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Matthias Wenk: «Ich lehne die Priesterweihe für Männer und Frauen ab»
Episode 4428th March 2025 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:32:15

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Shownotes

Bis vor kurzem arbeitete Matthias Wenk als Cityseelsorger für die katholische Kirche in St. Gallen. Ab April macht er dasselbe für die reformierte Kirche. Über seine Gründe spricht der 48-Jährige, der bis zu seinem Entscheid auch Radioprediger von SRF gewesen ist, im Podcast «Laut + Leis».

 Themen dieser Folge:

  • Wechsel zu den Reformierten: die theologischen Gründe
  • Hierarchische Strukturen: weshalb er sie heute nicht mehr unterstützen will
  • Christkatholische Kirche: warum sie keine Option gewesen ist
  • Priesterweihe: Matthias Wenk hält sie für mystisch überhöht.
  • Frauenfrage: eine Ungerechtigkeit, die er nicht länger mittragen will
  • Eucharistie: weshalb er sie nicht mehr mitfeiern kann
  • Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche: Welche Rolle sie für den Entscheid gespielt hat
  • Reaktionen von Arbeitskollegen und Familie: Die evangelisch-lutherische Mutter hat sich anfangs schwergetan.
  • Zweijähriges Probeverfahren: was es braucht, bis Matthias Wenk zum evangelisch-reformierten Pfarrer gewählt werden kann
  • Die Reformierten stellen in St. Gallen eine eigene Cityseelsorge auf die Beine: weshalb es mit der Ökumene nicht klappt

 

 

Transcripts

Matthias Wenk [:

Ich glaube aber auch, dass ich durch meine Tätigkeit bisher auch wie ein ökumenisches Bindeglied sein kann, gerade in der Arbeit von der City-Seelsorge, aber auch in der ökumenischen Arbeit unter den Seelsorgenden hier in der Stadt. Und mir ist auch ganz wichtig zu betonen, die katholische Kirche hier in St. Gallen vor Ort, die macht wunderbare Arbeit. Deshalb bin ich auch so lange geblieben, das ist ein Grund, weil … weil die Menschen hier, meine Kolleginnen und Kollegen, wunderbare Arbeit machen.

Sandra Leis [:

Das sagt Matthias Wenk. Bis vor kurzem arbeitete er als City-Seelsorger für die römisch-katholische Kirche in St. Gallen. Ab April machte er dasselbe für die evangelisch-reformierte Kirche. Ein außergewöhnlicher Schritt. Warum er zur Schwesterkirche konvertiert ist und was er sich davon verspricht, darüber sprechen wir in dieser Folge des Podcasts «Laut + Leis». Ich bin Sandra Leis und besuche Matthias Wenk zu Hause in St. Gallen Vielen Dank, nehmen Sie sich Zeit für dieses Gespräch. Bevor wir zu unserem eigentlichen Thema kommen, eine Frage an Sie. Sie sind in dieser Woche am Vollfasten. Das heißt, Sie verzichten auf jegliche Nahrung. Wie geht es Ihnen heute?

Matthias Wenk [:

Heute ist der vierte Tag. Ich fühle mich relativ gut, aber ich merke, dass meine Kräfte dieses Jahr schneller nachlassen. Ich fühle mich heute so wie am sechsten Tag sonst die Jahre zuvor. Also doch relativ müde und ein bisschen schlapp. Aber ansonsten ganz gut. Und ein Ende ist absehbar letztlich. Gott sei Dank.

Sandra Leis [:

Sie stecken in einer Zwischenphase. Sie haben Ihre Arbeit als City-Seelsorger bei der katholischen Kirche beendet. Der Neuanfang bei den Reformierten steht bevor. Wie verbringen Sie diese Tage dazwischen?

Matthias Wenk [:

Ich habe festgestellt, es ist eine sehr schwierige Zeit, die Übergänge oder dieser Übergang ins Neue. Einerseits arbeite ich schon ein bisschen für die neue Stelle, und andererseits gibt es noch Dinge zum Abschließen, wie jetzt diese Vollfastenwoche, wo ich eine Gruppe begleite, gemeinsam mit einer Kollegin. Das ist eigentlich noch im bisherigen Arbeitspensum mit enthalten. Und ich stehe so ein bisschen zwischen den beiden Phasen und ich bin dann froh, wenn ich dann wieder einen Arbeitgeber habe und wenn Dinge dann auch wieder klarer sind.

Sandra Leis [:

In St. Gallen sind Sie ein stadtbekannter Katholik und haben sich auch immer engagiert für Reformen und auch neue Formate ausprobiert in den Gottesdiensten. National bekannt sind Sie als Radioprediger bei SRF. Was gab den Ausschlag, zu den Reformierten zu wechseln? Weil Sie sind wirklich als katholischer Seelsorger bekannt. Was gab den Ausschlag für den Wechsel?

Matthias Wenk [:

Der Ausschlag für mich ist nicht an einem Punkt festzumachen. Es ist für mich eine Entwicklung. Ich glaube, die Menschen, die mich kennen, für die ist der Schritt auch irgendwie konsequent und logisch nachvollziehbar. Für mich ist es die Struktur, hinter der ich nicht mehr stehen kann. Also die Struktur, die Ungleichheit schafft durch die Weihe. Die Struktur, die Ungleichheit schafft, dass Frauen nicht in Leitungspositionen zugelassen werden auf Grund der Weihe, die sie nicht empfangen können. Ich habe mir wirklich ganz intensiv Gedanken darüber gemacht, wofür möchte ich meine Kraft einsetzen. Als gläubiger Christ ist es mir wichtig, meine Kraft einzusetzen für das, was im Evangelium Reich Gottes heißt. Für mich, ich brauche lieber das Wort Gottes Neue Welt. Ich möchte meine Kraft nicht dafür einsetzen, Veränderungen an einem System zu erwirken. Das ist für mich eigentlich vergeudete Kraft. Ich möchte für das Gute mich einsetzen.

Sandra Leis [:

Sie haben lange für Reformen gekämpft. Sind Sie ein Stück weit auch frustriert, dass es nicht so geklappt hat, wie Sie es sich vielleicht vorgestellt haben?

Matthias Wenk [:

Ich glaube, Frustration ist ein zu starkes Wort. Ich habe festgestellt, es bewegt sich nichts an der Struktur. Also muss ich mich bewegen. Wer Veränderungen will, muss bei sich anfangen.

Sandra Leis [:

Und wie haben Ihre Arbeitskolleginnen und auch Ihre Familie darauf reagiert auf diese Entscheidung?

Matthias Wenk [:

Ich bin damit sehr transparent umgegangen und deshalb war es für meine Kolleginnen und Kollegen keine Überraschung. Also ich habe sie auch früh mit eingebunden in meine Zweifel, meine Überlegungen, also meine direkten Kollegen und meine Familie natürlich auch. Meine Mutter, die eigentlich evangelisch ist, die war ein bisschen, ja, sie musste sich länger damit anfreunden. Weil sie doch lauter katholische Kinder erzogen hat als Evangelische.

Sandra Leis [:

Und Ihr Vater? Er ist ja katholisch.

Matthias Wenk [:

Ja, er ist katholisch, und für ihn ist das sehr rational. Er kann das sehr gut nachvollziehen.

Sandra Leis [:

Sie leben hier zusammen mit Ihrer Frau und der erwachsenen Tochter. Die beiden sind römisch-katholisch. Wie leben Sie die Ökumene hier bei sich zu Hause?

Matthias Wenk [:

Wir haben die Ökumene auch bisher gelebt, weil für uns alle drei ist Ökumene etwas Zentrales. Also eigentlich, wenn wir eine Konfession frei erfinden dürften, dann wäre das wahrscheinlich ökumenisch. Für sie ist das nachvollziehbar und wir versuchen trotzdem, unseren Lebensalltag, der ja sowieso nicht konfessionell geprägt ist, zu leben. Beim Beten am Mittag zum Beispiel: Zum Teil, meine Frau, bekreuzigt sich mal noch, und für mich ist das jetzt wirklich kein Zeichen mehr, das ich brauche in meinem Gebetsalltag. Das ist so ein konkretes Beispiel.

Sandra Leis [:

In der Pressemitteilung zu Ihrem Wechsel lassen Sie sich wie folgt zitieren. «Ich möchte als Seelsorger und Theologe im Dienst der Menschen stehen. In der evangelisch-reformierten Kirche kann ich das mit gutem Gewissen und glaubwürdig tun.» Warum geht das in der römisch-katholischen Kirche für Sie nicht mehr?

Matthias Wenk [:

Für mich sind das theologische Gründe. Es ist zum einen die Frauenfrage und zum anderen tatsächlich auch die Frage der Weihe. Das sind Punkte, die ich theologisch nicht nachvollziehen kann und auch nicht mehr unterstützen kann. Und ich glaube auch, die ganze Struktur und die Hierarchie ist etwas, wo ich als demokratisch geprägter Mensch wirklich meine großen Fragen habe, also wenn man in die Kirchengeschichte schaut. Oder das ganze System der römisch-katholischen Kirche ist ein monarchisches System, das bis auf die Kaiserzeit von Kaiser Konstantin zurückgeht und natürlich auch noch ganz viel aus der Zeit des Absolutismus eigentlich in sich mit dem Pomp und Prunk geprägt hat. Und für mich ist wirklich das Zentrale: Es ist eigentlich keine Bewegung weg, sondern eine Bewegung hin zu, hin zu einer Kirche, die für mich das Priester:innentum aller Gläubigen lebt. Und auch in der Struktur sich das widerspiegelt. Und das ist etwas, wo mein Gewissen sagt, ja, da kann ich dahinterstehen.

Sandra Leis [:

Sie sagen, Priester:innen aller Gläubigen. Wenn ich Sie richtig verstehe, lehnen Sie das Priesteramt generell ab. Also für Männer und für Frauen und für alle dazwischen. Oder? Das verstehe ich richtig. Sie sagen, es braucht keine Weihe. Wie sind Sie dazu gekommen, zu dieser Erkenntnis?

Matthias Wenk [:

Wenn wir den Taufritus anschauen in der römisch-katholischen Kirche, werden Kinder gesalbt und getauft zu König:innen, Priester:innen und Prophet:innen. Das ist unser Amt als glaubende Christ:innen. Also man muss nicht noch zusätzlich ein mystisch aufgeladenes Priestertum schaffen, das für mich ja in jedem steckt, der glaubt, der an diesen Christus glaubt.

Sandra Leis [:

Ist das auch der Grund, weshalb Sie beispielsweise nicht zu den Christkatholikinnen und -katholiken gewechselt haben? Wäre ja auch eine Option gewesen. Liegt das an diesem Priesteramt?

Matthias Wenk [:

Ja, das liegt daran. Also diese Synodalität, die in der Christkatholischen Kirche da ist, die schätze ich sehr. Ich finde, das ist eine lebendige Kirche, ja, aber die Weihe ist für mich wirklich das Ausschlaggebende.

Sandra Leis [:

Interessant, ich würde gerne mit Ihnen auch auf Ihre religiöse Biografie schauen, was sind da die wichtigsten Punkte Ihrer Entwicklung? Also heute sind Sie 48 Jahre alt, und Sie haben ja vorhin gesagt, Sie seien sehr katholisch erzogen worden. Von Ihrer Mutter, die aber evangelisch-lutherisch ist. Können Sie kurz Ihre Stationen beschreiben, die ganz entscheidend gewesen sind?

Matthias Wenk [:

Also meine früheste Kindheit war nicht groß religiös. Meine erste Kirchenerfahrung war, dass mein Vater mit mir schreiend aus der Kirche wieder raus musste, weil mir die Orgel zu laut war. Die kann sehr heftig sein. Und das hatte ich damals, glaube ich, als Drei- oder Vierjähriger nicht erwartet. Und ich habe mich dann nach der Erstkommunion hat mich die Ästhetik und der Kirchenraum beeindruckt. Ich bin in einer Barockkirche großgeworden, in der Nähe von Nürnberg, also in Bayern, und auch von der Stellung des Stadtpfarrers, also unser Pfarrer hieß Stadtpfarrer. Das hat mich fasziniert, also diese Macht, die dort auch gefeiert wurde und diese Machtausübung und die Gewänder und der Prunk. Da wollte ich eigentlich schon als Kind Priester werden. Habe mich dann aber im Laufe schon meiner Jugend mit der Befreiungstheologie auseinandergesetzt, und mir ist relativ schnell klar geworden, dass dieses Kirchenbild nicht das Kirchenbild ist, das nah an dem ist, was die Jesus-Bewegung im Sinn hatte. Ich habe aber immer gedacht, ja, ich trete nicht aus der Kirche aus, weil ich möchte etwas verändern durch mein Wirken und habe dann als katholischer Theologe in der Schweiz begonnen zu arbeiten, auch weil ich in einem Praktikum die Haldenkirche in St. Gallen kennengelernt habe, eine ökumenische Kirche. Mir ist bewusst geworden, dass so etwas in Deutschland nicht möglich wäre. Und ich habe damals schon nachgeforscht, woran liegt denn das. Und das liegt auch an der Verfasstheit der katholischen Kirche in der Schweiz, das duale System. Das ist das demokratisch Möglichste im Rahmen der katholischen Kirche weltweit. Und da war mir bewusst, ja, wenn für die Kirche arbeiten, dann hier in der Schweiz für die katholische Kirche. Und dann hatte ich in Zürich meine Stelle, eher eine klassisch römisch-katholische Gemeinde. Dann bin ich nochmal nach Deutschland gewechselt mit meiner Frau zusammen. Wir haben für ein Benediktiner-Kloster gearbeitet und dort ist mir ganz fest bewusst geworden, wie diese katholische Kirche funktioniert. Es gibt klare Leitungsstrukturen. An so einem Männerkloster sieht man das und merkt man das relativ stark, welche Macht Männer haben. Und mir wurde dann auch irgendwann gesagt, wie ich katholische Kirche verstehe, das ist nicht mehr so, wie man das in Bayern versteht. Da gibt es ein Oben und ein Unten und ich sei zu schweizerisch geworden in meinem katholischen Denken. Und dann wurde die Stelle in St. Gallen frei in der ökumenischen Gemeinde Halden und die enge Zusammenarbeit mit der reformierten Seite und die freie Form, die dort möglich ist, das hat mich dann ganz, ganz fest geprägt. Das war nach der Erfahrung in Bayern in dem Kloster wirklich eine absolute Befreiung für mich und auch theologisch und so habe ich mich natürlich intensiv dann auch mit der reformierten Kirche auseinandergesetzt in der engen Arbeit.

Sandra Leis [:

Also sieht man die Entwicklung eigentlich schon ein bisschen, wenn man Ihre religiöse Biografie anschaut. Mich würde noch interessieren, welche Rolle hat denn die Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche gespielt? Die ist im September 2023 herausgekommen. War das auch noch ein Moment, bei dem Sie gedacht haben, ich will nicht mehr in der katholischen Kirche bleiben?

Matthias Wenk [:

Die Pilotstudie hat mir gezeigt, es liegt an den Strukturen, die Strukturen der Macht und es liegt an den Machtstrukturen, das ist inhärent, die wollen sich erhalten und die Pilotstudio hat gezeigt, dass das System darauf angelegt ist, Macht zu erhalten.

Sandra Leis [:

Gleichwohl hat man aber gesehen, dass es auch bei den Protestanten nicht viel besser ist, was Machtmissbrauch betrifft. Wie gehen Sie damit um? Also es gibt ja eine Studie in Deutschland, die nachher herausgekommen ist, in der Schweiz ist man noch nicht so weit. Bei der Untersuchung kam heraus, aber das war eben kein bisschen besser.

Matthias Wenk [:

Es war kein bisschen besser, aber die Begründung war eine andere. In der katholischen Kirche sind diese Machtstrukturen mystisch aufgeladen. Für mich ganz deutlich wird das in der Eucharistiefeier. Ich kann schon lange keine Eucharistiefeier mehr mitfeiern, weil für mich dort steht das Tor zu einem Missbrauch von Macht sehr weit offen, weil alles auf den Priester hin zentriert ist. Und ich glaube, dass genau diese Zentrierung und die mystische Aufladung, wenn man sich auch die Liturgie der Priesterweihe genau anschaut, das ist eine Überhöhung von uns als Menschen und eine mystische Begründung, mit der man alles begründen kann und es keinen Widerspruch geben kann. Und das ist für mich der ausschlaggebende Unterschied. Machtmissbrauch gibt es ja überall. Missbrauch von Kindern in Familien, leider, leider ist das der Hauptort von Missbrauch. Aber diese mystische Aufladung, die religiöse Begründung, warum jemand mehr Macht haben sollte als andere, das geht für mich mit einem aufrichtigen christlichen Glauben nicht zusammen.

Sandra Leis [:

kurz nach Erscheinen der Pilotstudie haben Sie eine Radiopredigt gehalten und öffentlich gefragt, soll ich bleiben oder gehen? Und Sie sind damals zu folgendem Schluss gekommen, ich zitiere sie noch einmal: «Die Ergebnisse der Pilot-Studie belegen nun eindeutig, wie anfällig für Missbrauch das System römisch- katholischer Kirche von Grund auf ist. Der dringende Reformbedarf ist also wissenschaftlich belegt. Der für mich persönlich entscheidende Grund, warum Ich bleibe, hat genau damit zu tun. Es braucht in der Kirche Menschen, die auf den Reformbedarf aufmerksam machen.» Darf ich es so deuten: Sie sind in der Zwischenzeit, in diesen eineinhalb Jahren, einfach reformmüde geworden?

Matthias Wenk [:

Ich glaube, es hat damit zu tun, was ich Ihnen anfangs gesagt habe. Ich musste mich irgendwann entscheiden, nachdem meine Diagnose von dem System lautet, es ist reformresistent. Es liegt eben auch in der Machtstruktur.

Sandra Leis [:

Man muss man sich selber bewegen, wie Sie es gesagt haben. Sie sagen bewegen, das kann ich sehr gut nachvollziehen, gleichwohl bleiben Sie aber hier in St. Gallen. Wäre eine konsequente Weiterentwicklung denn nicht auch gewesen, den Ort zu wechseln?

Matthias Wenk [:

Nein, da besteht für mich kein logischer Zusammenhang. Ich lebe hier, bin hier zu Hause und ich glaube aber auch, dass ich durch meine Tätigkeit bisher auch wie ein ökumenisches Bindeglied sein kann, gerade in der Arbeit von der City-Seelsorge, aber auch in der ökumenischen Arbeit unter den Seelsorgenden hier in der Stadt. Mir ist auch ganz wichtig zu betonen: Die katholische Kirche hier in St. Gallen vor Ort, die macht wunderbare Arbeit. Warum ich auch so lange geblieben bin, das ist ein Grund, weil die Menschen hier, meine Kolleginnen und Kollegen, wunderbare Arbeiten machen.

Sandra Leis [:

Im «St. Galler Tagblatt» hat die Präsidentin des katholischen Kirchenverwaltungsrates St. Gallen gesagt: «Man kennt Matthias Wenk, und vielleicht ist es schwer, vom Bild als katholischer Seelsorger wegzukommen.» Wenn ich Ihnen zuhöre, verstehen Sie sich eher als ökumenisch gläubiger Mensch.

Matthias Wenk [:

Das auf jeden Fall. Wobei natürlich, also mir wirklich auch Punkte an der reformierten Theologie und in der reformierten Struktur sehr, sehr zusagen.

Sandra Leis [:

Welche sind die wichtigsten?

Matthias Wenk [:

Die wichtigsten sind das demokratische Element und das Priestertum, Priester:innentum aller Gläubigen. Das sind für mich die ausschlaggebenden Punkte. Aber wirklich auch im Abendmahl-Verständnis, das ich bewusst nicht mehr katholisch sehe.

Sandra Leis [:

Das haben Sie deutlich erklärt, genau. Sie hatten bisher zwei Jobs beim gleichen Arbeitgeber. Sie waren im Ressort «Spiritualität und neue Gottesdienstformen» und eben bekannt als mobiler City-Seelsorger. Jetzt, neu, werden Sie Pfarr-Stellvertreter und übernehmen ein Teilpensum im neu geschaffenen, reformierten Team von der City- Seelsorge. Wenn ich das richtig verstehe, heisst das, Sie machen eigentlich dasselbe. Einfach auf der reformierten Seite, oder gibt es Unterschiede in den Aufgaben?

Matthias Wenk [:

Also es wird sicher Unterschiede geben in den Aufgaben, weil es gibt noch gar kein Konzept. Also die reformierte City-Seelsorge, die entsteht jetzt dann erst. Es sind jetzt auch erst alle vier Pfarrpersonen bestimmt worden. Wir müssen alles neu aufbauen und ich denke, es gibt auch bestimmte Akzentverschiebungen. Ich werde sicher nicht das Gleiche machen.

Sandra Leis [:

Weshalb spannen die beiden City-Seelsorge-Teams denn nicht zusammen, also die Katholiken und die Reformierten? Jetzt konkurrenzieren sie sich ja quasi.

Matthias Wenk [:

Also eine Konkurrenz ist es nicht, weil ich glaube, dass man sich immer gut ergänzen kann. Aber es ist natürlich auch ein Ziel von uns, ökumenisch zusammenzuarbeiten, also wenn ich im Namen meiner neuen Kolleginnen und Kollegen sprechen darf, das haben wir auch schon diskutiert. Aber auch in der Erfahrung mit der katholischen City-Seelsorge habe ich gemerkt, auch da ist immer der Wunsch gewesen, möglichst viel ökumenisch zu machen. Hintergrund, warum das im Moment noch nicht funktioniert, ist die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Finanzen. Also die katholische Kirche in St. Gallen ist deshalb auch stark, weil es eine ganze Kirchgemeinde ist für die ganze Stadt und die Reformierten sind drei Kirchgemeinden, die sich dann auch immer wieder in Absprachen auf bestimmte Bestimmungen einigen können und müssen. Und das ist ein bisschen komplexer auf dieser Seite, und diese Ungleichverteilung, die merken wir immer wieder. Auf der katholischen Seite sind es über 300 Stellenprozent, die die City-Seelsorge hat, und auf evangelischer Seite sind das 90 Stellenprozent.

Sandra Leis [:

Aber gleichwohl ist es doch verwunderlich, dass man da nicht ein gemeinsames Konzept erarbeitet, gerade bei der City-Seelsorge, wo ja Konfession eigentlich keine Rolle spielen sollte.

Matthias Wenk [:

Ich glaube, es hat auch was damit zu tun, dass die beiden Konfessionen auch sagen wollen, wir haben damit auch ein Prestigeprojekt. Das ist etwas, was in die Öffentlichkeit geht, und wir engagieren uns da auch. Da steht dann unser Name drauf. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, auf der katholischen Seite ist es immer wichtiger, dass der Name draufsteht. Doch Ihre Frage spricht mir aus dem Herzen.

Sandra Leis [:

In St. Gallen sind nicht nur Sie bekannt, sondern auch Ihre Hündin. Welche Rolle spielt denn sie, wenn sie in der City-Seelsorge tätig sind? Ich nehme an, sie begleitet Sie des Öfteren.

Matthias Wenk [:

Bei bestimmten Projekten, vor allem, wenn es in die Natur geht. Aber auch sonst in meinem Alltag, sie schafft mir eine Möglichkeit für eine Auszeit, sie schafft mir immer auch eine Möglichkeit, in die Natur zu gehen, sie schafft mir auch eine Möglichkeit, immer wieder mich in Geduld zu üben, weil sie ist inzwischen 13 Jahre alt und hört und sieht nicht mehr gut. Ja, sie ist eine treue Begleiterin.

Sandra Leis [:

Ab April wechseln Sie zu den Reformierten, und da beginnt ein sogenanntes Probeverfahren, und das dauert ganze zwei Jahre. Nachher können Sie von der evangelisch-reformierten Kirchgemeindeversammlung zum offiziellen Pfarrer gewählt werden. Da würde mich interessieren, Sie haben katholische Theologie studiert, müssen Sie da noch ein Nachstudium absolvieren in reformierter Theologie oder was wird da von Ihnen verlangt?

Matthias Wenk [:

Mein Antrag an das reformierte Konkordat hat bewirkt, dass darüber nachgedacht wurde, wie gehen wir mit Menschen wie diesem Matthias Wenk um. Und bisher war die Leitlinie wirklich ein ganz normales Vikariatsverfahren. Und im Zuge meiner Anfrage wurde bestimmt, dass die Kantonalkirche das selbst regeln kann und mit mir zusammen bestimmte Ausbildungsvereinbarungen noch trifft. Und ja, ich muss noch ein paar Semester Theologie studieren, einzelne Vorlesungen besuchen, besonders in den Bereichen, die sich wirklich unterscheiden: Dogmatik, Ethik, Kirchengeschichte. Dann die Weiterbildungskurse für die Pfarrerinnen und Pfarrern in den ersten Amtsjahren besuchen und Weiterbildungskurse belegen auch noch natürlich eine Prüfung dann in Homiletik und so weiter ablegen.

Sandra Leis [:

Dann sind Sie perfekt ökumenisch aufgestellt. Gleichzeitig machen Sie noch eine Ausbildung zum Schamanen. Wie darf ich das einordnen? Wie passt das zu Ihrer Konversion?

Matthias Wenk [:

Mit meiner Konversion hat das erstmal nichts zu tun, sondern es hat einfach damit zu tun, dass ich mich interessiert habe. In bestimmten biblischen Erzählungen begegnen uns schamanische Tätigkeiten. Ein Jesus, der dem Blinden mit Tonerde und Spucke die Augen bestreicht und der nachher sehen kann. Oder eine Miriam, die mit der Pauke schlägt und tanzt. Das sind schamanische Tätigkeiten und das ist etwas, wo eigentlich erst einmal nichts zusammengeht, christlicher Glaube und Schamanismus. Mit dieser Ausbildung mache ich mich auf die Suche danach, was steckt da dahinter und ist es wirklich nicht verbindbar miteinander?

Sandra Leis [:

Gibt es denn bei den Schamanen etwas, das Sie in der christlichen Spiritualität vermissen?

Matthias Wenk [:

Ein Blick tatsächlich auch auf die Struktur von Macht in der katholischen Kirche. Das hat mich in der Ausbildung, die ich mache, bei der Foundation for Shamanic Studies wirklich ganz fest berührt. Ein Schamane wird nicht Schamane, weil er eine Ausbildung macht oder Schamanin. Sondern weil die Menschen sagen, wir brauchen dich für Begegnung mit der anderen Welt. Also die Menschen machen einen dazu, und das schafft ein niedriges Machtgefälle. Die Heilkräfte, und das ist das Verständnis dahinter, die kommen nie von uns selbst und das ist etwas, wo ich eine große Verbindung spüre, das, was ich tue, gerade als Seelsorger, ich verstehe mich nicht als der Macher, sondern ich verstehe mich als Werkzeug. Da ist für mich eine unmittelbare Nähe zu dieser schamanischen Tradition da.

Sandra Leis [:

Also eine weitere Ebene, die Sie dann einbringen können. Kehren wir zurück zu den christlichen Konfessionen. Die Mitgliederzahlen, die sind in beiden Landeskirchen rückläufig. Ist Ihrer Meinung nach diese Entwicklung zu stoppen?

Matthias Wenk [:

Ich weiß nicht, ob wir die stoppen müssen. Ich glaube, dass der christliche Glaube eine hohe Qualität ist, das Leben zu meistern. Es gibt uns ganz viel Halt und Sinn. Glaube ist immer eine Lebenshilfe. Und wenn ein Glaube das nicht ist, dann hat er für mich überhaupt keine Relevanz. Ich glaube, es wird immer Menschen geben, für die der der christlich Glaube Lebenshilfe ist. Und es wird immer Menschen geben, die das in einer Kirche wiederfinden. Und für mich ganz zentral ist auch eine Aussage, die der Kurt Marti in einem Gedicht wiedergegeben hat, nämlich: «Christ bin ich geworden und geblieben durch andere.» Also wir brauchen die Gemeinschaft, die ist konstitutiv für uns. Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Und ich glaube, es wird wieder Zeiten geben, wo Menschen das ganz fest spüren, dass das notwendig ist.

Sandra Leis [:

Vielleicht auch ohne Institution Kirche?

Matthias Wenk [:

Ich glaube, es wird immer irgendwelche Gemeinschaften geben. Ich glaube, wir Menschen brauchen einen institutionellen Rahmen. Ich glaube, eine Gemeinschaft muss sich immer irgendwie organisieren. Aber wie sie sein wird – ich denke, das ist ein Punkt, den wir jetzt mitgestalten können. Wollen wir uns dazu hinbewegen, wirklich unsere Mitglieder und die Menschen, die glauben wollen, zu empowern und sagen, wir geben ihnen Handwerkszeug mit, wie sie ihren Glauben leben können und sich auch selber organisieren können? Vielleicht schaut es in Zukunft wieder mehr nach Hauskirchen aus. Also ich glaube, da müssen wir sehr offen sein und flexibel und großzügig und weit.

Sandra Leis [:

In wenigen Tagen starten Sie als Seelsorger in der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde St. Gallen Centrum. Worauf freuen Sie sich am meisten? Und was wird Ihnen vielleicht fehlen?

Matthias Wenk [:

Ich werde jetzt zuallererst im Pfarramt beginnen, im Riethüsli, einer ökumenischen Gemeinde in St. Gallen. Das ist etwas, wo ich jetzt in den letzten Jahren fest gemerkt habe, bei der City-Seelsorge als mobiler City-Seelsorger, die Begegnung mit Menschen, die war nicht so automatisch wie in der Gemeindearbeit. Also am Sonntag, als ich noch in der Haldenkirche gearbeitet habe, begegnet man den Menschen ganz automatisch. In der City-Seelsorge musste ich immer raus. Ich musste immer auf die Straße, also ich musste immer zugehen auf die Menschen. Ich glaube, dass das wichtig ist für uns als Kirchen in der Zukunft, wir müssen zu den Menschen gehen. Aber ich habe gemerkt, das kostet Kraft, es ist anspruchsvoll und mir hat der Teil gefehlt, wo es wie natürlich ist, Menschen zu sehen. Und ich freue ich mich ganz fest, mit der neuen Arbeit auf die ökumenische Zusammenarbeit mit dem katholischen Team dort, die ich ja alle kenne. Für mich ist der Konfessionswechsel wirklich auch nochmal mehr in den aufrechten Gang kommen. Ich kann aufrecht als Seelsorger meine Arbeit machen. Darauf freue ich mich. Was ich vermissen werde? Die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen im City-Team. Das war sehr eng und sehr befruchtend und das werde ich vermissrn, aber die neuen Kollegen sind auch toll.

Sandra Leis [:

Matthias Wenk, vielen Dank für den Einblick in Ihre Gedankenwelt und herzlich alles Gute für Ihre Zukunft.

Das war die 44. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast war Matthias Wenk. Er arbeitete bis vor kurzem als Seelsorger der Katholischen Kirchgemeinde St. Gallen und wechselt am 1. April in der gleichen Funktion zu den Reformierten. Über Feedback freuen wir uns: Schreibt gerne per Mail an podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83. Und: Abonniert den Podcast und bewertet ihn positiv, wenn er euch gefällt.

In der nächsten Folge von «Laut + Leis» geht es um Geld: Im Theaterstück «Monopoly» spielen acht Finanzleute der besonderen Art: Menschen, die wissen, wie es ist, mit wenig Budget auszukommen. Eine von diesen Personen spricht im Podcast, dazu der Regisseur und eine Vertreterin der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau – denn die Kirche unterstützt das Theaterprojekt und organisiert ein Rahmenprogramm.

Bis in zwei Wochen – und bleibt laut und manchmal auch leise.

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