Artwork for podcast Laut + Leis
Bernd Nilles: «Es geht darum, auf Dinge zu verzichten, die wir nicht brauchen»
Episode 1916th February 2024 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:29:54

Share Episode

Shownotes

«Weniger ist mehr» – so lautet das Motto der diesjährigen ökumenischen Kampagne zur Fastenzeit. Ob weniger tatsächlich mehr ist, und was das für uns im satten Westen bedeuten könnte, darüber spricht Bernd Nilles, Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Fastenaktion.

Die Themen dieser Folge:

  • Klimagerechtigkeit im Fokus: warum viermal dasselbe Thema für die Kampagne?
  • Weshalb ist die Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus ein ethisch wegweisendes Dokument für alle Menschen?
  • Vom ökologischen Fuss- zum Handabdruck: Welcher Gedanke steckt dahinter?
  • Was kann das Individuum zur Klimagerechtigkeit beitragen, und was müssen Politik und Wirtschaft tun?
  • Wahlschlappe der Grünen bei den eidgenössischen Wahlen: Wie gross ist das Klimabewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer?
  • Wie evaluiert das Hilfswerk Fastenaktion, was seine Aktionen bringen
  • Warum kann Verzicht eine Chance sein?

Transcripts

Bernd Nilles [:

Ich treffe mich ja mit Vertretern aller politischen Parteien. Und mein Eindruck ist, dass das Thema Klima, Nachhaltigkeit, Umwelt inzwischen in allen Parteien eine wichtige Rolle spielt. Für einzelne eine größere, für andere aber auch eine große. Und ich glaube einfach, dass die Menschen heute das von allen Parteien erwarten. Sie wollen, dass alle Parteien an einem Strick ziehen und voran machen. Und sie wollen nicht grün wählen müssen, damit das Klima geschützt ist. Sie wollen auch Mitte oder FDP oder SP wählen können, um Klimapolitik zu bekommen. Denn die Umfragen zeigen ja sehr deutlich: Die Menschen wissen relativ viel. Sie machen sich sehr viel Sorgen, und sie wollen, dass etwas getan wird.

Sandra Leis [:

Das sagt Bernd Nilles. Er ist Geschäftsführer des Hilfswerks Fastenaktion. Ich bin Sandra Leis, und im Podcast «Laut + Leis» sprechen wir über das kirchliche Engagement während der Fastenzeit. «Weniger ist mehr» – so heißt das Motto der diesjährigen ökumenischen Kampagne, lanciert von der katholischen Fastenaktion, dem evangelisch-reformierten HEKS und dem christkatholischen Hilfswerk «Partner sein». Ob weniger tatsächlich mehr ist, und was das für uns im satten Westen bedeuten könnte, das diskutieren wir hier in Luzern im Hauptsitz von Fastenaktion. Bernd Nilles, Sie sind, wie gesagt, Geschäftsführer von Fastenaktion. Herzlich willkommen zu diesem Gespräch.

Bernd Nilles [:

Vielen Dank für die Einladung.

Sandra Leis [:

Wir stehen am Anfang der Fastenzeit. Was haben Sie sich persönlich für diese kommende Zeit vorgenommen?

Bernd Nilles [:

Die Fastenzeit. Das ist für mich meistens eine fleischfreie Zeit. Ich muss allerdings zugeben, dass das nicht ganz so schwer für mich ist, weil meine Familie schon alle vegan oder vegetarisch sind und ich der letzte alte Dinosaurier bin, der noch Fleisch isst. Aber gerade in der Fastenzeit schaffe ich das dann auch.

Sandra Leis [:

Bereits zum vierten Mal in Folge stellt die jährliche Kampagne die Klimagerechtigkeit in den Fokus. Die Klimakrise ist ohne Zweifel ein drängendes, ein globales Problem. Doch weshalb viermal dasselbe Thema?

Bernd Nilles [:

Zum einen ist die Klimagerechtigkeit eine der größten Ungerechtigkeiten, die wir Menschen heute verursachen. Wir stürzen Millionen von Menschen in eine Not, und das müsste nicht sein. Und darauf wollen wir aufmerksam machen. Und vier Jahre haben wir gewählt, da wir gemerkt haben, dass es für die Menschen mal eine Innovation, eine Erneuerung sein könnte, ihnen zu zeigen, wie lange wir oft an den Themen dran sind, das sind de facto oft sogar mehr als zehn Jahre. Aber viele Menschen haben gedacht: Fastenaktion, jedes Jahr zur Fastenzeit kommt ein neues Thema. Und manche haben mir gesagt: Arbeitet ihr eigentlich wirklich zu dem Thema? Ja, jedes Thema, das wir in die Öffentlichkeit bringen, damit sind wir ernsthaft befasst. Und hier über die vier Jahre konnten wir mal wirklich vertieft einsteigen, und ich meine, es hätte sich auch gelohnt.

Sandra Leis [:

Sie begründen Ihr Engagement auch in persönlichen Äußerungen mit der Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus. Weshalb ist diese Enzyklika Ihrer Meinung nach ein ethisch wegweisendes Dokument für die Kirche?

Bernd Nilles [:

Ich engagiere mich ja schon seit langem privat wie beruflich im Umfeld Kirche. Und 2015 war ein ganz besonderes Jahr

Sandra Leis [:

Pariser Abkommen.

Bernd Nilles [:

Genau. Sogar drei ganz wichtige Dinge sind passiert. Im Juni hat Papst Franziskus die Enzyklika «Laudato si’» veröffentlicht. Im September hat die Weltgemeinschaft die Nachhaltigkeitsziele verabschiedet und im Dezember das Pariser Klimaabkommen. Und ich hatte es mir gar nicht vorstellen können, wie viel Einfluss auch so eine Enzyklika haben kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass um die 100 Staatschefs haben aus dieser Enzyklika zitiert, und sie war und ist bis heute ein inspirierendes Dokument für Katholikinnen und Katholiken, für alle Christen, aber de facto genau wie Papst Franziskus es wollte, für alle Menschen dieser Erde. Und das fand ich besonders inspirierend, dass der Papst ein Dokument an alle Menschen dieser Erde gerichtet hat.

Sandra Leis [:

Heißt das denn auch, dass die Kirche sich noch stärker engagieren sollte im Bereich Klima?

Bernd Nilles [:

Es geht nicht speziell nur um das Klima, es geht um soziale Gerechtigkeit, es geht um Armutsbekämpfung. Und Papst Franziskus hat mehrfach deutlich gemacht, dass das eine Sozialenzyklika ist und nicht ein Umweltdokument. Denn es geht ihm im Kern darum, uns deutlich zu machen, dass wir Menschen hier eine Ungerechtigkeit begehen, aktiv begehen. Und er möchte, dass wir das ändern.

Sandra Leis [:

Sind Sie als Geschäftsführer ein Stück weit auch ein verkappter Aktivist?

Bernd Nilles [:

Ich bin gerne aktiv. Finde auch unsere Namensänderung vom Fastenopfer zu Fastenaktion sehr charmant, weil wir deutlicher zeigen können, dass wir wirklich etwas bewegen, wirklich etwas verändern, dass wir unterwegs sind. Und das hat nichts mit spontanem, blindem Aktivismus zu tun, sondern wir machen das sehr strategisch. Also wenn wir uns zum Beispiel für eine Konzernverantwortung engagieren oder für eine Klimagerechtigkeit, dann tun wir das mit guten Analysen, Recherchen. Wir tun das, weil unsere Partnerorganisationen im globalen Süden, in Afrika, Asien, Lateinamerika uns darum bitten, etwas zu verändern. Das treibt uns an, und das bringt uns auch manchmal auf die Straße und dass wir auch an einer Demonstration teilnehmen. Und ich persönlich gehe da auch gerne immer vorne mit.

Sandra Leis [:

Sprechen wir über das Motto der ökumenischen Kampagne «Weniger ist mehr». Welcher Grundgedanke steckt dahinter?

Bernd Nilles [:

Wir haben uns gerade auch über dieses Klima-Engagement wir noch mal genauer diese Umweltzahlen und das alles so vor Augen geführt. Und da sticht eine Zahl zum Beispiel sehr stark raus, dass wir hier in der Schweiz um die drei Planeten bräuchten für unseren Lebensstil. Wir haben ja hier viele Menschen in der Schweiz, die ja ein gutes Leben haben. Nicht alle, aber viele haben eins, und das wird so ein bisschen als normal dargestellt. Es ist aber gar nicht normal, und wir sind der Meinung, dass es auch mit weniger gehen muss. Denn es kann ja nicht sein, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die unser Planet, unsere Erde gar nicht aushalten kann. Und dabei geht es gar nicht so sehr nur um den Planeten, sondern de facto geht es ja um die Ausbeutung von Ressourcen, oft auch in Gegenden, wo Menschen leben. Die werden dafür vertrieben, die werden dafür ausgebeutet. Also wir müssen da eine neue Herangehensweise finden. Und dieses «Weniger ist mehr» richtet sich tatsächlich vor allen Dingen an die Menschen in den Industrieländern und natürlich nicht an die Menschen in den armen Ländern.

Sandra Leis [:

Weniger ist mehr: Das heißt ganz konkret auch Verzicht. Wie wollen Sie mit Ihrer Kampagne die Menschen in der Schweiz dazu bewegen, dass sie ins Handeln kommen und auch bewusst auf etwas verzichten? Wie geht das konkret?

Bernd Nilles [:

Das ist eine sehr schwere Aufgabe, das gebe ich ganz offen zu. Das ist nicht leicht. Es geht uns darum, auf Dinge zu verzichten, die wir eigentlich gar nicht wirklich brauchen. Deswegen sprechen wir bei Fastenaktion auch von Überkonsum, dem Überkonsum zu begegnen und nicht einfach dem Konsum. Natürlich müssen wir Essen kaufen, natürlich möchten wir auch mal Urlaub machen. Aber es kann nicht nachhaltig sein für uns alle, wenn man alles zehnmal macht, zehnmal in Urlaub fliegt oder x neue Elektrogeräte kauft und niemals darüber nachdenkt, eines zu reparieren, sondern es direkt wegwirft, das kann nicht sinnvoll sein. Wir müssen diesem Überkonsum begegnen. Es ist aber de facto eine Art Kulturwandel, denn man hat uns ja beigebracht, man brauche viel Konsum für die Wirtschaft, die Wirtschaft muss wachsen, alles muss mehr, mehr, mehr. Und es ist schon auch eine geistige, eine gedankliche Umstellung, die man übrigens auch in «Laudato si’», in der Enzyklika findet, wo Papst Franziskus uns ja auch zu einer inneren Umkehr einlädt. Und ich glaube, darum geht es. Dafür muss man aber nicht katholisch sein. Es geht um eine innere Umkehr. Darum, eine neue Beziehung auch zur Natur aufzubauen und hier Bescheidenheit an den Tag zu legen – für sich selbst, am Ende für die nachfolgenden Generationen, aber auch für die armen Menschen im globalen Süden, die teilweise wegen uns sogar Hunger leiden müssen.

Sandra Leis [:

Ich muss trotzdem noch mal nachfassen: Wie wollen Sie mit Ihrer Kampagne Menschen, die in der Schweiz leben, dazu bringen, wirklich konkret etwas umzusetzen von dem, was Sie jetzt gesagt haben?

Bernd Nilles [:

Also wir tun das bereits. Wir haben als Fastenaktion auch den Auftrag. Das nennt sich hier bei uns die Gesellschaft zu sensibilisieren für globale Fragen, ihnen Handlungsmöglichkeiten zu geben. Dazu gehören zum Beispiel die Klimagespräche Schweiz. Wir laden Menschen ein, über ihren Überkonsum zu reflektieren, genau hinzuschauen. Wie sieht eigentlich mein CO2-Ausstoß aus? Was könnte ich tun, und wie kann ich ins Handeln kommen? Sie kennen vielleicht diesen berühmten ökologischen Fußabdruck. Beim ökologischen Fußabdruck muss man wissen, das ist eine Erfindung der Ölindustrie. Die haben das erfunden, um abzulenken von ihrer Verantwortung und quasi dem Konsumenten das ein bisschen in die Schuhe zu schieben.

Sandra Leis [:

Schau persönlich, was du genau machst.

Bernd Nilles [:

Genau. Ändere dein Verhalten, ann wird die Welt schon gut. Aber so einfach funktioniert das nicht. Und mit dieser ökumenischen Kampagne lösen wir uns ein bisschen vom Fußabdruck und gehen in den Handabdruck über. Das heißt, wir wollen Menschen zum Handeln bringen. Dazu gehört durchaus auch, den eigenen Überkonsum kritisch zu reflektieren. Das heißt aber auch, mit anderen sich zusammenschließen. Das kann heißen Druck, vielleicht auch bei einer Kampagne mal mitzumachen, Druck auf die Politik zu machen, dass sich was ändert. Also das ist, ich gebe es zu, es ist keine einfache Aufgabe. Aber wir überlegen immer wieder, welches Angebot können wir den Menschen machen, dass sie mit auf diesem Weg der Nachhaltigkeit gehen.

Sandra Leis [:

Ich habe mich natürlich auch eingelesen in die Kampagne. Auch im Kampagnen-Magazin ist viel die Rede, Sie haben es schon erwähnt, von diesem sogenannten Handabdruck. Wieso eigentlich Hand?

Bernd Nilles [:

Also ich kann Ihnen das nicht genau erklären, wie das mal entstanden ist, weil diese Idee stammt aus Indien, und wir haben dort davon erfahren und fanden die Idee toll. Deswegen waren wir sozusagen nicht bei der Erfindung beteiligt. Am Ende steht ja unsere Hand sehr symbolisch für Handlung, für etwas tun. Und da sind auch zum Beispiel die Pfarreien, die sich in unserer Klimakampagne sehr engagiert haben. Die haben uns auch rückgemeldet, es gibt so viel negative Zahlen, so viel Depressives, das löst so viel Stress aus. Könnt ihr als Fastenaktion die Klimakampagne nicht mehr auf Chancen ausrichten? Mal aufzeigen, wo müssen wir ansetzen? Und da haben wir in den Weltklimarat-Bericht geschaut und haben mal nachgeguckt, okay, wo muss man denn handeln? Was sagt die Wissenschaft? Und da sind schöne Beispiele von Ernährung, Energie, Effizienz. Ich habe von der Reparatur gesprochen. Nicht alles wegschmeißen. Also da sind quasi mehrere Ansätze beschrieben und die priorisieren wir quasi mit dem Symbol der Hand und des Handelns, da jetzt anzupacken und wollen im letzten Jahr der Klimakampagne diese Chancen aufzeigen.

Sandra Leis [:

Mich hat ein Beispiel beeindruckt: Ich habe es noch nie in der Öffentlichkeit gesehen, finde es aber eine gute Idee, nämlich dass man beispielsweise in einem Quartier einen öffentlichen Kühlschrank aufbauen kann und so auch Foodwaste vermeiden. Wenn man etwas nicht mehr braucht und es ist nicht verdorben, kann man es in diesen Kühlschrank geben, und ein anderer Mensch kann sich bedienen. Haben Sie irgendwo schon hier in Luzern einen solchen Kühlschrank gesehen?

Bernd Nilles [:

Es ist eine super Idee, und es gibt sie bereits. Ich habe hier in Luzern tatsächlich in der Nähe des Bourbaki so einen öffentlichen Kühlschrank stehen sehen. Da habe ich auch mal neugierig reingeschaut. Und was viel mehr Menschen kennen, sind natürlich diese früheren Telefonzellen oder Boxen, wo Leute Bücher hinbringen und wieder holen oder gebrauchte Gegenstände gibt es auch, die man da anderen weitergeben kann. Das klingt jetzt so ein bisschen naiv. Äh, ja, okay, jetzt retten wir so die Welt. Dahinter liegen ökonomische Konzepte, also zum Beispiel die sogenannte Sharing Economy, die Wirtschaft des Teilens. Das ist durchaus ein ernsthafter Ansatz, kennt man auch vom Car Sharing. Wenn man ein Mobility-Auto bucht, kaufe ich ja kein Auto, sondern ich verzichte quasi auf das Auto, das übrigens sehr viel CO2 ausstößt, alleine bei der Herstellung, ohne dass man 1 Meter gefahren ist. Also es ist eine sehr sinnvolle Geschichte.

Sandra Leis [:

Kirchenmitglieder bekommen, ich habe ihn hier, den Fastenkalender nach Hause geschickt. Da heißt es auf der allerersten Seite: «Nutzen Sie die Passionszeit, um mit dem Herzen zu sehen, Konsumgewohnheiten zu überdenken und den inneren Kompass neu auszurichten. Wenn jede und jeder von uns einen Beitrag leistet, können wir gemeinsam Großes leisten.» Nun aber, wenn ich an die Klimakonferenz vom letzten Dezember denke in Dubai, dann ist das gemeinsame Große aus meiner Sicht noch in weiter Ferne. Was sagen Sie dazu?

Bernd Nilles [:

Ja, vielleicht zwei Gedanken. Das eine ist, es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die beschäftigen sich auch gerade damit. Was können die Menschen durch ihr Konsumverhalten erreichen, und was muss die Politik erreichen? Und da gibt es verschiedene Studien, die schwanken immer so zwischen 20 und 50 %. S könnte man zum Beispiel den CO2-Ausstoß durch Verhaltensänderungen in der Schweiz reduzieren.

Sandra Leis [:

Durch individuelles Verhalten.

Bernd Nilles [:

Genau, maximal. Also wenn alle mitmachen unter perfekten Rahmenbedingungen, also eher die 20 als 50.

Sandra Leis [:

Würde ich jetzt auch sagen.

Bernd Nilles [:

Ja, und den Rest muss die Politik leisten. Aber das sind ja die von uns gewählten Politikerinnen und Politiker, und die müssen wir natürlich anspornen, es ernst zu nehmen. Im Moment tun sie das nicht. Gut, also unser Bundesrat hat zum Beispiel bei dieser Weltklimakonferenz in Dubai den anderen Staaten gesagt, wir würden schon genug tun in der Schweiz. Das teile ich überhaupt nicht. Die Schweizer Klimapolitik geht nicht voran. Wir haben zwar für ein Klimaschutzgesetz abgestimmt als Volk, aber die Politik verzögert, verzögert, verzögert und macht nicht voran. Und das ist wirklich bitter, weil das auch andere Regierungen einlädt zu bremsen und gerade die, die schon immer gebremst haben, auch noch ermuntert, weiter zu bremsen. Von daher ist die zweite Ebene, die internationale Politik, für Fastenaktion auch sehr wichtig. Das wissen viele Menschen gar nicht. Fastenaktion macht ja drei Dinge: Wir spornen hier an, auch die Menschen in der Schweiz zum Handeln. Wir helfen mit unseren Projekten in Afrika, Asien, Lateinamerika auch zum Beispiel armen indigenen Gemeinschaften. Zum Beispiel, dass sie Zugang zu Energie haben über Photovoltaik, also nachhaltig. Und drittens sind wir eine von drei Schweizer Organisationen der Zivilgesellschaft, die bei den Weltklimaverhandlungen mit Beobachterstatus akkreditiert sind. Und wir versuchen uns wirklich dort einzumischen und Druck zu machen, dass die Regierungen bessere Abkommen abschließen, die gerade auch den Ärmeren zugutekommen.

Sandra Leis [:

Beim großen Ganzen, um auf dieses nochmals zurückzukommen, ist es ja bei vielen Vereinbarungen so, dass die auf einer Freiwilligkeit passieren. Sollte man das nicht verpflichtend machen für alle Staaten, die dabei sind?

Bernd Nilles [:

Also auf jeden Fall Fastenaktion. Das steht auch in allen unseren Strategiepapieren. Wir setzen uns ein für verbindliche Regeln, genau wie Sie sagen. Richtig. Verbindlichkeit ist entscheidend. Und das war auch der Grund, warum wir uns damals für die Abstimmung im November 2020 für die Konzernverantwortung engagiert haben. Da haben wir zehn Jahre lang haben wir lobbyiert, die Öffentlichkeit informiert, wie wichtig verbindliche Regeln wären, und sind dann mit vielen anderen zusammen knapp gescheitert bei der Volksabstimmung. Aber das Grundanliegen der verbindlichen Regeln für alle bleibt.

Sandra Leis [:

Sie haben vorhin gesagt, wir wählen ja unsere Politikerinnen und Politiker, aber auch die haben Mühe, wenn sie Verzicht verlangen müssen. Das haben wir jetzt gerade wieder gesehen, im Herbst bei den eidgenössischen Wahlen. Dass die Partei der Grünen eine grosse Wahlschlappe eingefahren hat trotz all der offensichtlichen Mängel in der Klimapolitik. Wie kann es der Politik oder einzelnen Politikerinnen und Politikern gelingen, den Verzicht auch positiv zu vermarkten? Wie kriegt der Verzicht ein positives Image?

Bernd Nilles [:

Wenn wir beim Klimathema bleiben, ist der Verzicht vielleicht gar kein Verzicht. Es geht ja um eine Umstellung. Also ist es doch am Ende des Tages wahrscheinlich sogar eine bessere Welt, die die Politikerinnen vielleicht ihrem Volk verkaufen könnten. Sie könnten viel mehr darüber sprechen, dass wir dann weniger Schadstoffe in der Luft haben, weniger Krebskranke, gesündere Kinder, weniger Autounfälle, weniger Verkehr.

Sandra Leis [:

Das machen die Grünen seit Jahren, und trotzdem haben sie eine Wahlschlappe eingefahren.

Bernd Nilles [:

Ja, das ist jetzt schwer zu sagen, woran das genau liegt. Ich glaube, man kann auch das positiv interpretieren. Ich treffe mich ja mit Vertretern aller politischen Parteien, und mein Eindruck ist, dass das Thema Klima, Nachhaltigkeit, Umwelt inzwischen in allen Parteien eine wichtige Rolle spielt. Für einzelne eine größere, für andere auch eine große. Und ich glaube einfach, dass die Menschen heute das von allen Parteien erwarten. Sie wollen, dass alle Parteien an einem Strick ziehen und voran machen. Und sie wollen nicht grün wählen müssen, damit das Klima geschützt ist. Sie wollen auch Mitte oder FDP oder SP wählen können, um Klimapolitik zu bekommen. Denn die Umfragen zeigen ja sehr deutlich: Die Menschen wissen relativ viel, sie machen sich sehr viel Sorgen, und sie wollen, dass etwas getan wird. Das ist eben nicht nur Verzicht, das ist eine Riesenchance: Ich verzichte ja nicht einfach blind, sondern ich verzichte zugunsten meiner Kinder. Ich verzichte zugunsten zukünftiger Generationen, und ich verzichte auch zugunsten armer Menschen, die heute knallhart von diesem Klimawandel betroffen sind. Und deshalb ist tatsächlich manchmal weniger mehr.

Sandra Leis [:

Bernd Nilles, Sie sind jetzt vier Jahre dran mit dieser ökumenischen Kampagne, setzen sich für Klimagerechtigkeit ein. Wie messen Sie eigentlich den Erfolg der Kampagne oder die Wirkung? Sprechen wir mal von Wirkung. Wie messen Sie das?

Bernd Nilles [:

Fastenaktion macht für alle Projekte im globalen Süden, aber auch für seine Arbeit hier in der Schweiz Evaluationen. Wir schauen genau hin, was das eigentlich bringt.

Sandra Leis [:

Wer macht?

Bernd Nilles [:

Also wir beauftragen wir extern. Das waren zum Teil britische Wissenschaftler, die für uns in diese Projekte im Süden gereist sind und genau gemessen haben: Wie viele Menschen werden da erreicht? Wer wird eigentlich erreicht? Hilft das? Wirkt das? Und das kann man jedes Jahr bei uns auch nachlesen in den Wirkungsberichten, wie wir da über 2,5 Millionen Menschen in der Welt effektiv deren Lebenssituation verbessert haben. In insgesamt 14 Ländern, also da haben wir sehr gute Ergebnisse.

Sandra Leis [:

Wissen Sie auch, was Sie in der Schweiz erreicht haben mit der ökumenischen Kampagne?

Bernd Nilles [:

Genau. Und bei der Schweiz lassen wir verschiedene Methoden evaluieren. Wir haben zum Beispiel die Uni Bern, die Abteilung für Nachhaltigkeit. Die haben wir gebeten, unsere Klimagespräche zu evaluieren. Die haben festgestellt, dass tatsächlich die Teilnehmenden ihren CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren. Wir haben jetzt aktuell spannende Projekte laufen: eins zum Beispiel mit der Urner Kantonalbank, wo die Mitarbeitenden Klimagespräche machen. Auch dort haben wir mit der Geschäftsführung geschaut und festgestellt, dass das tatsächlich die Firmenkultur positiv beeinflusst. Zum Beispiel, dass die Leute jetzt auch mehr über die Klimakrise sprechen und auch überlegen, wie kann die eigene Firma vorankommen? Das ist recht erfolgreich.

Wir machen Umfragen bei den Pfarreien, wo wir die Rückmeldungen bekommen. Ich kann aber nicht automatisch sagen, ich sage jetzt mal, wenn die gesamte Gesellschaft in der Schweiz sich nachhaltiger verhält, kann ich jetzt nicht sagen, das war Fastenaktion, Dank uns. Genau das kann ich so eng nicht machen. Ich kann das nur messen bei den Menschen, mit denen wir konkret gearbeitet haben. Weil es gibt natürlich andere NGOs und Hilfswerke und Vereine und Initiativen, die auch ganz viele tolle Sachen machen. Und mit vielen arbeiten wir ja auch zusammen. Also Fastenaktion arbeitet auch in ganz vielen Netzwerken und ich glaube, auch die Pfarreien und der grüne Güggel, die messen und versuchen voranzukommen. Also ich glaube, in der Gesellschaft beobachte ich, dass sich ganz viel bewegt. Und wir wollen vor allen Dingen die Menschen, die auch bereit sind, voranzugehen, die wollen wir ermutigen, stärken und ihnen Hilfsmittel auf dem Weg geben und auch sagen, es ist sinnvoll, es bewirkt etwas. Und wenn ihr das mit Fastenaktion macht, erreicht ihr sogar noch weit über die Schweiz hinaus auch noch international eine Wirkung.

Sandra Leis [:

Sie geben ja auch konkrete Tipps, beispielsweise im Fastenkalender, Handlungsanweisungen, was man machen könnte. Es gibt aber auch Menschen – und darunter wird es sicherlich auch Spenderinnen und Spender geben von Fastenaktion –, die sehen es kritisch, wenn die Kirchen und auch christliche Hilfswerke sich engagieren, sich politisch engagieren oder eben auch für eine grünere Politik engagieren. Sie haben das Beispiel vorhin schon erwähnt mit der Konzernverantwortungsinitiative. Da haben Sie einerseits viel Lob bekommen für Ihr Engagement, aber auch harsche Kritik. Wie gehen Sie damit um?

Bernd Nilles [:

Also jede und jeder, der sich bei uns meldet, bekommt auch eine Antwort. Also ob jetzt per E-Mail oder hier anruft. Wir suchen immer den Dialog und das Gespräch. Und bei der Beratung war ich sogar selbst dabei und habe das Telefon mit abgenommen. Und habe die Chance gehabt, mit vielen Leuten zu sprechen. Und ich konnte ihnen stets recht gut erklären, warum Fastenaktion das macht. Es ist uns ganz wichtig, dass der Ausgangspunkt ist immer die Armut ist. In armen Ländern sind Ungerechtigkeiten und es gibt Rahmenbedingungen, wo wir glauben, wenn wir die verbessern, geht es den Menschen auch besser. Und das sehen wir auch, dass das so ist. Und bei der Konzernverantwortung waren wir sicher: Wenn die internationalen multinationalen Konzerne in der Schweiz, wenn die verbindliche Regeln bekommen, dass auch eine Familie oder eine Bauerngemeinschaft, die vertrieben wird von ihrem Land, hier die Möglichkeit hätte, sich zu wehren und zu klagen, dass das eine gute Sache ist. Dass wir damit nicht ganz falsch lagen, zeigt ja auch, dass aktuell die Verhandlungen laufen international, dass die gesamte Europäische Union fast, also wortgleich ist ein bisschen übertrieben, aber fast identisch, wie der Vorschlag der Konzernverantwortung so etwas für ganz Europa zum Gesetz machen will. Also so ganz falsch war die Idee glaube ich nicht. Und mit der Kritik gehen wir sehr offen um. Also wir hören auch genau hin und werden zum Beispiel bei zukünftigen Kampagnen auch noch mal reflektieren, wie wollen wir eigentlich den Dialog mit den Pfarreien, mit den Kirchen genau gestalten? Weil auf der einen Seite wollen wir die Menschen mobilisieren, sie ermuntern, aktiv zu werden für Gerechtigkeit. Ob jetzt Klimagerechtigkeit oder.

Sandra Leis [:

Armutsbekämpfung.

Bernd Nilles [:

Und Armutsbekämpfung. Konzerne, also wir, wir, wir wollen das und werden das auch weiterhin tun und werden uns zu Wort melden. Wenn das mal jemand als links oder als grün wahrnimmt, das Das mag sein, das ist aber nicht unser Narrativ, das ist nicht unsere Geschichte. Wir betrachten die Dinge aus dieser Gerechtigkeit, aus der Armutssperspektive. In der Kirche spricht man von der Option für die Armen. Wir sollen die Ärmsten und die Verwundbarsten in den Mittelpunkt stellen. Und wer ganz genau «Laudato si’» liest, der findet dort ja auch so wunderbare Sätze, die sagen, die Organisationen, die sich einsetzen für diese Gerechtigkeit, die sollen wir Christen alle stärken. Und das heißt, wir sind schon aufgerufen, sogar noch mehr zu machen. Auch eine Fastenaktion. Dass das auch mal auf Widerstand trifft, das weiß ich. Aber ich tu alles dafür, die Menschen irgendwie mitzunehmen, soweit es in meiner Macht liegt. Ansonsten bitte ich einfach um Verständnis, auch bei denen, die nicht hundert Prozent mit uns einig sind, dass sie doch verstehen und vielleicht auch ein bisschen respektieren, warum Fastenaktion das macht.

Sandra Leis [:

Für Ärger sorgte beispielsweise 2021 der Kampagnenslogan «Weniger Fleisch, mehr Regenwald». Da haben Sie die Bauern hier in Luzerne auf die Palme gebracht. Würden Sie das heute anders formulieren oder noch mal so machen?

Bernd Nilles [:

Das ist auch keine ganz einfache Frage. Das Plakat war sehr gut gemacht, und die Aufmerksamkeit in der Schweizer Gesellschaft war riesig. Sogar internationale Zeitungen haben teilweise über dieses Plakat geschrieben. Also es war ein Knaller. Und natürlich haben diese Plakate ja nur wenige Worte zur Verfügung. Und die Kraft des Bildes mit diesem Grillieren und im Hintergrund der brennende Wald. Das war natürlich klar: Es war eine Provokation. Die hat zu ganz vielen Diskussionen geführt. Was blieb am Ende übrig? Viele, viele Menschen wissen natürlich, dass unser Fleischkonsum und vor allem der weltweite Fleischkonsum zum Niederbrennen der Regenwälder beiträgt. Wo ich aber auch Kritik annehme, ist, dass sich auch tatsächlich einige Metzger und Bauernvertreter und Landwirte gemeldet und gesagt haben: Ja, im Grunde hättet ihr ja schreiben müssen «importiertes Fleisch».

Sandra Leis [:

So lautete die Kritik?

Bernd Nilles [:

Genau. Sie haben schon gesagt, das Problem ist ihnen auch klar. Aber sie wollten deutlich machen in der Kritik an Fastenaktion, dass Schweizer Fleisch einen anderen Status hat oder nachhaltiger hergestellt wird. Und das stimmt vor allen Dingen dann, wenn Bauern ihre Rinder nicht mit Soja aus den Regenwäldern füttern. Und das ist in der Schweiz an vielen Stellen der Fall. Es gibt auch negative Ausnahmen, muss man auch sagen. Es ist hier nicht alles tippitoppi. Also das heißt, wir müssen schon auch kritisch und ehrlich bleiben gegenüber uns selbst. Aber ich kann auch den einen oder anderen verstehen, der sich etwas auf den Schlips getreten fühlt.

Sandra Leis [:

Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Das war die 19. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast war Bernd Nilles. Er ist Geschäftsleiter des katholischen Hilfswerks Fastenaktion und mitverantwortlich für die ökumenische Kampagne während der Fastenzeit. Das Motto heißt «Weniger ist mehr». Und wenn Ihr, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, uns Feedback geben wollt, gerne per Mail, am podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83.

In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich mit den Schweizer Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet. Die beiden Schwestern sind Pionierinnen der feministischen Theologie und werden mit dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet. Bis in zwei Wochen. Und bleibt laut und manchmal auch leise.

Follow

Links

Chapters

Video

More from YouTube