Speaker:
00:00:00
Das imponiert mir und ich
2
:
00:00:01
frage mich,
3
:
00:00:01
wie mein Neujahrsgedicht
4
:
00:00:03
wohl klingt.
5
:
00:00:14
«Bin ich tot?»
6
:
00:00:15
«Ja.»
7
:
00:00:16
«War ich ein Mann?»
8
:
00:00:17
«Ja.»
9
:
00:00:18
«War ich ein Politiker?»
10
:
00:00:20
«Nein.»
11
:
00:00:21
Mist, der Nächste ist dran.
12
:
00:00:24
In geselliger Runde
13
:
00:00:25
verbringe ich
14
:
00:00:25
den Silvesterabend
15
:
00:00:26
bei meiner Oma.
16
:
00:00:28
Das Glas vor mir
17
:
00:00:29
auf dem Tisch ist
18
:
00:00:30
mit einem leichten
19
:
00:00:31
Weißwein gefüllt,
20
:
00:00:32
der Teller üppig belegt
21
:
00:00:34
mit Oliven,
22
:
00:00:34
gebratenen Auberginen,
23
:
00:00:36
italienischer Salami,
24
:
00:00:37
Büffel-Camembert
25
:
00:00:39
und ein paar
26
:
00:00:39
Scheiben Weißbrot.
27
:
00:00:41
Um den großen Tisch
28
:
00:00:42
versammelt sich
29
:
00:00:43
eine heitere
30
:
00:00:44
Feiergemeinschaft
31
:
00:00:44
zwischen 18 und 83 Jahren.
32
:
00:00:47
Ich bin wieder dran
33
:
00:00:48
und rate weiter:
34
:
00:00:50
«Habe ich
35
:
00:00:50
im letzten
36
:
00:00:51
Jahrhundert gelebt?»
37
:
00:00:53
«Ja.»
38
:
00:00:53
«Habe ich
39
:
00:00:54
unter den Nationalsozialisten
40
:
00:00:56
gelitten?»
41
:
00:00:57
«Auch richtig.»
42
:
00:00:58
«Bin ich
43
:
00:00:59
Dietrich Bonhoeffer?»
44
:
00:01:00
«Nein.»
45
:
00:01:02
Schade, denke ich,
46
:
00:01:03
Bonhoeffer gehört für mich
47
:
00:01:05
irgendwie
48
:
00:01:05
zum Jahreswechsel
49
:
00:01:06
dazu.
50
:
00:01:07
Dietrich Bonhoeffer –
51
:
00:01:09
intellektueller Überflieger,
52
:
00:01:10
Pfarrer,
53
:
00:01:11
Glaubensvorbild, Heiliger,
54
:
00:01:13
Widerstandskämpfer.
55
:
00:01:15
Es gibt viele
56
:
00:01:16
Bezeichnungen
57
:
00:01:17
für den Mann, aus
58
:
00:01:18
dessen Feder das Gedicht
59
:
00:01:19
«Von Guten Mächten»
60
:
00:01:20
stammt.
61
:
00:01:21
Und immer wieder
62
:
00:01:22
sind es genau
63
:
00:01:22
die Zeilen vom Jahreswechsel
64
:
00:01:24
1944/45,
65
:
00:01:27
die mich bewegen und trösten.
66
:
00:01:29
Mehrfach wurde es vertont,
67
:
00:01:31
es gilt als eins
68
:
00:01:32
der beliebtesten
69
:
00:01:33
Kirchenlieder und auch
70
:
00:01:34
ich summe an diesem Abend
71
:
00:01:36
immer wieder
72
:
00:01:36
die eingängige Melodie.
73
:
00:01:38
Dabei sieht mein Silvester
74
:
00:01:39
im Jahr 2024 sehr anders aus
75
:
00:01:42
als das des Theologen
76
:
00:01:43
80 Jahre zuvor:
77
:
00:01:45
Er sitzt zu diesem Zeitpunkt
78
:
00:01:47
seit mehr als
79
:
00:01:47
einem Jahr in Haft.
80
:
00:01:49
Als Teil eines
81
:
00:01:50
Widerstandsnetzwerkes
82
:
00:01:51
ist er verantwortlich
83
:
00:01:53
für mehrere
84
:
00:01:53
gescheiterte Attentate
85
:
00:01:54
auf Hitler,
86
:
00:01:56
als Mitglied
87
:
00:01:57
der Bekennenden Kirche
88
:
00:01:58
bildete er zwischen 1935
89
:
00:02:00
und 1937
90
:
00:02:02
in Finkenwalde
91
:
00:02:03
angehende Pfarrer aus.
92
:
00:02:05
Getrennt von seiner Familie
93
:
00:02:06
und seinen Freunden,
94
:
00:02:08
alleine in einer kalten
95
:
00:02:09
Zelle, mit kargen Mahlzeiten
96
:
00:02:11
schrieb er zum Jahreswechsel
97
:
00:02:13
diese tröstlichen Zeilen:
98
:
00:02:15
«Von guten Mächten
99
:
00:02:16
treu und still umgeben,
100
:
00:02:19
behütet und getröstet wunderbar,
101
:
00:02:22
so will ich diese Tage
102
:
00:02:23
mit euch leben
103
:
00:02:25
und mit euch gehen
104
:
00:02:26
in ein neues Jahr.»
105
:
00:02:28
Ein Gedicht,
106
:
00:02:29
das Menschen
107
:
00:02:29
jeder Generation trifft;
108
:
00:02:32
Worte, die Trost
109
:
00:02:33
und Hoffnung spenden.
110
:
00:02:34
Vielleicht gerade
111
:
00:02:35
weil sie von einem
112
:
00:02:36
Mann in einer
113
:
00:02:37
Situation geschrieben wurden,
114
:
00:02:39
die von außen so trostlos
115
:
00:02:40
und hoffnungslos schien,
116
:
00:02:42
dass sie dadurch nur
117
:
00:02:43
noch mehr Kraft haben?
118
:
00:02:45
Ein Gedicht,
119
:
00:02:45
das von Bonhoeffers
120
:
00:02:46
Unverzagtheit
121
:
00:02:47
und Zuversicht zeugt,
122
:
00:02:49
das erzählt, wie tief
123
:
00:02:51
sein Gottvertrauen
124
:
00:02:52
und wie groß
125
:
00:02:52
seine Hoffnung waren.
126
:
00:02:54
Auch seine weiteren Briefe
127
:
00:02:55
aus dieser Zeit
128
:
00:02:56
lassen mich immer
129
:
00:02:57
wieder staunen
130
:
00:02:58
und machen mir Mut,
131
:
00:02:59
die Schönheit auch in der
132
:
00:03:00
Dunkelheit nicht aus
133
:
00:03:02
dem Blick zu verlieren.
134
:
00:03:04
Für Bonhoeffer
135
:
00:03:04
war es die Hinwendung
136
:
00:03:05
zum Gott des Christentums,
137
:
00:03:07
die ihn fröhlich blieben ließ
138
:
00:03:09
und die in diesen
139
:
00:03:09
kunstvollen Zeilen
140
:
00:03:11
Ausdruck fand.
141
:
00:03:12
Das imponiert mir
142
:
00:03:13
und ich frage mich,
143
:
00:03:14
wie mein Neujahrsgedicht
144
:
00:03:15
wohl klingt.
145
:
00:03:16
Zwar lassen sich meine
146
:
00:03:17
heutigen Herausforderungen
147
:
00:03:19
nicht mit denen
148
:
00:03:19
vergleichen, denen
149
:
00:03:20
Bonhoeffer ausgesetzt war,
150
:
00:03:22
doch bin ich auch
151
:
00:03:23
heute gefordert,
152
:
00:03:24
mich mit den
153
:
00:03:25
großen Themen unserer Zeit
154
:
00:03:26
verantwortungsvoll
155
:
00:03:27
zu beschäftigen.
156
:
00:03:29
Ich frage mich,
157
:
00:03:29
wie auch ich von dieser
158
:
00:03:30
Hoffnung und Zuversicht
159
:
00:03:31
schreiben kann.
160
:
00:03:33
Woher nehme ich den Mut,
161
:
00:03:35
wenn mir die
162
:
00:03:35
innenpolitische Lage
163
:
00:03:36
Angst macht?
164
:
00:03:38
Wenn mich die gesellschaftlichen
165
:
00:03:39
Differenzen verunsichern?
166
:
00:03:41
Wenn die Zukunftsängste
167
:
00:03:42
der Menschen
168
:
00:03:43
um mich herum
169
:
00:03:43
auch mein Herz schwer machen?
170
:
00:03:45
Das Leben von Menschen
171
:
00:03:46
wie Dietrich Bonhoeffer
172
:
00:03:47
macht mir Mut,
173
:
00:03:49
den Ängsten zu trotzen
174
:
00:03:50
und mit Zuversicht
175
:
00:03:51
auch 2025 anzugehen.
176
:
00:03:54
Ein passendes Neujahrsgedicht
177
:
00:03:55
steht noch aus,
178
:
00:03:56
aber so schön, wie Bonhoeffers Zeilen
179
:
00:03:58
wird es wohl nicht, darum,
180
:
00:04:00
auch als Zuspruch für 2025:
181
:
00:04:03
«Von guten Mächten
182
:
00:04:04
wunderbar geborgen,
183
:
00:04:05
erwarten wir getrost,
184
:
00:04:07
was kommen mag.
185
:
00:04:08
Gott ist bei uns am Abend
186
:
00:04:11
und am Morgen
187
:
00:04:12
und ganz gewiss
188
:
00:04:14
an jedem neuen Tag.»