dass das auch ein Ort ist. Ein sehr sensibler Ort. Und die einen möchten schneller singen, längere Pausen machen und sich da immer wieder zu finden und sich nicht gegenseitig auch zu verletzen, eben weil das gerade ein heiliger Moment ist. Das ist manchmal eine große Herausforderung.

Sandra Leis [:

Kam es auch schon mal zu einer Trennung, dass eine Schwester sich entschieden hat, das Kloster zu verlassen? Das ist ein ganz heikler Moment. Man hat das jetzt gerade im Kloster Engelberg gesehen, wo ein Mönch ausgetreten ist und klagt wegen Mobbing.

Priorin Irene [:

Ja, ich habe schon mehrmals auch erlebt, dass Schwestern weggegangen sind. Nicht weil wir Streit hatten, sondern weil die Schwestern sich anders entwickelt oder weiterentwickelt haben und dann sowie gespürt haben, das geht für mich nicht mehr. Und das zeigt sich dann oftmals auch in der Gesundheit. Und Gott hat uns zu einem Leben in Fülle berufen, nicht um dahinzuvegetieren. Und daher finde ich das auch richtig, wenn jemand spürt, ich kann mich hier nicht mehr entfalten. Ich kann hier eigentlich nicht mehr leben. Dass dann jemand auch die Möglichkeit hat, den Weg wieder draußen in der Welt weiterzuführen.

Sandra Leis [:

Als Priorin sind Sie auch Managerin. Sie leiten hier einen ganz großen Betrieb. Sie fällen Entscheidungen. Das gehört zu Ihren Aufgaben. Und eine große Entscheidung haben Sie vor gut zehn Jahren gefällt. Sie haben die berühmte Bäuerinnenschule geschlossen. Sie haben die Schule besucht, als Sie eine junge Frau waren, und später haben Sie sie geleitet. Priorin Irene, wie findet der Entscheidungsprozess bei Ihnen statt?

Priorin Irene [:

Das ist einerseits so ein persönlicher Prozess. Jetzt gerade in der Leitung, in der Verantwortung ist man ja auch immer etwas voraus. Man muss vorausdenken. Benedikt sagt, dass in seiner Regel der Abt oder die Priorin soll mehr vorsehen als vorstehen oder herrschen. Das gehört dazu. Wenn ich so innerlich spüre, in welche Richtung es gehen kann, ist es dann auch gut, mit Menschen, mit denen ich Vertrauen habe, auch darüber zu sprechen und dann möglichst bald auch die Schwestern einzubeziehen. Gerade in der Schule, da waren es diejenigen, die in der Schule auch tätig waren. Sie in einem ersten Schritt abzuholen. Wie ist die Stimmung, wenn sie sich das vorstellen, die Schule zu schließen und dann eigentlich von innen nach außen zu kommunizieren und das abzuholen. In welche Richtung wollen wir gehen? Im Kloster entscheiden wir gemeinsam. Also wir hören aufeinander. Und Benedikt sagt klar, der Abt oder die Priorin muss dann entscheiden. Aber es ist wichtig, dass das auch breit abgestützt ist.

Sandra Leis [:

Ein Mehrheitsentscheid wird es trotzdem nicht sein. Am Schluss müssen ja doch Sie entscheiden.

Priorin Irene [:

Doch wir machen Abstimmungen. Wir haben so ein Gefäß mit weißen und schwarzen Kugeln. Und dann sehen wir, es ist eine große Mehrheit. Es ist sogar einstimmig, je nachdem. Das gibt dann auch so die Gewissheit. Ja. Und bei uns ist es dann, wenn es größere strategische, wirtschaftliche Entscheide sind, dann müssen auch die Gremien in Einsiedeln mit einbezogen werden. Und das ist dann schon breit abgestützt, so ein Entscheid.

Sandra Leis [:

Wir beide haben uns vor gut vier Jahren zum ersten Mal gesehen, da haben wir eine Sendung gemacht für SRF. Und jetzt habe ich mich ja neu vorbereitet für diesen Podcast und war erstaunt, wie viel da passiert ist in diesen vier Jahren, in denen wir uns nicht gesehen haben. Also aus dem Bauernhof, der ist verpachtet worden und wurde auf Bio umgestellt. Und die wohl größte Veränderung: aus der Bäuerinnenschule, von der wir gerade gesprochen haben, da sind jetzt Wohnungen entstanden und eine WG. Das ist noch kein Jahr her, seit die Mieterinnen und Mieter eingezogen sind. Welche Kriterien müssen die Menschen erfüllen, die hier jetzt leben?

Priorin Irene [:

Ich muss vorausschicken, dass nicht wir entscheiden, wer hier einziehen darf. Das ist ganz wichtig, weil das Schulgebäude haben wir abgegeben im Baurecht und der Verein erfahrbar trifft die Auswahl der Mieter und Mieterinnen. Wir sind nicht zuständig. Und da bin ich auch froh, weil die müssen miteinander leben. Ich weiß, dass sie darauf schauen, dass jemand die Werte, die sie für sich formuliert haben, einhält. Sie orientieren sich einerseits an den christlichen Werten, aber auch dann an den benediktinischen Werten, dass die Menschen miteinander und auch füreinander da sein wollen, dass sie auch Gott suchen, dass Gott in ihrem Alltag, in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Wichtig ist auch, bei der Auswahl zu schauen, dass es eine Mischung gibt von Generationen und von Konfessionen, weil es ist ein christliches Mehrgenerationenwohnen. Und da ist es manchmal auch schwierig. Man hat eine Wohnung und hat die anzubieten und dass dann wirklich noch jemand kommt. Manchmal fehlt das Puzzleteil, das passt. Da müssen sie manchmal auch Kompromisse eingehen.

Sandra Leis [:

Sie haben von den Konfessionen gesprochen, von den christlichen. Irgendwo habe ich gelesen, auch freikirchlich orientierte Menschen sind erwünscht. Hat das geklappt? Haben Sie Menschen gefunden aus Freikirchen, die jetzt hier leben?

Priorin Irene [:

Es sind aus verschiedenen Freikirchen lebende Menschen hier. Ich muss sagen, dass ich nicht genau weiß, wer gehört welcher Kirche oder Konfession an, wir machen gemeinsame Aktivitäten und da steht dann wirklich auch das Menschliche im Vordergrund.

Sandra Leis [:

Hat sich das Klosterleben verändert? Und wenn ja, wenn ja, wie?

Priorin Irene [:

Ich merke, dass uns diese Nachbarschaft guttut. Das Leben, das wieder hier eingekehrt ist. Es war zehn Jahre fast mehr oder weniger unbewohnt und wir waren eigentlich nur die Klostergemeinschaft auf dem Areal, und jetzt hat es elf kleine Kinder, die hier wohnen, und die Kinder, die geben auch wirklich frisches Leben auf das Areal. Und ich merke gerade auch, wie ältere Schwestern, wenn sie im Garten spazieren, die können minutenlang den Kindern zuschauen, wie die auf der Rutschbahn spielen und dass das eigentlich auch für die Schwestern schön belebend ist, so das junge Leben wieder zu spüren.

Sandra Leis [:

Von den Schwestern, von den Benediktinerinnen leben 17 hier. Eine Benediktinerin ist im Pflegeheim, und Sie selber werden bald 59 Jahre alt, sind die Jüngste. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Nachwuchs denken?

Priorin Irene [:

Wenn ich an die Zukunft denke. Ich formuliere das eher so Ja, ich denke, das ist eine Herausforderung. Die Situation, einfach seit Jahren kein Nachwuchs zu haben. Mir hilft dabei der Gedanke, dass bei Übergängen in der Heilsgeschichte in der Bibel oftmals betagte Menschen standen, also Abraham und Sara, Elisabeth und Zacharias, Hanna und Simeon im Tempel. Und dann denke ich: Ja, wir haben eine ganz kostbare, wertvolle Zeit zu gestalten, jetzt mit diesen betagten Mitschwestern. Wir stehen an einem Wendepunkt. Es verändert sich etwas, es ist etwas im Wandel, aber wir wissen noch nicht, was kommt. Und seit mir das so bewusst ist, hat das Leben eine neue Qualität, eine Sorgfalt, weil wir wirklich diese spezielle Zeit gestalten dürfen. Was nachher kommt, das weiß ich auch nicht. Und das ist für mich wirklich Glauben pur. Wir leben jetzt. Wir bereiten Boden, unsichtbar, spirituell für etwas, was nachher kommt. Und einfach auch so die Offenheit zu haben für Neues, wie wir das jetzt eben am Beispiel der Bäuerinnenschule sehen. Wir wissen nicht, was kommt. Das macht uns stark. Das hilft mir auch immer wieder, das zu sehen.

Sandra Leis [:

Wie meinen Sie das? Das macht uns stark.

Priorin Irene [:

Wer weiß denn, ob es schlechter kommt? Wir wissen es nicht. Und sich nicht da in diesem, in diesem Mangel aufzuhalten. Sondern jetzt leben in der Offenheit, dass das, was kommt, gut ist.

Sandra Leis [:

Aber im schlimmsten Fall könnten Sie sich auch vorstellen, dass es irgendwann keine Schwestern mehr gibt, die immer hier leben.

Priorin Irene [:

Das ist durchaus möglich. Das zeigt ja auch die Kirchengeschichte, dass es große Klöster gab, die heute Museen sind, Ruinen sind. Ja, das ist liegt nicht in unserer Hand.

Sandra Leis [:

Es gibt ja noch die Oblatinnen. Das sind Weggefährtinnen, das sind Frauen, die verpflichten sich der benediktinischen Regel, sind mit diesem Kloster oder mit einem Kloster, das sie wählen, sehr, sehr eng verbunden. Aber sie leben nicht hier. Sie leben ihr bürgerliches Leben, wenn ich das mal so formulieren darf. Wäre das denn eine Zukunftsvision?

Priorin Irene [:

Ich denke, das ist eine Form, aber dass das möglich ist, braucht es eben auch eine Gemeinschaft, wo sie sich anbinden können. Es braucht eine Kerngemeinschaft, damit ein weiterer Kreis sich bilden kann. Ja, und vielleicht entstehen gerade dadurch auch neue Modelle. Es gibt ja auch in Zürich das Stadtkloster. Es gibt heute verschiedene so kleine Projekte und ich denke ja, wir sind hier ein Kloster, ein traditionelles Kloster mit heute doch noch einer recht großen Gemeinschaft. 18 Schwestern, das ist doch eine große Gemeinschaft. Ja, was in 20 Jahren ist: Ich bin auch gespannt.

Sandra Leis [:

Das ist gut. Also, Sie können sehr gut mit Ungewissheit umgehen.

Priorin Irene [:

Ja, weil ich das eben auch spannend finde. Was geschieht, was kommt? Ich. Ja, ich denke, das ist immer auch schön, wenn Neues entsteht, was wir nicht schon wissen.

Sandra Leis [:

Zum 888.-Jahr-Jubiläum im Jahr 2018 ist ein schöner Schwarzweiß-Fotoband erschienen, in dem die Schwestern porträtiert werden. Und natürlich auch Sie. Priorin Irene, da zitiere ich gerne Sie, Sie sagen: «Die katholische Kirche hat nur Zukunft, wenn sie von Frauen und Männern gemeinsam getragen und geleitet wird.» Und kürzlich doppelten Sie in einem Interview mit dem Aargauer Pfarrblatt Horizonte nach. Noch mal Zitat: «Unsere Kirche ist krank. Erst wenn Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten in allen Diensten und Ämtern haben, kann die Kirche wieder Strahlkraft bekommen.» Das sind sehr klare, deutliche Worte. Glauben Sie daran, dass die Institution Kirche reformierbar ist?

Priorin Irene [:

Im Moment bin ich nicht mehr so zuversichtlich wie auch schon. Ich war dieser Tage an einer Begegnung mit Kardinal Grech. Er ist der Präsident der Weltsynode. Ich hatte sehr viel Hoffnung an diesen synodalen Prozess und musste jetzt spüren, dass in Rom unsere Anliegen, auch unsere Realität hier in der Schweiz keine Beachtung findet. Und das merke ich jetzt im Moment bin ich schon ein bisschen ohnmächtig. Ja, ich weiß nicht, ob die Institution Kirche bereit ist, diese Veränderungen anzugehen. Ja, vielleicht muss die Kirche wirklich noch mehr herunterkommen, mehr zerfallen, damit etwas Neues entstehen kann. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Kirche nicht glaubwürdig ist, gerade eben in unserer Gesellschaft, wenn Frauen nicht gleichberechtigt sind. Also das ist für mich ein Grundanliegen, ein Anliegen des Evangeliums. Auch, dass die Menschen in ihrer Würde mit ihren Fähigkeiten und Charismen ernst genommen werden.

Sandra Leis [:

Das hat ja auch bei anderen Frauen für Ernüchterung gesorgt. Es war ein Besuch in Bern, er war ja in Bern, Kardinal Mario Grech. Glauben Sie, es wird vielleicht mal möglich sein, diese Regionalisierung, dass diese mal umgesetzt wird? Es ist ja auch schon ein sehr, sehr alter Vorschlag. Aber anders kann es fast nicht gehen.

Priorin Irene [:

Ja, das ist eine Möglichkeit. Und vielleicht ist das die Möglichkeit der Synode, im Oktober für verschiedene Themen eine Dezentralisierung zu bringen, dass das dann auch Schritte in einzelnen Regionen ermöglicht.

Sandra Leis [:

Aber über die Frauenfrage soll ja nicht abgestimmt werden. An der Synode, meine ich jetzt kann im Oktober.

Priorin Irene [:

An der Synode kann generell nichts entscheiden. Sie macht Vorschläge an den Papst, und der Papst ist dann noch frei. Und ja. . .

Sandra Leis [:

Sie haben vorhin das Wort Schritte gebracht. Sie selber haben, das war vor fünf Jahren, das Donnerstagsgebet initiiert, das öffentliche Donnerstagsgebet hier im Kloster Fahr, wo Sie für Frauenrechte und für die Erneuerung der römisch-katholischen Kirche sich einsetzen. Wo steht dieses Projekt jetzt, fünf Jahre später, dieses Donnerstagsgebet?

Priorin Irene [:

Ja, ich habe gemerkt, dass geradezu nach fünf Jahren auch mit dieser Corona-Pandemie das hat das Gebet ein bisschen gelähmt. Also es ist ein bisschen eingeschlafen, teilweise. Und andererseits habe ich jetzt gerade festgestellt, dass es in Deutschland verschiedene Orte gibt, wo das neu aufgenommen wird. Und wir sind dabei jetzt so nach fünf Jahren beten, dass wir ein prophetisches Dankgebet formulieren möchten, so nach fünf Jahren bitten, auch so nach vorne zu schauen und sagen es gibt doch Punkte, für die sind wir dankbar. Mutig auch danken für die Schritte, die jetzt noch nicht umgesetzt sind.

Sandra Leis [:

Verzweifeln Sie nicht manchmal, dass es nicht schneller vorwärtsgeht?

Priorin Irene [:

Ich habe einen langen Atem, und ich bin froh, dass ich auch ein Netzwerk habe, dass ich auch meine Mitschwestern habe. Dass wir gemeinsam auf dem Weg sind, auch mit diesem Anliegen, mit diesem Gebet, das stärkt immer wieder. Manchmal bin ich entmutigt und andere sind dann wieder mutiger. Und so können wir uns gegenseitig immer wieder stärken. Alleine würde ich schon längstens aufgeben. Es kommt noch hinzu, dass im Moment ja auch in unserer Welt auch andere Anliegen sehr wichtig sind zum Beten. Vielerorts ist das Donnerstagsgebet einem Friedensgebet gewichen. Finde ich auch sehr wichtig. Ich denke, es gibt einfach im Moment sehr viele Gründe und Anliegen für Gebete. Aber man kann das auch miteinander verbinden.

Sandra Leis [:

Und wo sehen Sie als Benediktinerinnen die größte Kraft des Gebetes?

Priorin Irene [:

Für mich ist die größte Kraft schon das Stundengebet, das wir haben, das wir täglich mehrmals uns zum Gebet versammeln. Und das sind Psalmen. Immer dieselben. Die Auswahl ist nicht so groß. 150 Psalmen. Und doch sind das für mich Gebete aus dem Leben. Und es gibt immer wieder ein Psalmvers, der mich anspringt. Und ich spüre, das ist genau das, was ich jetzt brauche. Und so diese Regelmäßigkeit, dieser Rhythmus während dem Tag, der Woche, das ist etwas vom Wertvollsten für mich, was ich nicht missen möchte, weil ich da einfach auch immer wieder zur Ruhe komme, Kraft tanken kann, um weiterzugehen.

Sandra Leis [:

In der Rolle als Priorin. Sind Sie auch ein Alphatier. Das müssen Sie sein, um das alles hier leiten zu können. Da tragen Sie eine große Verantwortung. Als Frau und gläubige Katholikin wird von Ihnen sehr viel Geduld verlangt. Wie bringen Sie diese beiden Eigenschaften miteinander in Einklang? Oder stören die sich manchmal auch?

Priorin Irene [:

Ich merke, dass wichtige Projekte Zeit brauchen. Das habe ich jetzt gelernt mit unserem Strategieprozess, mit den Gebäuden und Betrieben. Und ja, es braucht Geduld, langer Atem. Und gleichzeitig braucht es immer auch so die Etappen, die Schritte, die sichtbar sind. Ich bin schon auch jemand, die gerne so Teilerfolge sieht, damit ich weitergehen kann. Ich finde das Etappieren sehr wichtig oder auch das Reflektieren, um zu schauen, was haben wir erreicht und was sind nächste Schritte.

Sandra Leis [:

Aber gerade in der Frauenfrage sehe ich jetzt diese Etappen nicht.

Priorin Irene [:

Ja, im Großen ist das wirklich schwierig. Und da merke ich für mich, da habe ich jetzt auch als Priorin, als Benediktinerin auch eine Möglichkeit zu schauen, was ist unser Raum, dass wir diesen Raum auch nutzen, diesen Raum bespielen, beleben, um auch kreativ zu sein, gerade auch in der Liturgie: da neue Formen zu erproben, zu entwickeln, dran zu bleiben. Und das macht dann auch Freude. Manchmal muss man einfach auch sehen, was können wir machen und nicht immer nur bei dem stehenbleiben, was noch nicht geht.

Sandra Leis [:

Sie machen mich gerade neugierig. Was machen Sie in der Liturgie? Wo sind Sie kreativ? Was probieren Sie alles aus?

Priorin Irene [:

Also wir machen bei uns viel Wort-Gottes-Feiern mit Zeichen, Handlungen. Wir haben neu eine Stärkungsfeier entwickelt. Es ist zwar bei uns so üblich im März war es eine allgemeine Krankensalbung zu machen für die betagten Krankenschwestern. Manche wollten das so als Stärkung. Und jetzt habe ich zusammen mit zwei Theologinnen, einer Professorin für Liturgie, eine Feier entwickelt, eine Stärkungsfeier, um eigentlich das, was der Sinn ist, was wir bisher unter dem Sakrament Krankensalbung gemacht haben, ein eine neue Form zu entwickeln. Und das finde ich ganz schön, auch mit den Schwestern, so dass im geschlossenen Rahmen auch solche Formen auszuprobieren.

Sandra Leis [:

Das heißt, für diese Gottesdienste brauchen Sie dann auch nicht einen Bruder aus Einsiedeln, der vorbeikommt, weil die Sakramente dürfen Sie ja nicht erteilen. Da muss jemand von Einsiedeln kommen. Das ist ja heute noch so und auch für die Eucharistiefeier. Aber offenbar gehen Sie weg von der Eucharistie, ein Stück weit.

Priorin Irene [:

Ja, wir suchen auch neue Formen, die wir selbstständig gestalten können. Wir sind nicht zur Ordnung zurückgegangen wie vor Corona, sondern wir haben seither am Sonntag Eucharistiefeier und am Dienstag. Und ich muss noch sagen, dass wir seit 2006 schon dreimal in der Woche eine Kommunionfeier gestalten, die wir selber, wir Frauen gestalten. Und da merke ich schon, das macht auch etwas mit uns. Das ermächtigt uns auch, wenn wir miteinander feiern können und nicht, wenn ein Mitbruder von außen kommt und vorsteht. Ich merke, das tut uns gut, das stärkt uns als Gemeinschaft. Eine weitere Form, die wir anstelle einer Eucharistiefeier jeweils am Donnerstag machen, das ist ein Bibelteilen, das Wort Gottes teilen. Und da habe ich auch gemerkt, wie wertvoll das ist. Das stärkt die Mitschwestern, sprachfähiger zu werden über Texte, über Erfahrungen, Erkenntnisse in der Heiligen Schrift.

Sandra Leis [:

Priorin Irene. Vielen herzlichen Dank für Ihre Ausführungen und auch Ihre Kreativität.

Priorin Irene [:

Sehr gern geschehen.

Sandra Leis [:

Das war die 22. Folge des Podcast «Laut + Leis». Zu Gast war Irene Gassmann. Sie ist seit zwanzig Jahren Priorin des Klosters Fahr und hat darüber gesprochen, wie sich das Kloster kontinuierlich weiterentwickelt und wie sie sich trotz Widerstand für Erneuerung und Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche einsetzt. Wenn Ihr, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, uns Feedback geben wollt, bitte per Mail an podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83. Und damit ihr immer auf dem Laufenden seid, abonniert gerne den Podcast.

In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich mit dem Theologen und Publizisten Michael Meier über sein neues Buch mit dem Titel «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist». Bis in zwei Wochen. Und bleibt laut und manchmal auch leise.

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