Vor kurzem hat das Kinderhospiz Allani in Riedbach bei Bern den Betrieb aufgenommen. Der Geschäftsführer André Glauser sowie der römisch-katholische Seelsorger und Stiftungsrat Patrick Schafer erzählen von Herausforderungen und Glücksmomenten.
Themen dieser Folge:
Die Hemmschwelle muss abgebaut werden. Hospiz ist immer noch ein Sterbehospiz in den Gedanken vieler Eltern. Und diese Hemmschwelle gilt es zu überbrücken. Und da ist viel Aufklärung nötig, dass Kinderhospize nicht Sterbehospize sind per se. Es darf gestorben werden in einem Kinderhospiz. Aber in der Regel wird hier gelebt.
Patrick Schafer [:Auch durch persönliche Kontakte werden 500’000 Franken nicht einfach so locker gesprochen, sondern es muss überzeugen. Und das ist uns zum Glück auch gelungen. Wir konnten überzeugen, so dass die Katholische Kirche Region sich dazu entschlossen hat, uns dieses Geld zu sprechen.
Sandra Leis [:Das ist der Podcast «Laut und Leis». Ich bin Sandra Leis und besuche das erste Kinderhospiz der Schweiz, das vor kurzem seinen Betrieb aufgenommen hat. Meine beiden Gäste sind: André Glauser. Er ist Geschäftsführer des Kinderhospiz Allani in Riedbach bei Bern. Und Patrick Schafer: Er ist Co-Leiter des Pastoralraums Region Bern und arbeitet als Seelsorger im Inselspital. Zudem ist er Stiftungsrat des Kinderhospiz und wird auch erzählen, welche Rolle die Katholische Kirche Region Bern gespielt hat, damit das Kinderhospiz gegründet werden konnte. Herzlich willkommen. Schön sind Sie beide da und haben Zeit für dieses Gespräch. Das Kinderhospiz Allani. Das befindet sich in einem umgebauten Bauernhaus. Hier sitzen wir nun auch miteinander. Seit zwei Monaten läuft der Betrieb. André Glauser, Sie sind als Geschäftsführer und täglich hier vor Ort. Wie tauglich ist dieses Bauernhaus im Alltag?
André Glauser [:Es bietet Wärme, Geborgenheit. Insofern absolut genial. Es ist nahe bei der Insel, und wir finden, es ist das ideale Zuhause für diesen Zweck.
Sandra Leis [:Herr Schafer, Sie sind als Stiftungsrat natürlich nicht jeden Tag hier und Sie sind ja auch nicht operativ tätig. Trotzdem: Wie haben Sie die ersten beiden Monate des Betriebs erlebt?
Patrick Schafer [:Ja, diese beiden Monate, die sind waren sehr herausfordernd für den Stiftungsrat, aber vor allem auch für die Leute hier vor Ort. Es musste noch vieles angepasst werden. Es ist ein Betrieb, der von Grund auf neu aufgebaut wird. Es ist wie ein neues System, das sich zuerst ordnen muss und finden muss.
Sandra Leis [:Ein Beispiel: Was musste angepasst werden?
Patrick Schafer [:Ein Beispiel: Das ist das, was ich gehört habe. Also kleine Sachen, Schneidschbrettchen, welche plötzlich fehlten und nachgekauft werden mussten und solche kleinen Sachen. Sachen, an die man vielleicht bei der Planung nicht gerade dran gedacht hat. Es geht auch darum, im Alltag Abläufe zu bestimmen, die man dann erst im Betrieb wirklich definitiv bestimmen kann.
Sandra Leis [:Allani ist das erste Kinderhospiz überhaupt in der Schweiz. Und ich muss Ihnen schon sagen, als ich das gelesen habe, war ich verblüfft. Weshalb ist das so? Weshalb gibt es in der reichen Schweiz, hat es bis jetzt noch kein Kinderhospiz gegeben?
André Glauser [:Da könnten wir jetzt stundenlang philosophieren, debattieren. Ich glaube, auf den gemeinsamen Nenner gebracht: Die Politik hat Hospize nicht auf dem Radar gehabt, und das passiert jetzt so langsam, aber sicher. Die Politik weiß um die Bedeutung von Hospizen. Und speziell auch für Kinderhospize.
Sandra Leis [:Erwachsenenhospize gibt es mehrere in der Schweiz. Was ist der Unterschied zwischen Erwachsenen- und Kinderhospiz?
André Glauser [:Erwachsenenhospize sind wirklich da für die letzte Lebensphase. Durchschnittliche Aufenthaltsdauer: rund 22 Tage. Kinderhospize: Dort kommen Eltern mit den betroffenen Kindern. Vielleicht über mehrere Jahre für Aufenthalte nach dem Spitalaufenthalt. Es geht um Entlastung. Das heisst, diese Kinder kommen vielleicht jedes Jahr zu Allani für genau diesen Zweck, das stark betroffene Familien wieder sich finden können.
Sandra Leis [:Also Entlastung ist wichtig. Erholung ist das zentrale Anliegen des Kinderhospizes.
André Glauser [:Ja, weil diese Belastung ist gigantisch, 24 Stunden mal sieben Tage, mal vielleicht Jahre. Dass dieses Kind permanent gepflegt werden muss durch die Familie. Und das kann man sich wirklich nicht vorstellen, was das genau heißt.
Sandra Leis [:Können Sie ein Beispiel nennen von einer Familie, die jetzt hier gewesen ist?
André Glauser [:Ja, eine Mutter mit ihrem Kind, eine Tochter, 11-jährig mit generativem Muskelschwund. Und diesem Kind muss man alle 20 bis 30 Minuten Sekret absaugen, Tag und Nacht. Und die Mutter hat seit vier Jahren keine Nacht mehr durchgeschlafen. Und das war genau das Ziel, dass sie hier bei uns wieder mal durchschlafen kann. Und wir haben uns ums Kind gekümmert, Tag und Nacht.
Sandra Leis [:Das ist die Betreuung, die Sie hier liefern.
André Glauser [:Das ist eben 24-Stunden-Betreuung, und wir nehmen der Mutter mal die Verantwortung weg und das ständige Wachsein, Mithören. Wie geht es meinem Kind? Und diese Belastung, die ist riesig. Und da sind wir eben da und da entlasten wir die Frau und das ganze Familiensystem.
Sandra Leis [:Sie haben es vorhin erwähnt: Allani. Was bedeutet eigentlich dieser Name? Das ist eine Göttin der Unterwelt. So viel weiß ich. Patrick Schafer, was sagen Sie dazu? Was soll der Name Allani?
Patrick Schafer [:Ja, ich finde, der Name passt sehr gut. Es ist, wie Sie sagten, eine Göttin. Also aus dem anatolischen Bereich, 3000 Jahre vor Christus, wo es noch nicht oder noch nicht der Monotheismus herrschte. Und es ist eine Göttin, die Übergänge begleitet, also vom Leben ins Sterben. Und deshalb sie sicher auch sehr passend für dieses Kinderhospiz.
Sandra Leis [:Also der Name ist ein Stück weit auch Programm, obwohl es ja nicht nur ums Sterben geht, wie Sie ganz klar sagen. Aber man weiß, es sind Kinder, die hierherkommen und ihre Familien, bei denen man weiß, sie werden früher sterben als normale Kinder.
Patrick Schafer [:Es geht eben auch um Übergänge. Wir haben hier Familien, Kinder zu Gast. Ein Zuhause auf Zeit. Übergänge vom Spital nach Hause oder eben auch vom Leben zum Sterben. Aber nicht nur. Es ist sehr viel Leben hier im Haus. Aber es gibt auch viele Übergänge, die man da begleitet.
Sandra Leis [:Kommen wir zur Geschichte des Kinderhospizes. Vor acht Jahren wurde der Verein Kinderhospiz Allani gegründet. Und Sie, Patrick Schafer, sind ziemlich von Anfang an dabei gewesen. Nicht ganz bei der Gründung, aber einen Monat später waren Sie schon da. Was war oder was gab den Anstoß, sich für ein Kinderhospiz zu engagieren? Was war die Grundidee?
Patrick Schafer [:Die Grundidee: Es waren verschiedene Personen, die sich da gefunden haben. Eltern, die zusammen in der eigenen Familie erlebt haben, aber auch Personen, die in ihrem Berufsfeld mit dieser Thematik in Kontakt standen, stehen noch heute zum Teil und ein großes Bedürfnis gesehen haben, denn es gibt kein Kinderhospiz. Die Pflege der Kinder, die sehr aufwendig ist, 24 Stunden, meist von den Eltern oder vom Familiensystem getragen. Das war so die Hauptmotivation, da wirklich etwas aufzubauen, zu schaffen, um den Kindern, aber auch den Eltern Entlastung bieten zu können und sie zu begleiten.
Sandra Leis [:Wenn Sie an die acht Jahre Aufbauarbeit denken: Was waren die größten Hürden bei diesem Projekt?
Patrick Schafer [:Die größten Hürden waren sicher die große finanzielle Herausforderung und aber auch eine Liegenschaft zu finden. Uns wurde von Anfang an gesagt, ihr braucht ein Haus, ihr braucht ein sichtbares Zeichen, dass ihr es ernst meint und dass das nicht nur eine Idee ist, sondern auch Form annimmt. Wir hatten kein Geld und konnten so auch kein Haus kaufen. Und das war eine sehr große Herausforderung. Und wir haben von Anfang an eigentlich in all den Jahren immer wieder so stark dran geglaubt, dass es gut kommt und sind drangeblieben. Und das war unsere große Stärke.
Sandra Leis [:Diese Liegenschaft kostete viereinhalb Millionen Franken. Der Hauptgeldgeber, das ist eine Stiftung, das ist die Heinz-Schöffler-Stiftung. Sie hat 4 Millionen gegeben. Wie ist es Ihnen gelungen, einen solch großen Betrag zu bekommen? Von einer Stiftung?
Patrick Schafer [:Wir haben von Anfang an Fundraising betrieben. Natürlich haben wir in diesen Jahren auch sehr viel gelernt. Wir haben uns mit dem Projekt mitentwickelt, haben viele Stiftungen angeschrieben und dann diese Stiftung gefunden. Das war von Anfang an ein sehr sympathischer persönlicher Kontakt mit Stiftungsräten und sind dann ja wie gemeinsam auch einen Weg gegangen, so dass es dann schlussendlich zu diesem Abschluss kommen konnte.
Sandra Leis [:Ich habe dann mich auch noch ein bisschen informiert über diese Heinz-Schöffler-Stiftung. Sie war mir vorher nicht bekannt, und sie hilft Menschen in Not mit Fokus auf Blinde und auf chronisch Kranke. Das passt. Und trotzdem braucht es ja wirklich Überzeugungsarbeit. Ich meine, 4 Millionen ist ja nicht nichts.
Patrick Schafer [:Ja, Personen aus der Stiftung waren mehrmals hier, auch im Haus. Wir haben ihnen das Haus gezeigt und umgebaut.
Sandra Leis [:Es ging ja damals noch um den Kauf.
Patrick Schafer [:Es ging um den Kauf und um die Idee, was wir verwirklichen möchten. Und ja, wir sind da glücklicherweise auf offene Ohren gestoßen. Sie haben dann aber gesagt, sie möchten nicht alleine finanzieren. Und so kam dann die Katholische Kirche Region Bern mit ins Boot.
Sandra Leis [:Das ist ja ein interessanter Punkt. Sie arbeiten ja in der Katholischen Kirche Region Bern. Sind da Pastoralleiter. War es deshalb einfacher, die katholische Kirche dazu zu bewegen, eine halbe Million zu spenden? Auch das ist ein stattlicher Betrag.
Patrick Schafer [:Ja, ich arbeite bei der katholischen Kirche auf der pastoralen Seite. Und das Geld kam natürlich nicht von der pastoralen Seite, sondern von der staatskirchenrechtlichen Seite.
Sandra Leis [:Ja, das duale System in der Schweiz.
Patrick Schafer [:Genau. Und ich denke nicht, dass es einfacher war, weil auch durch persönliche Kontakte 500’000 Franken nicht einfach so locker gesprochen, sondern es muss überzeugen. Und das ist uns zum Glück auch gelungen. Wir konnten überzeugen, so dass die Katholische Kirche Region Bern sich dazu entschlossen hat, uns dieses Geld zu sprechen. Es ist aber auch so, dass das jetzt nicht ein Einzelfall ist, wenn wir. Sie haben vorhin von den Erwachsenenhospizen gesprochen in der Schweiz. Da gibt es mehrere, welche von der katholischen Kirche unterstützt wurden. Und hier Bern ist Palliative Care bei beiden Landeskirchen gut situiert. Die Kirchen engagieren sich da sehr stark und sind sehr stark im Thema mit drin.
Sandra Leis [:Und jetzt kommen wir wieder zu Ihnen, Herr Glauser. Sie sind seit 1. Mai 2021 Geschäftsführer. Und es ging ja gar nicht nur in Anführungsstrichen um den Kauf. Nachher kam der ganze Umbau, den Sie ja auch mitbegleitet haben, und der hat nochmals 5,5 Millionen Franken gekostet. Das war nicht der größte Posten. Vor Ihrer Tätigkeit hier hatten Sie verschiedene Aufgaben. Am längsten haben Sie im Bereich Sport gearbeitet, über 30 Jahre lang, und haben große Erfahrung im Sponsoring. Was hat Ihnen das geholfen, hier jetzt für das Allani auch Geld aufzutreiben?
André Glauser [:Ja, die Erfahrung hilft. Und das Netzwerk natürlich auch. Ich bin ja nicht mehr 30, insofern hat mir das geholfen. Ich habe mit so vielen Leuten über all die Jahre hinweg Kontakt gepflegt.
Sandra Leis [:Aber das war ja im Sportbereich.
André Glauser [:Schon. Man kennt sich aber, und ich kenne die Mechanismen. Sponsoring ist zwar aufgebaut auf Leistung und Gegenleistung, Fundraising ist komplett anders, und trotzdem geht es darum zu überzeugen, Werte zu leben, authentisch zu sein und die Leute abzuholen. Dass sie investieren. Und ein Thema wie das Kinderhospiz, das öffnet die Herzen. Und das ist auch etwas, das mich immer wieder fasziniert, wenn ich für Allani unterwegs bin. Diese Offenheit unserem Thema gegenüber.
Sandra Leis [:Sie haben vorhin gesagt, es gibt einen großen Unterschied zwischen Sponsoring und Fundraising. Können Sie kurz nochmals umreißen, was Sie jetzt hier beim Allani noch stärker beachten müssen als vorher in der Welt des Sports?
André Glauser [:Es sind nicht nur Unternehmen, die wir ansprechen, sondern Stiftungen und die Bevölkerung. Man muss unterschiedliche Sprachen sprechen und trotzdem immer vom gleichen reden. Und deshalb ist Fundraising sehr, sehr vielfältig. Man muss klassisches Fundraising betreiben und trotzdem schon an die Zukunft denken. Die Digitalisierung wird auch das Fundraising prägen in den nächsten Jahren. Und deshalb ist es wichtig, möglichst breit zu fahren im Fundraising. Und die Leute wie, wie gesagt, emotional abholen. Das ist das Wichtigste im Fundraising. Emotionen.
Sandra Leis [:Aber ist das gar nicht so schwierig jetzt für ein Kinderhospiz? Ein bisschen zugespitzt gesagt. Das ist natürlich ein wirklich extrem belastendes und trauriges Thema.
André Glauser [:Es ist traurig, es ist ein schweres Thema. Es ist ein Thema, darüber wird nicht gesprochen. Es ist.
Sandra Leis [:Ein Tabu.
André Glauser [:Es ist ein Tabu. Und das macht es auf der einen Seite schwierig und auf der anderen Seite erleichtert es sicher den Zugang. Aber auch dort: Fundraising in der Schweiz bedeutet, es ist ein Markt von rund 2,5 Milliarden Franken. Es gibt so viele gute Institutionen, die Geld verdienen, also diese Unterstützung verdienen. Und deshalb ist es nicht einfach, als neue Institution dort Fuß zu fassen.
Sandra Leis [:Weil Sie im selben Kuchen nach Geld suchen müssen. Wir haben es gesagt: Kauf der Liegenschaft, Umbau der Liegenschaft, und jetzt geht es noch um den Betrieb, und der kostet jährlich rund 3 Millionen Schweizer Franken. Sie haben mir gesagt im Vorgespräch, der Betrieb sei gesichert jetzt die ersten beiden Jahre. Was nachher kommt, weiss man noch nicht. André Glauser, was erwarten Sie von der Politik?
André Glauser [:Ich erwarte grundsätzlich nichts, weil sonst wird man enttäuscht. Wir haben Hoffnungen. Wir sind bestrebt, mit der Politik Wege zu suchen. Sei es im Kanton oder auf Bundesebene. Und es ist erfreulich, wie sich das in den letzten Wochen und Monaten entwickelt hat.
Sandra Leis [:Können Sie ein bisschen genauer werden? In welche Richtung, oder wie könnte das künftig aussehen? Weil das Gesundheitswesen ist ja bei den Kantonen lokalisiert.
André Glauser [:Richtig. Und deshalb ist folgendes ganz wichtig: Vor einem Jahr hat der Grosse Rat eine Motion verabschiedet mit überwiegender Mehrheit. Und diese Motion verpflichtet den Regierungsrat, Hospize zu erlauben, Pionierprojekte als Pilotprojekte zu bewilligen und auch für die Finanzierung zu sorgen. Und diese Motion muss innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden. Und das ist jetzt voll im Gang. Also das stimmt mich zuversichtlich.
Sandra Leis [:Patrick Schafer, die Rolle der Kirchen. Wie sehen Sie die? Sollte die Kirche oder die Kirchen, sollten sie sich für solche Institutionen wie das Kinderhospiz Allani, sollten sie sich da regelmäßig dafür einsetzen, also finanziell einsetzen?
Patrick Schafer [:Das finde ich wichtig, wenn sich die Kirchen engagieren in diesem Bereich hier, jetzt im Kinderhospiz. Und da sehe ich vor allem die Rolle über die Seelsorge. Also wir haben Spitalseelsorge, die heute schon über die Kirchen mitfinanziert oder geleistet wird. Und so sehe ich eigentlich auch die Beteiligung der Kirchen in den Hospizen allgemein über die Seelsorge. Seelsorgende sind in diesen Institutionen wirklich auch präsent vor Ort, sie begleiten und betreuen.
Sandra Leis [:Erwarten Sie von der Kirche, dass Sie sich da regelmäßig auch finanziell neben der Seelsorge engagiert? Oder wäre das vielleicht auch ein falsches Signal, dass man sagt, eigentlich müsste die Politik es richten, der Kanton?
Patrick Schafer [:Ja, ich denke, da gibt es verschiedene Ansichten. Ist das jetzt Aufgabe der Politik oder eben auch der Kirchen? Ich sehe wirklich die Beteiligung der Kirchen, vor allem in diesen Seelsorgestellen. Dass Kirchen so präsent sind, das finde ich schon richtig. Ja.
Sandra Leis [:Verlassen wir den Bereich der Finanzen und kehren zurück zum Alltag hier im Allani. Es können gleichzeitig maximal acht Kinder mit ihren Familien hier leben. Das ermöglicht der Platz hier. Was darf ich mir unter Betreuung vorstellen? Was heißt das hier genau, konkret?
André Glauser [:In erster Linie professionelle Pflege, die man auch im Spital machen könnte natürlich. Spitalalltage sind aber einerseits teuer, andererseits ist es ein Umfeld, wo sich die Familie nicht wirklich wohlfühlt. Und deshalb ist unsere Betreuung umfassend. Pflege einerseits. Andererseits das Kümmern um die Familie, weil die ist stark belastet. Vielleicht sind da Geschwisterkinder mitbetroffen. Deshalb ist es Pflege und Betreuung im seelsorgerischen Bereich und in administrativen Bereichen. Es ist eine umfassende Betreuung gedacht.
Sandra Leis [:Sie sind ja jetzt ungefähr zehn Minuten von der Insel weg, vom Inselspital weg. Das heisst, wenn ein Notfall wäre, wirklich ein medizinischer Notfall, wäre man schnell im Inselspital. Auch das ist ein Vorteil.
André Glauser [:Das ist auch eine Bedingung. Man muss innerhalb von 30 Minuten ein Akutspital erreichen können. Und das ist für uns sehr gut gelegen, das Inselspital. Und die Nähe verleiht eben auch Sicherheit. Den betroffenen Familien und auch uns.
Patrick Schafer [:Das war unser großer Wunsch. Das haben wir uns als Vorgabe gesetzt, dass die Liegenschaft eben sehr nahe an der Kinderklinik vom Inselspital gelegen sein muss. Und deshalb sind wir auch so glücklich, diesen Standort hier gefunden zu haben. Diese Liegenschaft mit all diesen Optionen, welche wir jetzt da nutzen können.
André Glauser [:Also viele, viele dieser Kinder und Familien, die kommen über die Insel zu uns, weil diese Krankheiten werden in der Regel einmal über die Insel behandelt und auch deshalb ist diese Nähe für uns sehr wichtig.
Sandra Leis [:Im Allani sind insgesamt 25 Personen angestellt, also die meisten arbeiten Teilzeit und 160 Freiwillige. André Glauser, wie schwierig ist es, geeignetes Personal zu finden für diesen doch sehr, sehr sensiblen Bereich Kinderhospiz?
André Glauser [:Wir haben letztes Jahr innerhalb von zwei Monaten 16 Pflegende anstellen dürfen. Insofern waren wir auch überrascht, wie einfach das war. Ich weiss nicht, ob das bei einer nächsten Rekrutierungsrunde schwieriger sein wird, weil der Markt, wie gesagt, sehr eingeschränkt ist. Alle haben Probleme, diese Leute zu finden, und deshalb wird es auch für uns nicht leichter werden, sondern wir sind auch einer dieser Stakeholder im Gesundheitsbereich.
Sandra Leis [:Das ist schon klar. Aber weshalb war es bei der ersten Rekrutierung einfach? War es auch das Interesse, etwas Neues, etwas anderes?
André Glauser [:Das. Und die haben seit Jahren darauf gewartet, dass dieses Kinderhospiz eröffnet wird. Die haben uns seit Jahren gefragt: Wann geht ihr endlich auf? Ich will zu euch kommen. Das ist jetzt vorbei. Jetzt geht es darum, dass wir uns auch bewähren müssen. Die Arbeit wird jetzt angeschaut. Es wird kritisch hingeschaut. Das ist auch richtig so! Wir gehen in Betrieb, wir sind im Betrieb, und das ist etwas ganz anderes als eine Vision, eine Idee, die fasziniert, ein Pionierprojekt. Und jetzt geht es aber darum, den Alltag zu meistern und dort eben auch wieder positive Signale nach aussen zu geben.
Sandra Leis [:Die 160 Freiwilligen, die haben mich auch noch überrascht. Man weiss, es ist nicht einfach, Menschen zu finden, die sich freiwillig engagieren. Das klingt nach sehr viel. Ist es in der Realität auch so oder schrumpft das dann doch zusammen auf ein paar wenige Menschen, die sich regelmäßig engagieren?
André Glauser [:Wir haben diese 160 Personen gefunden. Die einen sagten, einmal im Jahr. Andere sagten, mehrmals wöchentlich. Es gibt die ganze Palette. Und auch das muss man stabilisieren können in den nächsten Jahren. Ich mache mir da keine großen Erwartungen. Auch dort wird es eine Fluktuation geben. Umso wichtiger ist unser Auftritt gegen innen wie gegen aussen.
Patrick Schafer [:Und es ist ja schon so, dass diese Freiwilligenarbeit sehr wichtig ist für uns, das ist ein wichtiger Teil von unserer Arbeit. Vielleicht nicht alleine hier im Betrieb, im Haus, aber für Allani ganz allgemein. André Glauser hat gesagt, wir haben die Personen gefunden, viele haben auch uns gefunden. Es sind da wirklich auch viele sehr berührende Einzelgeschichten, persönliche Geschichten, die dahinter stehen, wo eine starke Bindung besteht. Über jetzt mehrere Jahre, acht Jahre, zum Teil zehn Jahre. Es gibt auch Leute, die schon von Anfang mit dabei sind und uns begleiten und mit uns auch wachsen. Also ja, es war eine kleine Idee, die jetzt so groß gewachsen oder so stark wachsen konnte. Und so ist es auch mit dieser Freiwilligenarbeit. Also es ist unglaublich. Dieses Engagement im Ehrenamt, das da geleistet wird.
André Glauser [:Das ist etwas, was mich von Anfang an fasziniert hat. Dass diese Idee so einen großen Rückhalt hat in der Bevölkerung, bei Betroffenen, bei Freunden. Diese Bereitschaft, hier etwas zu machen, zu unterstützen, ist gewaltig. Und das ist wunderschön.
Sandra Leis [:Da müssen Sie einfach hoffen, dass dieses Feuer weiter brennt.
André Glauser [:Unbedingt. Und ich bin da zuversichtlich, dass das uns und den anderen in dieser pädiatrischen Palliative Care gelingen wird.
Sandra Leis [:Das Kinderhospiz Allani ist das erste Kinderhospiz in der Schweiz. Geplant sind zwei weitere: eins in Fällanden bei Zürich, ein drittes dann in Basel. Wenn die Schweiz dann drei hat – in der Westschweiz ist noch nichts. Im Tessin auch nicht –, Aber insgesamt, wenn es drei gibt, dann in Zukunft. Ist dann der Bedarf an Kinderhospizen gedeckt für die Schweiz, oder wie schätzen Sie das ein?
André Glauser [:Schwierig zu sagen. Wir müssen beginnen. Wir müssen schauen, wie groß die Nachfrage auch ist von diesen Eltern mit den betroffenen Kindern. Wir können das in einem Jahr wieder aufnehmen und schauen, wie sich das entwickelt hat.
Sandra Leis [:Gibt es denn auch Eltern, die zögern, in ein Kinderhospiz zu kommen? Die Angst davor haben?
André Glauser [:Ja, die gibt es. Die Hemmschwelle muss abgebaut werden. Hospiz ist immer noch ein Sterbehospiz in den Gedanken vieler Eltern. Und diese Hemmschwelle gilt es zu überbrücken. Und da ist viel Aufklärung eben nötig, dass Kinderhospize, nicht Sterbehospize sind per se. Es darf gestorben werden in einem Kinderhospiz, aber in der Regel wird hier gelebt.
Sandra Leis [:Und wie vermitteln Sie das? Eltern, die vielleicht zögern oder sich auch fürchten vor diesem Schritt?
André Glauser [:Das ist eine Aufgabe, die wir uns teilen. Sei es mit den Spitälern, sei es mit den Pädiatern, sei es mit der Kindern-Spitex. Das ist eine Arbeit, die wir jetzt aufgenommen haben, weil jetzt sind wir im Betrieb. Jetzt gilt es, genau das zu transportieren.
Sandra Leis [:Sie haben ja vorhin auch gesagt, häufig kommen Eltern oder Familien über die Insel, über das Inselspital zu Ihnen. Also das ist ein Miteinander, dass es überhaupt funktioniert.
André Glauser [:Ja, es ist ein Miteinander. Und Eltern rufen uns auch an und sagen: Dürfen wir das Haus anschauen kommen? Für sie ist es wichtig zu sehen und zu spüren, hey, können wir uns das vorstellen? Hier eine Woche zu verbringen, uns in die Obhut der Pflegenden zu begeben? Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig. Die wollen und müssen das gesehen haben.
Sandra Leis [:Jetzt frage ich Sie Patrick Schafer als Seelsorger: Was muss in so einem Haus stimmen, damit es den Menschen wohl ist, dass sie hierher kommen wollen in einer so prekären Situation, in der sie ja stecken? Sie machen ja nicht einfach Ferien, sondern sie wollen sich erholen. Hier. Sie suchen Entlastung. Was muss da zusammenstimmen, dass Menschen hierher kommen möchten?
Patrick Schafer [:Also ich denke, ganz zentral wird sein, dass sich die Menschen und die Familien jedes einzelne geborgen fühlen kann und dass das geschehen kann. Es braucht Leute, die da sind, die begleiten, die zuhören, die unterstützen. Aber es braucht auch den Raum. Also Zimmer und auch Umgebung, wo man sich geborgen fühlen kann. Und das denke ich, das ist hier sehr gut möglich. Und wir haben ja verschiedene Zimmer, wir haben Familienzimmer, wir haben Einzelzimmer und damit wollen wir auch zeigen, dass das ganze Familiensystem hier Geborgenheit erfahren soll. Das ist eine eine große Herausforderung. Aber dieser möchten wir uns stellen und es hat hohe Priorität, dass wir das so erreichen können. Natürlich können wir nicht auf jeden individuellen Wunsch eingehen, aber wir versuchen da möglichst viel umzusetzen. Und auch da, wieder der Link zu den Freiwilligen, welche da auch mitarbeiten, um zum Beispiel auch Freizeitprogramm für die Geschwister oder auch für die Eltern abdecken zu können. Also ganz viel, was finanziell fast nicht abzudecken wäre, was wir hier möglich machen möchten. Neben der professionellen Pflege, neben einem professionellen Alltag Hausdienst, Administration und auch Pflege, die da stark gefordert sind.
Sandra Leis [:Der Tod gehört zum Leben und ist doch für die meisten Menschen eine Zumutung. Und ganz besonders schlimm ist es, wenn ein Kind gehen muss. Sie sind ein erfahrener Seelsorger, Patrick Schafer. Wie begegnen Sie Eltern mit einem todkranken Kind?
Patrick Schafer [:Ich ganz persönlich versuche, versuche da einfach zu begleiten. Also ich kann unterstützend begleiten, mich anbieten, um dieses Wegstück oder ein Stück von diesem Weg gemeinsam zu gehen und zu unterstützen. Was Sterben schlussendlich bedeutet oder wie das sich anfühlt, das wissen wir nicht, das können wir im Voraus nicht sagen. Ich versuche wirklich sehr achtsam und offen mich darauf einzulassen, aber auch im Bewusstsein: Ich bin nur Begleiter. Ich bin nicht Berater oder ich bin nicht der Fachmann, der weiß, wie es geht. Es ist sehr individuell, es ist sehr persönlich, und es braucht wirklich auch die entsprechende Achtsamkeit und auch den Raum, um diesen Prozess zu gehen. Und für Angehörige ist es ja dann so, dass der Prozess nicht einfach beendet ist. Nach dem Versterben des Patienten, der Patientin, sei es jetzt ein Kind oder eine erwachsene Person, auch da gibt es wieder einen Übergang in ein Weitergehen. Und das ist dann für mich wirklich schon während der Begleitung im Spital oder jetzt hier im Hospiz muss das auch schon mitbedacht werden, wie das Weitergehen für die Angehörigen, für die Familie dann aussehen könnte.
Sandra Leis [:Sie haben gesagt, es sei sehr individuell, wie Sie Familien mit sterbenskranken Kindern begleiten. Gibt es etwas Gemeinsames, einen gemeinsamen Nenner möglicherweise?
Patrick Schafer [:Ja, Ich möchte mich da auf einen Grundsatz von Palliative Care beziehen, wo man bestrebt ist, diese verbleibende Zeit mit Leben zu füllen. Und das ist etwas, was ich hier bei Allani sehr stark immer wieder beobachte oder auch erlebe, dass sehr viel Freude, sehr viel Leben da ist, trotz dieser traurigen und zum Teil auch sehr belastenden Situation. Nicht zum Teil. Es ist immer eine belastende Situation. Aber trotz diesem Schweren, dass da eben doch viel auch gelacht wird hier bei uns im Haus.
Sandra Leis [:Und André Glauser: Wie ist es für Sie in einem Kinderhospiz zu arbeiten? Das ist ein Stück weit auch eine belastende Situation.
André Glauser [:Wenn man sich darauf einlässt, ist es nicht ganz so schwierig. Diese Eltern, die ich jetzt erleben durfte, die Gespräche mit ihnen. Diese Verbundenheit ist innerhalb von kürzester Zeit ist da. Und diese Schicksale, die tun weh. Natürlich persönlich schmerzen die. Und trotzdem ist das eine unheimliche Bereicherung, mit diesen Eltern zusammen sein zu dürfen, auch ganz normale Themen ansprechen zu dürfen, auch zu lachen und auch mal einen Witz zu machen. Insofern ist es eine sehr breite Palette, die ich erfahre und die ich als sehr, sehr bereichernd anschaue für mich persönlich. Aber ja, es ist hart. Vor allem, wenn wir dann wieder hören oder lesen, dass ein Kind, das mit Allani verbunden gewesen ist, jetzt gestorben ist. Dann geht das sehr nahe, muss ich sagen. Man hatte eine Beziehung zu diesem Kind, und das bricht dann irgendwie weg.
Sandra Leis [:Sie hatten sogar Beziehungen zu ganzen Familien. In der Regel.
André Glauser, Patrick Schafer, vielen Dank für dieses offene und auch berührende Gespräch.
André Glauser [:Danke.
Patrick Schafer [:Danke.
Sandra Leis [:Das war die 34. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast waren André Glauser. Er ist der Geschäftsführer des ersten Kinderhospizes in der Schweiz. Und Patrick Schafer, er ist Stiftungsrat des Kinderhospizes Allani, Seelsorger im Insel-Spital und Co-Leiter des Pastoralraums Region Bern.
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In der nächsten Folge von «Laut + Leis» sprechen wir über die Weltsynode, die dann zu Ende ist. Was hat sie erreicht? Gibt es neben vielen schönen Worten und Empfehlungen konkrete Ergebnisse? Und: Wie geht es jetzt weiter?
Meine Gäste werden sein: Bischof Felix Gmür, er ist der Delegierte der Schweiz. Und Helena Jeppesen-Spuhler: Sie ist ebenfalls Schweizerin und nimmt als Delegierte von Europa an der Weltsynode teil.
Bis in zwei Wochen – und bleibt laut und manchmal auch leise.