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Re-set, Re-use, Re-play: Was passiert im campo mit der Sammlung?
Episode 719th September 2023 • Wohin damit? • Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG)
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Shownotes

Zum Auftakt der zweiten Staffel stellt Christoph Lichtin, Leiter Kultur bei der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, die drei Modi «Re-set», «Re-use», «Re-Play» vor. Sie waren ein ernst gemeinter Vorschlag in unserem Architekturwettbewerb, wie die Stiftung mit Objekten aus ihrer Sammlung am neuen Ort campo umgehen könnte. Die Teams, die beim Architekturwettbewerb mitgemacht haben, waren gebeten, diesen Vorschlag in ihren Konzepten mit- und weiterzudenken.

«Re-set»: Kulturgüter verlassen das Depot und werden «klassisch», aber im ganzen campo verteilt, ausgestellt «Re-use»: Kulturgüter erhalten ein zweites Leben und werden im Gebrauch in den Alltag reintegriert

«Re-play»: Kulturgüter werden reaktiviert in Kontexten und in einer Art und Weise, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren

Du hast Fragen, Inputs oder Kritik? Melde dich via sammelstelle@skkg.ch oder via Sprachnachricht

an 077 456 07 41.

Alle Info zu campo findest du hier, alle Info zum Siegerprojekt hier, und der Jury-Bericht zum

Architekturwettbewerb liegt hier

 Ausstellung Recycling Beauty, Fondazione Prada, Mailand, 17.11.2022-27.2.2023 

OFFICE OMMX, London 

Verity-Jane Keefe, London

Transcripts

PODCAST: Wohin damit? Unterwegs in die Zukunft des

Kulturerbes – Staffel 2

Re-set, Re-use, Re-play: Was passiert im campo mit der Sammlung?

(mit Christoph Lichtin, Leiter Kultur SKKG)

[Christoph Lichtin:] «Was werde ich heute machen? Ich werde Ihnen ganz kurz

erzählen, wieso die SKKG, die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, kein Museum

baut. Wieso, dass sie kein Schaulager baut und wieso sie aber trotzdem so ambitioniert

ein riesiges Bauprojekt plant für diese grosse Sammlung. Und was so unsere

Überlegungen sind, wie wir denn das machen mit den Objekten.»

[Alain Gloor:] «Hallo! Ich bin Alain Gloor, Co-Projektleiter des campo-Projekts. Der

Mann, den du vorher gehört hast - das ist Christoph Lichtin. Er ist Leiter Kultur bei der

SKKG und mein Chef. In dieser siebten Folge von unserem Podcast hören wir vor

allem ihm zu. Es ist der Start der zweiten Staffel. Wenn Dir das eine oder andere zu

campo und zum Sammlungshaus zu schnell geht, rate ich Dir, auch mal in die erste

Staffel hineinzuhören.»

[Christoph Lichtin:] «Es gibt genügend Museen in der Schweiz, und was eigentlich fehlt,

ist ein starker Partner, eine starke Partnerin für diese Museumsszene, die mit Objekten,

also Ressourcen, unterstützen kann. Die Geld hat. Wir sind auch eine

Förderungsstiftung, können Geld verteilen. Und die vielleicht auch in Zukunft noch mehr

Kompetenzen hat: Wie gehen wir mit Kulturerbe um? Das ist die Rolle, die wir suchen.

Und für diese Rolle sind wir im Moment dran, einen Ort zu schaffen, ein

Sammlungshaus an unserem Stiftungssitz, wo wir unser Wirkungsfeld ganz stark

sehen. Von da aus wollen wir wirken in die Museumsszene. Und an diesem Ort sind wir

jetzt dran.»

[Alain Gloor:] «Wie Christoph gesagt hat: Mit campo und dem Sammlungshaus soll kein

Museum entstehen und auch kein Schaulager. Aber trotzdem soll unsere Sammlung

eine grosse Rolle spielen und den Ort von A bis Z prägen.

Das ist auch das Thema dieser zweiten Staffel: das «Wirkungsfeld Sammlung». So

sagen wir dem bei uns intern. Wie kommt die Sammlung ins Gebäude? Wie wollen wir

mit ihr arbeiten? In was für Räumen? Verstehen wir uns eher als Schaukäserei oder als

Hightech-Labor? Worauf achten wir beim Depotbau? Und: Worauf achten andere so?

Was haben wir in den letzten Jahren von anderen gelernt?

Im Herbst geht die Zusammenarbeit mit dem Architekturteam endlich so richtig los. Wir

freuen uns sehr. Wir haben letztes Jahr einen Architekturwettbewerb für unser

Sammlungshaus und unseren campo lanciert. Das Nachwuchsbüro Studio Burkhardt

und Lucas Michael Architekten aus Zürich hat die Jury am meisten überzeugt. Sie setzen das Projekt gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Felix Eder um Und

Roland Roos ist zuständig für die Kunst, um. Seit Juni ist das offiziell. Alle Info zu ihrem

Siegerprojekt findest Du unten verlinkt.

Ein Punkt, der neben vielen anderen die Jury überzeugt hat: Wie die Sammlung ins

Gebäude kommt und sich mit den verschiedenen Nutzungen verbindet, das möchte das

Architekturteam erst mit uns, der SKKG, entwickeln. Sie präsentierten uns keine

fixfertige Lösung.

Grund genug, nochmals auf die Ausgangslage zu schauen. Also was wir den

Architekturteams im Wettbewerbsprogramm mitgegeben haben. Immer wieder habe ich

in der ersten Staffel nämlich von unseren drei Modi «Re-set», «Re-use» und «Re-play»

gesprochen. Aber wirklich vertieft habe ich das nie. Das übernimmt in dieser Folge

Christoph Lichtin, mein Chef. Im Frühling hat er darüber im Kunstmuseum Winterthur

gesprochen. Das hören wir uns jetzt an.»

Wir schätzen, dass wir etwa:

Quadratmeter Lagerfläche brauchen. Also, 7000 ist ein ganzes Fussballfeld.

Fussballfeldgrösse. Kann man sich etwa vorstellen. Es ist also ein ziemlich grosses

Volumen. An diesem Ort wollen wir kein Museum machen, kein Schaulager. Aber im

Wettbewerbsprogramm steht: möglichst grosse Sichtbarkeit der Sammlung. Wie macht

man das? Wir haben eine Testplanung gemacht mit drei Architekturbüros, und es war

die Aufgabe: Zeigt uns auf, wie man architektonisch, betrieblich Einsichten schaffen

kann in die Sammlung, in die Tätigkeit mit der Sammlung – es geht also nicht nur ums

Depot oder um Präsentation – in die Tätigkeit, in unsere Arbeit, in das Leben dieser

Stiftung, die diese Rolle sucht als Partnerin in der Museumsszene.

Das war eine schwierige Aufgabe für diese Testbüros, und wir haben dann zusammen,

sehr stark in unserem Kernteam, überlegt: Wie können wir diese Aufgabe fassbar

machen für diese Architekturbüros, dass wir die Sammlung sichtbar machen wollen.

Und wir haben dann oft einfach erzählt: «Ja, was könnte das sein?» Ich kann mich

erinnern, als in der Testplanung so die grossen ... die grossen Fragen in diesen

Dimensionen ist eigentlich: Wie viele Parkplätze braucht es? Reicht das bestehende

Parkhaus oder muss man da dazu bauen? Und dann diskutiert man tagelang in

Workshops über die Parkplatzverordnung und so.

Und ich habe dann einmal gesagt: «Ja, macht doch einfach die interessanteste

Tiefgarage, die ein Kulturraum ist. Also wenn man da reinfährt, beginnt eigentlich die

Vermittlung der Kultur schon. Vielleicht steht da ein Oldtimer. Vielleicht klebt ein Panzer

an der Decke. Vielleicht ist der Parkplatz, den ich benutze ... da passiert irgendwas, wo

vielleicht jemand erzählt, was das für ein Auto ist, wem das gehört, was der

Zusammenhang ist. Also eigentlich dort, wo vielleicht Kulturgeschichte anfängt, bei

jedem Einzelnen. Denkt doch einfach ein bisschen radikaler.» Und so etwa nach einem

Jahr Testplanung hat mir dann eine Architektin gesagt: «Ja, also wenn ihr so radikal denkt, dann könnte man ja auf der Toilette etwas aufhängen.» Da habe ich gefunden:

Ja, jetzt kommen wir langsam zum Punkt.

Also wir haben dann gesagt, wir wollen’s in drei Modi eigentlich sehen im Wettbewerb,

wie man die Sammlung einsetzen könnte. Diese Modi heissen «Re-set», «Re-use»,

«Re-play». Und es ist eigentlich so wie ein Imaginationsraum, den wir den Architekten

mitgegeben haben zu überlegen, wie man mit Kulturobjekten, mit Sammlungsobjekten

umgehen könnte auf diesem Gelände.

Das Ziel ist, dass wir eigentlich diese Sichtbarkeit wollen, dass wir wollen, dass die

Leute, die sich da aufhalten, die auch da leben, es sind über 60 Wohnungen geplant,

dass die der Kunst, der Kultur eigentlich ganz selbstverständlich begegnen. Dass

dieser Ort auch ausstrahlt: Hier geht es um Kulturobjekte. Und diese drei Modi sind drei

verschiedene Möglichkeiten, wie man mit Kulturobjekten umgehen kann: «Re-set»,

«Re-use», «Re-play». Es gibt vielleicht noch mehr, es gibt vielleicht Varianten, es gibt

vielleicht Mischformen. Es geht darum, Objekte in eine Setzung zu bringen, dass sie

Ausgangspunkt sind für einen Dialog. Weil das ist der Kern unserer Stiftungsaufgabe:

Vermittlung des Kulturerbes heisst Dialog mit einem Gegenüber: «Wieso ist dir das

wichtig?» «Wieso wollen wir das behalten?» «Welche Bedeutung kann das für uns

heute haben?»

Ich habe etwas mitgebracht. Weil es zu kompliziert ist, hier aus dem Depot etwas zu

holen, habe ich gedacht, ich nehme etwas von zu Hause mit. Das ist ein Kulturobjekt.

Das ist ein Objekt aus meiner Sammlung. Das ist ... Ja. Was ist das? ... Ein

Tabourettli, genau. Es ist von einem Künstler gemacht. Es sieht nur aus wie ein

Tabourettli. Und es ist natürlich ein wertvolles Kunstwerk heute Abend. Und weil es ein

wertvolles Kunstwerk ist, ist es auch in Luftpolsterfolie eingepackt, dass dem nichts

passiert. Und ich zeige euch jetzt den Modus «Re-set» dieses Kunstwerks. Dann bitte

ich den Sammlungskurator doch bitte, das fachmännisch auszupacken, dieses Objekt.»

[Alain Gloor:] «Mit dem Sammlungskurator meint Christoph den Kurator Lynn Kost vom

Kunstmuseum Winterthur. Er hat die Ausstellung mit Installationen des Künstlers Oscar

Tuazon kuratiert und Christoph für den Input mitten in einem grossen Holzkonstrukt von

Tuazon eingeladen.»

[Christoph Lichtin:] ««Re-set» heisst: Wir bringen ein Kulturobjekt zurück in einen

Zustand, für den es eigentlich gedacht war. Das meinen wir mit «Re-set». Das heisst,

wir hängen ein Bild wieder an die Wand. Und zwar nicht in einem musealen Kontext,

sondern in einem Kontext, den Sie auch kennen. Sie haben es zu Hause aufgehängt,

Sie haben Kunst im Büro, Sie haben eigentlich Kunst überall vielleicht. Und das können

wir mit unseren Objekten auch machen. Wir können im Büro ein Bild ... wir können

einen Hodler einfach aufhängen und uns freuen ab diesem Hodler. Und wenn wir

Besucher haben, dann schauen wir diesen Hodler gemeinsam an, der macht sich dort

besser als im Depot.»

[Alain Gloor:] «Die Objekte sollen näher zu den Menschen, näher – oder zurück – ins

Leben. Das hat mich erinnert an ein Recherche-Gespräch mit dem Architekten und

Ausstellungsdesigner Hikaru Nissanke vom Büro OMMX in London. Im Mai letztes Jahr

haben wir uns online mit ihm getroffen. Hören wir kurz hinein, was er da gesagt hat:»

[Hikaru Nissanke:] “This collective adoration for an object obviously created this

incredible value. And they are often priceless ... incredibly expensive, and therefore

they start to be treated with this slight estrangement, they get put in humidity controls,

boxes, behind barriers. What would have been lived in and around suddenly becomes

contained within this bubble.”

[Alain Gloor:] «Ich übersetze kurz in meinen eigenen Worten: «Unsere allgemeine

Bewunderung für gewisse Objekte verleiht diesen einen teilweise enormen Wert. Sie

werden ganz einfach wahnsinnig teuer. Und damit entfremden wir uns von ihnen. Wir

schützen sie vor Feuchtigkeit, stecken sie in Kisten oder hinter Absperrungen. Womit

man hätte leben können, wird in eine Blase gesteckt.» Dann fährt er fort:»

[Hikaru Nissanke:] “There we get into that really weird paradox where we understand

the need to conserve and preserve and protect these very priceless objects. And yet

somehow this robs them of the very context that gave them some kind of meaning.”

[Alain Gloor:] «Er sagt: «Es ist ein Paradox, in das wir uns hineinmanövriert haben. Es

ist natürlich nachvollziehbar, dass diese sehr wertvollen Objekte restauriert, bewahrt

und beschützt werden müssen. Aber genau dies nimmt ihnen den Kontext, der ihnen

ursprünglich Wert verliehen hatte.»

Dieser Gedanke hat mich lange beschäftigt. Ich habe Trost darin gefunden, dass es

nichts Lebendigeres gibt als das, was paradox ist. Da gibt es keine einfachen

Antworten darauf. Zurück zu Christoph und seinem Tabourettli. Oder Kunstwerk? Oder

ist es einfach ein Stuhl?:»

[Christoph Lichtin:] «Wir können mit diesem Hodler leben. Und wir können auch mit

diesem Stuhl leben. Wir können den museal platzieren in dieser Installation. Es ist ein

wunderbares Objekt, eine Skulptur, die sich perfekt hier einreiht. Und niemand wird

denken: Das ist ein Tabourettli. Es ist ein Kunstwerk. In diesem Setting ist es ein

Kunstwerk. «Re-set» ist vielleicht aus unserer Perspektive eher eine Rückführung

wieder in einen Zustand, um etwas damit zu machen. Und in unserem Kontext im

Sammlungshaus wäre «Re-set» eigentlich nicht eine Rückführung in einen musealen

Kontext, sondern in einen Alltags- und Lebenskontext. Und wir gehen sogar so weit,

dass wir sagen, es wäre doch wunderbar, wenn unsere Mieterinnen und Mieter

vielleicht sogar einen Hodler zu Hause hätten. Wieso nicht? Also es ist doch besser,

einen Hodler zu Hause zu haben als im Depot. Also an diesen Möglichkeiten überlegen

wir. Ich sage immer: «Ja, wir haben hundert Hodler, also einen finden wir schon, den

wir ausleihen können, einem Mieter.» Also «Re-set», Rückführung. Das Zurück ist auch

so etwas, was wichtig ist, etwas in eine ursprüngliche Bedeutung zurückzubringen.

Wir haben aber noch zwei andere Modi. Der zweite ist «Re-use». «Re-use»: Das geht

so. «Re-use»: okay. Ihnen stockt der Atem. Jetzt bin ich einfach auf ein Kunstwerk

gesessen. Oder auf ein Kulturobjekt. Wir haben 100’000 Objekte in der Sammlung. Wir

haben vielleicht 30 Appenzeller Bauernschränke und wir hatten auch einen

Spezialisten, der hat die schon alle angeschaut und der hat gesagt: «Ja, zwei von

denen möchten alle haben: das Appenzeller Museum, das Landesmuseum, alle

möchten das haben. Und dann gibt es noch drei, vier, die sind wirklich wunderbar. Und

die anderen 25? Schöne Schränke.» Okay, also vielleicht wichtige Kulturobjekte im

ganzen Kontext. Es geht ja nicht darum, immer nur das Beste und das Wichtigste zu

haben. Aber vielleicht auch Objekte, die wir einfach nochmals brauchen könnten, also

die wir einfach wieder als Schrank brauchen könnten.

Das ist der «Re-use»-Aspekt, den wir auch vorsehen. Zu sagen: «Okay, wir könnten

doch einfach auch einen Schrank aus der Sammlung nehmen.» Wir zeigen, dass es ein

Kulturobjekt ist. Wir tragen auch Sorge zu denen. Wir wollen, nicht, dass es kaputt geht,

aber wir verhelfen dem noch mal zu einem zweiten Leben. Das ist so die These, die wir

haben und die wir auch verfolgen wollen. Dinge einfach wiederverwenden, Dinge aber

auch eben in den Alltag zurückbringen. Und da sollen sie auch als Kulturobjekte

wahrgenommen werden. Sie sollen Ausgangspunkt sein für einen Dialog, für eine

Beschäftigung damit. Soll ich jetzt Sorge tragen? Ich ... wenn ich hier drauf sitze, dann

sitze ich nur mit Hosen, die keine Ösen haben, weil ich will ja nicht, dass das zerkratzt

wird. Ich weiss schon, wie ich mich da hinsetzen soll, dass das eben noch dieses

wunderbare Objekt bleibt. Und wenn halt mal was passiert, ja, dann ist es halt

passiert.»

[Alain Gloor:] «Was muss ein Objekt aushalten können? Aufgrund welcher Kriterien

kann welches Objekt aus unserer Sammlung in einem der drei Modi eingesetzt

werden? Das sind Fragen, die wir noch nicht geklärt haben und die uns in der nächsten

Zeit noch viel Arbeit machen werden. Nochmals zu Christoph:»

[Christoph Lichtin:] «Sie kennen den Begriff «Re-use» aus der Architektur. Und wir sind

in einer Phase, in der wir uns ganz intensiv beschäftigen müssen: Wie gehen wir mit

Ressourcen um? Wird immer alles neu sein? Und können wir nicht Dinge vielleicht

auch wiederverwenden? Und diese Frage bei Kulturobjekten zu fragen, ist heute ein

Tabu. Also etwas wieder zurückzuführen in einen Lebenszusammenhang. Aus dem

musealen kulturellen Kontext wieder in eine andere Bedeutung zu geben, ist ein Tabu.

Und das ist ein Tabu, mit dem wir uns ganz intensiv beschäftigen wollen, weil wir

denken, das ist ein Gebot der Stunde, darüber nachzudenken, ob Sammlungen einfach

immer weiterwachsen sollen. Oder ob Dinge vielleicht nicht auch wieder aus einer

Sammlung herausgehen sollen. Und wenn, wenn nicht die SKKG kann sich mit diesen

Fragen beschäftigen. Wir haben 100’000 Objekte. Es sind also eigentlich schon viel zu

viele. Und sich dann damit zu beschäftigen: Wie könnte diese Sammlung trotzdem sich

weiterentwickeln, ohne nochmal ein Fussballfeld zu bauen? Das ist eine zentrale Frage,

der wir uns stellen.

Und wir denken eher an eine Form der Transformation auch in der Sammlung, dass

sich einfach Dinge verändern, dass Neues dazu kommt, dass gewisse Dinge vielleicht

auch wieder herausgehen, dass vielleicht auch Dinge verschwinden. Vielleicht gehört

das Vergessen auch zum Sammeln. Also es sind so die Fragen, die uns sehr intensiv

beschäftigen. Und da heraus kommt der dritte Modus, das ist das «Re-play». Man

könnte ja mit solchen Dingen auch ganz anders umgehen. Zum Beispiel: So. Also wir

könnten Objekte in einen anderen Kontext stellen.»

[Alain Gloor:] «Kurz zur Erklärung: In diesem Moment hängt Christoph das Tabourettli,

äähh das Kunstwerk oder doch Gebrauchsobjekt in die Holzkonstruktion von Oscar

Tuazon, in der wir sitzen.»

[Christoph Lichtin:] «Wir könnten damit spielen und etwas Neues kreieren. Und das war

auch eine Aufgabe im Architekturprogramm: Ist es möglich, aus diesen Kulturobjekten

etwas Neues zu machen? Da gibt es verschiedene Skalierungsmöglichkeiten. Man

kann das Objekt verfremdet platzieren. Es bleibt das Objekt, wie es ist. Es ist

reversibel, ich kann es zurücknehmen und ich kann mich wieder draufsetzen. Ich kann

es im Museum auf einen Sockel stellen und sagen: Ist ein wichtiges Objekt des

Künstlers. Oder ich kann das in eine Installation überführen und etwas Neues damit

machen.

Also diese Idee, dass sich kulturelle Prozesse weiterentwickeln, aktiv eigentlich auch

befördern mit den Objekten. Wir haben im Architekturwettbewerb das so formuliert,

dass wir sagen: Zeigt uns an drei expliziten Orten, wo Kulturobjekte einen besonderen

Auftritt erhalten sollen. Und ich kann jetzt schon verraten, dass auch das eine

unlösbare Aufgabe für die Architekten war. Offenbar viel zu schwierig, sich das

vorzustellen. Man kann fast nicht glauben, dass wir diesen Mut haben, solche Dinge zu

machen. Aber es ist noch nicht zu spät. Wir werden das dann mit dem Siegerprojekt

schon noch durchbringen. Also ich möchte eigentlich zeigen, und das fällt Ihnen jetzt

auch auf, wenn Sie das so sehen: Was passiert mit diesem Objekt? Wie sieht das aus?

Wenn es so da oben hängt? [Undeutlich.] Ja, sogar. Ja. Also, wenn man hier drin ist

und man würde so kommen, wäre es ganz selbstverständlich. Ja, klar. Es hat etwas

Irritierendes. Vielleicht ist es auch aus dem Zusammenhang etwas Humorvolles. Also,

es kann auf jeden Fall ein Anstoss sein, darüber nachzudenken: Was soll das? Was ist

das? Was bedeutet das für mich? Wieso ist da ein Stuhl an der Decke? Was ist die

Geschichte dahinter? Also ich will jetzt nicht sagen, dass das ein gutes «Re-play»-

Beispiel ist, das lange Bestand haben wird.

Also das sind so die Modi, die wir uns überlegen, wie wir mit dieser Sammlung

umgehen können. Sie merken jetzt schon, dass wir ganz viel kuratorische künstlerische

Arbeit brauchen mit der Sammlung. Aber das wird unser Alltag sein, Dinge zu

entdecken, die ans Tageslicht zu bringen, zu inszenieren. Und es wird all diese

Varianten irgendwo geben.

Jetzt ist das eigentlich gar keine Erfindung. Also wenn man jetzt in der Kunst ein

bisschen zurückdenkt, sind es die zentralen Praktiken seit Tausenden von Jahren.»

[Alain Gloor:] «Das ist mir schlagartig und stark verdichtet deutlich geworden in der

Ausstellung «Recycling Beauty» in der Fondazione Prada in Mailand. Ich hatte sie

Anfang Jahr besucht. Die Ausstellung hat gezeigt, wie sich Skulpturen, Gemälde,

Werke aller Art durch menschliche Eingriffe verändert haben. (Und das über Tausende

von Jahren). Durch Ergänzung, Neuinterpretation, verschiedene künstlerische

Strategien. Und die Frage steht natürlich im Raum: Was ist denn nun das Original? Wie

alt ist dieses oder jenes Objekt nun tatsächlich? Es war hochspannend. Auf der

Website der Fondazione Prada steht heute etwas hochtrabend zur Ausstellung:

««Recycling Beauty» hebt die Bedeutung von Fragmenten, von Re-use und

Interpretation hervor und trägt dazu bei, die Vergangenheit als ein instabiles Phänomen

in ständiger Entwicklung zu betrachten.» Ich verlinke unten. Es gibt auch ein schönes

Video dazu. Ein letztes Mal zu Christoph:»

[Christoph Lichtin:] «Dass eine Kultur etwas entstehen lässt, dass die nächste das für

sich vereinnahmt, wertschätzt, dass sie es vergisst, wieso sie es hat, dass sie es

wiederverwendet, dass sie es umbaut, dass sie es transformiert. Dass eine nächste

Generation etwas wiederentdeckt. Dass sie darüber schreibt, wieso die vorhergehende

Generation das nicht gesehen hat ... weil die einfach zu dumm waren zu sehen, was

sie haben. Also es ist eigentlich genau das, was Beschäftigung mit Kulturerbe ist: Dinge

in einen Prozess zu bringen, diese Wertschätzung zu pflegen, auch zum Ausdruck zu

bringen, zu institutionalisieren.

Aber in grossen Zusammenhängen ist diese Transformation seit lange schon im Gang.

Und es gibt Kulturtechniken. Techniken der Aneignung. Es gibt künstlerische

Techniken: die Collage, die Assemblage, also dass man einfach Dinge

wiederverwendet bis zum Klauen von guten Ideen, also etwas, was eigentlich durch die

ganze Kunstgeschichte immer wieder praktiziert wurde. Und da wollen wir auch ein Ort

sein, der das aktiv befördert, der sich damit beschäftigt und sich immer wieder öffnet

eigentlich diesen Fragen: «Warum haben wir das? Warum behalten wir das? Was soll

das? Wohin damit?»»

[Alain Gloor:] «Schon spannend, oder? Auf dieser Grundlage steigen wir bald in die

Zusammenarbeit mit dem Architekturteam. Es wird dann nicht nur um «Re-set», «Re-

use», «Re-play» gehen, sondern auch darum, wie sich die Sammlung mit der

Architektur und dem Leben verschränkt. «Wie sich die Sammlung mit der Architektur

und dem Leben verschränkt.» Das klingt immer so abstrakt und etwas hochgestochen.

Eigentlich hat es Verity-Jane Keefe viel besser ausgedrückt. Mit der Künstlerin aus

London haben wir letztes Jahr ein Recherche-Gespräch geführt:»

[Verity-Jane Keefe:] “So again, I was thinking: Where does the building end and the

collection start? Where does the community end and the collection start? What are the

fuzzy edges between the ambition of the building and how it is situated within this

broader neighbourhood? And then also: what’s the potential for the building not just as

a container for the collection but potentially as a kind of, you know, the incubator of the

collection ... part of the building becomes part of the collection and the collection

becomes part of the building. What’s the ambition for that?”

[Alain Gloor:] «Also, sie sagt Folgendes: «Wo hört das Gebäude auf und wo fängt die

Sammlung an? Wo hört die Community auf und beginnt die Sammlung? Wo sind die

unscharfen, verschwommenen Übergänge oder Kanten zwischen dem, was das

Gebäude will und wie es in der Nachbarschaft situiert ist? Was ist das Potenzial des

Gebäudes nicht nur als Container für die Sammlung, aber auch als Inkubator? Das

Gebäude wird ein Teil der Sammlung und die Sammlung ein Teil des Gebäudes. Was

würde das bedeuten?» Genau das wollen wir herausfinden. Wenn wir etwas mehr

wissen, werde ich hier gerne davon erzählen.

Hast du Feedback oder Fragen zum Input von Christoph? Schreib mir auf

sammelstelle@skkg.ch oder schicke mir eine Sprachnachricht an: 077 456 07 41.

Bis bald! Falls du den Podcast auf deiner Plattform des Vertrauens noch nicht abonniert

hast – dann mach das. So verpasst du auch bestimmt nicht, wenn’s weitergeht.

Mein herzlicher Dank geht ans Podcast-Projektteam, an Christoph Lichtin und das

Kunstmuseum Winterthur.

Und ein grosses Dankeschön auch dem SKKG-Team, der Podcastschmiede sowie

Nico Feer für den Sound. Und, last but not least: danke, Bruno!

Ein Moment noch! Ich will Dir doch noch etwas Letztes aus Christophs Input zeigen.

Jemand aus dem Publikum hatte nachgefragt, was er denn gemeint habe damit, dass

auch das Vergessen Platz in Sammlungen haben sollte:»

[Christoph Lichtin:] «Ich glaube, es gehört einfach zum Leben, dass man auch Dinge

vergessen kann. Wenn wir alles behalten würden in der Erinnerung, das wäre

schrecklich. Wenn wir alles aufbewahren würden, was eine Gesellschaft geschaffen

hat, das wäre eine Katastrophe. Und wenn Museen ... eigentlich so, wie jetzt viele

Museen denken, alles für die Ewigkeit behalten wollen und aufbewahren wollen, dann

ch sage es jetzt extra – in:

diese Veränderungen, das Vergessen, das Verlieren, die Transformation, die muss

eigentlich in dieser Beschäftigung mit Kulturerbe einen neuen Weg finden. Und ich

glaube, das Vergessen kann auch ein positiver Wert sein.»

[Alain Gloor:] «Ich hatte Christoph damals im Frühling direkt nach dem Input eine SMS

geschrieben, ich musste rasch auf den Zug. In der SMS stand: «Eine Stiftung, in der es

um Kulturerbe geht, wo neben dem Erinnern auch das Vergessen Platz hat – da will ich

mitarbeiten und -denken. Diesen Weg will ich mitgehen.» Wie gesagt: Ich bin gespannt,

wo der Weg als Nächstes hinführt! Bleib hier dran, dann bekommst auch du es mit.»

Links:

Alle Info zu campo findest du hier, alle Info zum Siegerprojekt hier, und der Jury-Bericht

zum Architekturwettbewerb liegt hier.

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