Im Januar hat Peter von Sury sein Amt als Abt des Klosters Mariastein altershalber abgegeben. Als er vor 17 Jahren zum Abt gewählt wurde, lebten 25 Mönche im Kloster. Heute sind es noch 13. Eingetreten ist kein einziger. Was heisst das für die Zukunft?
Themen dieser Folge:
Unsere oder meine Aufgabe – ob als Abt oder jetzt als Pater Peter – besteht darin, in dieser konkreten Situation das zu tun, was möglich ist. Es gibt einen sehr entlastenden Spruch aus dem Kirchenrecht: Ad impossibile nemo tenetur. Zum Unmöglichen ist niemand verpflichtet. Punkt. Aber was möglich ist, das sollen wir tun.
Sandra Leis [:Das sagt Pater Peter von Sury. Vor einigen Tagen hat er sein Amt als Abt des Klosters Mariastein altershalber abgegeben. Im Podcast «Laut + Leis» schauen wir zurück auf seine 17-jährige Amtszeit und fragen, wo Mariastein heute steht und welche Perspektiven Klöster in Zukunft haben werden. Ich bin Sandra Leis und besuche Pater Peter in Mariastein. Pater Peter, herzlich willkommen zu unserem Gespräch. Alt Abt oder Pater Peter? Was ist Ihnen lieber?
Peter von Sury [:Wir haben uns entschieden, und ich habe mich entschieden, auf Pater Peter. Diese Anrede war mir vertraut von 1981 ein. Da empfing ich die Priesterweihe. Zusammen mit Pater Armin, wir waren zu zweit. Und 2008 wurde ich zum Abt gewählt. Also in diesen Jahren, zwischen 1981 und 2008, war ich Pater Peter, und insofern ist es ein vertrautes Zurückkommen zu einem Titel, der mir sehr nahe ist und auch schön tönt, finde ich.
Sandra Leis [:Gut, dann bleiben wir bei Pater Peter. Sie werden im Juni 75 Jahre alt, haben vor wenigen Tagen das Amt als Abt abgegeben. Sind Sie erleichtert oder auch ein bisschen wehmütig?
Peter von Sury [:Wehmütig? Ist nicht der passende Begriff. Erleichtert? Ja. Und gleichzeitig ist unsere Situation jetzt derart, dass aus ganz anderen Umständen die Lage recht anforderungsreich ist. Und zwar aus dem einfachen Grund: Wir haben eine ganze Reihe Mönche, die sind hochbetagt, die brauchen viel Pflegeaufwand, viel Betreuung, viel Begleitung. Und da spielt es eine eine Nebenrolle, ob man Abt ist oder Pater.
Sandra Leis [:Aber Sie haben nicht die gleiche Verantwortung wie vorher.
Peter von Sury [:Ja, das stimmt. Und trotzdem, die Begleitung der Kranken, das kann man nicht dem Zufall überlassen. Das muss nahtlos weitergehen. Und da habe ich als Abt oder auch einfach als Mönch diese Verantwortung versucht wahrzunehmen und mache es einfach jetzt weiter. Wir haben es so aufgeteilt: Wir haben einen jungen, also relativ jungen Mönch, der ist eigentlich zuständig für die Krankenbetreuung, aber es wäre zu viel, wenn er alles machen müsste.
Sandra Leis [:Als nächstes, als nächster Schritt, der jetzt vor Ihnen steht, ist eine Auszeit. Was planen Sie da?
Peter von Sury [:Ich habe etwas ins Auge gefasst, habe das aber noch nicht konkret umgesetzt. Ich habe angefragt in der Abtei Sankt Paul vor den Mauern in Rom. Das sind Benediktiner. Und die suchen Beichtväter im Heiligen Jahr. Und da habe ich mal beim Abt angefragt, ob das möglich wäre, zum Beispiel von Palmsonntag oder von Ende April bis vielleicht Ende Juni bis Mitte Juli da als Beichtvater aushelfen zu können. Ich könne diese und diese Sprachen, und das wäre ja für mich auch eine schöne, gewissermaßen eine Heimkehr. So zwei, drei Monate in Rom verbringen zu können. Ich war studienhalber fünf Jahre in Rom, und das habe ich mal so ins Auge gefasst.
Sandra Leis [:Ein sehr schöner Plan.
Peter von Sury [:Ja, ich hoffe, er lässt sich realisieren.
Sandra Leis [:Lassen Sie uns zurückschauen auf Ihre Amtszeit als Abt und noch ein bisschen weiter zurück ins Jahr 1974: Da waren Sie 24 Jahre alt und haben sich entschieden, in die Ordensgemeinschaft der Benediktinerabtei Mariastein einzutreten. Was war damals der Hauptgrund, dass Sie sich für ein Klosterleben entschieden haben?
Peter von Sury [:Ich war schon einige Zeit etwas auf der Suche, war auch verunsichert über den Weg, den ich einschlagen wollte. Ich hatte mich sehr erwärmt für Publizistik, Journalistik. Das wäre so für mich immer mehr ein Traumberuf gewesen. Und dann habe ich ja auch einen inneren Weg mitgemacht und habe mich dann gefragt: Was wäre für mich ein Weg? Ich habe ein Jahr in Fribourg studiert, Geschichte und daneben etwas Philosophie noch. Und da habe ich Kontakt aufgenommen mit den Kleinen Brüdern von Jesus. Wir hatten eine kleine Studienkommunität, das war die Gründung von Charles de Foucauld. Charles de Foucauld war ich schon ein paar Jahre vorher zufällig begegnet über ein Taschenbuch. Und diese Figur fasziniert mich bis heute. Also Charles de Foucauld ist für mich eine ganz spezielle Figur. Und da bin ich dann mal hingegangen und habe gesagt: Ja und ob und eventuell. Und habe dann aber gemerkt, das wäre nicht für mich. Und dann war ich noch mit zwei jungen Theologiestudenten im Kontakt. Die wollten im Kloster Einsiedeln eintreten, und einer hat mir dann geschwärmt von diesem Kloster und gesagt: Das wäre doch auch etwas für mich. Ich gäbe sicher ein guter Mönch. Und dann habe ich überlegt, und dann bin ich auch zufälligerweise auf einen Artikel gestoßen bei uns zu Hause in Solothurn. Die Eltern hatten viele fromme Zeitschriften abonniert, unter anderem die Zeitschrift von Mariastein. Da war ein sehr schöner Artikel vom alt Abt Basilius Niederberger über das Wesentliche des benediktinischen Mönchtums und wie das Klosterleben organisiert ist und worauf es ankommt. Das hat mich sehr angesprochen, und ich war in Solothurn aufgewachsen. Ich war bekannt mit den Kapuzinern, die waren ja in Solothurn sehr präsent. Aber es war mir nie die Idee gekommen, bei den Kapuzinern einzutreten. Habe dann gefragt: Ja, Solothurn, Ja. Mariastein, das liegt im Kanton Solothurn, und so hat sich das ergeben.
Sandra Leis [:Dann hat das gepasst. 2008 schliesslich sind Sie gewählt worden von Ihren Mitbrüdern zum Abt. Was hat Sie an diesem Amt besonders gereizt?
Peter von Sury [:Ja. Ob etwas mich besonders gereizt hat? Frage ich mich. Ich bin gewählt worden. Und bin da eingestiegen in diese neue Aufgabe, etwas unvorbereitet.
Sandra Leis [:Also Sie haben sich nicht zur Wahl gestellt, heißt das.
Peter von Sury [:Grundsätzlich ist jeder. . .
Sandra Leis [:Wählbar, klar.
Peter von Sury [:Jeder ist wählbar, der gewisse Kriterien erfüllt.
Sandra Leis [:Aber man hätte Sie nicht gezwungen, das Amt zu übernehmen.
Peter von Sury [:Man könnte ja auch ausschlagen. Ja, es ist also klüger, man sagt das vor dem Wahlkampf, dass man nicht zur Verfügung steht.
Sandra Leis [:Also haben Sie doch gedacht, Sie würden zur Verfügung stehen, wenn Sie gewählt würden?
Peter von Sury [:Ja, das gehört dazu. Ein sehr demokratischer Vorgang, der ist genau geregelt. Wie das abläuft, ist klar geregelt.
Sandra Leis [:Also, Sie wurden es dann. Und als Sie dieses Amt übernommen haben, lebten hier 25 Mönche. Und heute sind es noch 14. Macht Ihnen das Sorge?
Peter von Sury [:Nein.
Sandra Leis [:Warum nicht?
Peter von Sury [:Warum soll es mir Sorge machen?
Sandra Leis [:Weil Sie merken, die Anzahl geht zurück. Viele sind pflegebedürftig, wie Sie gesagt haben. Und seit 2007 ist ja kein neuer Mönch mehr dazugekommen. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass Sie das ein bisschen bedrückt.
Peter von Sury [:Bedrückt nicht eigentlich. Die Frage ist, wie gehe ich damit um? Also die Aufgaben sind so und so, die Herausforderungen sind so und so und unsere oder meine Aufgabe – ob als Abt oder jetzt als Pater Peter – besteht darin, in dieser konkreten Situation das zu tun, was möglich ist. Es gibt einen sehr entlastenden Spruch aus dem Kirchenrecht: Ad impossibile nemo tenetur. Zum Unmöglichen ist niemand verpflichtet. Punkt. Aber was möglich ist, das sollen wir tun.
Sandra Leis [:Das klingt jetzt sehr gelassen, Pater Peter, wie Sie sprechen. Gleichzeitig sind Sie es aber gewesen, der vor zehn Jahren gemerkt hat, wir müssen über die Zukunft von Mariastein nachdenken. Und Sie haben das Projekt «Aufbruch ins Weite – Mariastein 2025» lanciert. Also, da waren Sie ja sehr, sehr aktiv und haben das in die Hand genommen. Können Sie sagen, was Sie bis jetzt erreicht haben mit diesem Projekt?
Peter von Sury [:Ich möchte doch noch, wenn man so will, klarstellen, dass ein ganz wichtiger Impuls zu diesem Projekt nicht von mir kam, sondern von der damaligen Betriebsleiterin. Wir hatten ja im Jahr 2010 die Stelle geschaffen für eine Betriebsleitung, extern ausgeschrieben, besetzt mit einer Frau. Und die hat dann ungefähr nach drei, vier Jahren gefragt, ob sie eine Weiterbildung machen könnte an die Fachhochschule und hat dann absolviert und in diesem Zusammenhang eine Masterarbeit geschrieben über Mariastein zur Frage: Wie kann ein religiöser Ort nach wirtschaftlichen Kriterien geführt werden? Und aus diesem Impuls heraus kam dann bald einmal die Einsicht, wir müssen etwas tun.
Sandra Leis [:Und wo stehen Sie heute, zehn Jahre später?
Peter von Sury [:Die Entwicklung ist weiter gegangen, wie sie absehbar war, und wir konnten vieles in Bewegung bringen.
Sandra Leis [:Zum Beispiel?
Peter von Sury [:Beispielsweise, es war ein gewaltiges Projekt, als «Mariastein 2025» noch nirgends am Horizont aufgetaucht war, die Reorganisation der Klosterbibliothek, eine gewaltige Kiste und kurz zuvor die Reorganisation oder der Aufbau der Musiksammlung. Da waren zwei wirklich große Dinge. Und da ist der Konvent wirklich geschlossen dahinter gestanden und hat das mitgetragen. Und auch die ganzen finanziellen Konsequenzen übernommen. Das war eine große Sache. Und dann erst später kam dann aus dieser Masterarbeit eigentlich. Und dann hatten wir im Pastoralsoziologischen Institut eine Arbeit in Auftrag gegeben zum Thema «Die Wallfahrt – Mariastein heute. Was sind die Erwartungen und Bedürfnisse der Leute, die hierherkommen?» Und das beides zusammen hat dann in ein Vorprojekt gemündet. Aus diesem Vorprojekt entstand dann das Projekt «Aufbruch ins Weite».
Sandra Leis [:Die klassische Wallfahrt, also die Gruppen, die nach Mariastein pilgern, die existiert ja heute eigentlich nicht mehr, diese klassische Wallfahrt. Und Ihr Projektleiter Mariano Tschuor, der hat schon ziemlich früh gesagt, es brauche spezifische Angebote für konfessionslose Menschen oder insbesondere auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Wie sieht heute die Wallfahrt hier in Mariastein aus?
Peter von Sury [:Am besten kommen Sie wirklich an einem Wochenende nach Mariastein und sehen sich die Leute an, die hier sind.
Sandra Leis [:Heute hat es praktisch keine. Es ist ein diesiger Tag.
Peter von Sury [:Und doch hat es immer Leute. Es kommen immer Leute, und das macht auch vielleicht den Reiz aus und gleichzeitig die große Schwierigkeit. Weil was wir in der Gesellschaft erleben, erleben wir auch hier im Wallfahrtsort: eine ausgeprägte Individualisierung.
Sandra Leis [:Eben, Die Gruppen kommen nicht mehr so im eigentlichen Sinn.
Peter von Sury [:Es kommen nach wie vor Gruppen, die haben aber anderes auf dem Programm. Die möchten gern eine Führung oder eine Begegnung mit einem Mönch. Oder wir haben Seniorengruppen, denen können wir das Tonbild zeigen. Wir haben nach wie vor auch Gruppen, die aus einem religiösen Anliegen nach Mariastein kommen. Die sind aber kleiner geworden.
Sandra Leis [:Das merken Sie schon, oder? Diesen Rückgang.
Peter von Sury [:Merken wir, ja. Und gleichzeitig hat zugenommen die Wallfahrten von Gruppen aus den fremdsprachigen Missionen, die sind heute zahlenmäßig ein wichtiger Teil geworden. Also die Entwicklung ist nicht eindeutig, oder sie ist eben zum Teil widersprüchlich. Es kommen gerade am Sonntag viele Familien, es kommen viele Einzelpersonen, auch junge Leute. Man muss schon etwas das Auge dafür haben, um diese Leute zu sehen. Und was auch wichtig ist: Viele Leute kommen ohne spezifische Erwartungen. Die sind einfach froh, hier her zu kommen, hier zu sein. Und da ist für uns auch die Frage: Angebote? Wollen die Leute wirklich Angebote?
Sandra Leis [:Ihr Projektleiter meinte das auf jeden Fall mal.
Peter von Sury [:Ja, das ist auch richtig so, und wir haben gewisse Dinge entwickelt und sind jetzt auch am Überlegen für das Jahr 2026. Das wird ein Jubiläumsjahr sein von der Wallfahrt her. Und da stellt sich auch die Frage: Wie können wir die Menschen eigentlich besser bedienen in einem sehr umfassenden Sinn.
Sandra Leis [:Finanziell ist es ja auch nicht ganz einfach. Sie sind finanziell letztlich nicht abgesichert. Ich habe gelesen, dass der Betrieb und der Erhalt der ganzen Gebäude im Jahr so rund 4 Millionen Schweizer Franken kostet. Wie gehen Sie persönlich mit dieser finanziellen Ungewissheit um?
Peter von Sury [:Ich würde jetzt diese Zahl korrigieren.
Sandra Leis [:Bitte, gerne.
Peter von Sury [:Man geht aus, das ist ein Erfahrungswert, so eine Faustregel, dass für den Unterhalt von Immobilien pro Jahr ein Prozent des Versicherungswertes aufgewendet werden muss. Und wir haben alle Gebäude, die zum Kloster gehören. Das ist recht viel. Das ist eben Versicherungswert ungefähr 100 Millionen. Also 1 Prozent: Das wären dann 1 Million. Aber ist schon sehr viel. 1 Million in den regulären Unterhalt zu investieren.
Sandra Leis [:Klar. Aber es kommt ja noch der ganze Betrieb dazu, das meine ich.
Peter von Sury [:Also alles. Die Wallfahrt auch. Und dabei müssen wir auch sehen, es stoßen hier zwei Wirtschaftssysteme aufeinander, die wahrscheinlich einfach inkompatibel sind. Das eine ist das Kloster als Wirtschaftssystem. Das lebt davon, dass die Mönche unentgeltlich arbeiten. Und das ist natürlich hier Jahrzehnte, Jahrhunderte lang der Fall gewesen. Die Mönche haben ihre Arbeitskraft eingesetzt, damit der Wallfahrtsort lebt. Und die Mönche, die beziehen keinen Lohn und unterstehen keinem Arbeitsgesetz. Das heisst, sie können arbeiten, sieben Tage in der Woche, von morgens um sechs bis abends neun Uhr, wenn es sein muss. Und wenn ein Mönch altersbedingt oder gesundheitsbedingt diese Arbeit nicht mehr leisten kann – die Frage des Nachwuchses haben Sie gestellt –, ist das natürlich spürbar.
Sandra Leis [:Dann müssen Sie externe Menschen anstellen.
Peter von Sury [:Ja, anstellen nach Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, fünf Tage Woche, 42 Stunden pro Woche usw. Und um einen Mönch zu ersetzen, müssen wir fast drei Leute anstellen. Gleichzeitig gehen unsere Einnahmen zurück, und wir sollten trotzdem immer mehr Löhne bezahlen. Das ist die große Herausforderung.
Sandra Leis [:Aber man muss sich einfach bewusst sein, dass ja die Schweizer Klöster auch keine Steuern bekommen. Das heisst, Sie leben von Schenkungen und Legaten.
Peter von Sury [:Aber wir haben nach wie vor Eigenleistungen. Nicht viele, aber wir haben pastorale Dienstleistungen. Die Aufgabe ist: Wie können wir die fehlenden Einnahmen kompensieren? Und da sind wir angewiesen auf Schenkungen. Und es ist natürlich immer schwer zu budgetieren. Aber es ist ein wichtiger Teil, und das haben wir jetzt auch in den letzten Jahren aufbauen müssen. Ich denke, ein wichtiger Teil des Projektes ist auch das ganze Spendewesen, die Spendenaktionen. Dass das mehr und mehr professionalisiert wird. Das ist ein eigenes Geschäft, und da mussten wir sehr viel dazulernen und sind noch nicht an dem Punkt, wo wir eigentlich sein müssten. Aber das ist für die Zukunft ganz wichtig sein, dass diese Einnahmenseite, dass die verstetigt wird.
Sandra Leis [:Pater Peter, was wäre, wenn eines Tages kein Benediktiner mehr hier leben würde? Was ist dann?
Peter von Sury [:Darüber mache ich mir keine Gedanken.
Sandra Leis [:Warum nicht?
Peter von Sury [:Es interessiert mich eigentlich nicht.
Sandra Leis [:Aber stellen Sie sich das mal vor: Was gäbe es für Optionen, was aus diesem wunderschönen Ort hier werden könnte?
Peter von Sury [:Da sind wir dran. Wir haben beispielsweise auch überlegt: Sollen wir andere religiöse Gemeinschaften anfragen? Haben wir gemacht. Konkret eine Gemeinschaft, die sehr erfolgreich aufgestellt ist. Die haben aber gesagt, sie müssen sich jetzt konsolidieren, sie haben so viele Verpflichtungen und Aufgaben übernommen, sie können nicht noch mehr übernehmen. Dann haben wir uns auch überlegt, Gemeinschaft anzufragen, die jetzt innerkirchlich zum Teil umstritten sind, weil sie ein bestimmtes Kirchenbild vertreten, über das wir vielleicht auch hier, also in unsere Klostergemeinschaft, eher kritisch nachdenken. Wenn wir an Heiligenkreuz in Österreich denken oder in Frankreich die Communauté Saint Martin. Ja, das ist ein Abwägen, gerade was die Communauté Saint Martin betrifft. Ich habe auch mit unserem Bischof schon darüber gesprochen. Da habe ich zum Beispiel aus dem Elsass eine vorsichtige Mahnung gekriegt: Das würde jetzt wirklich nicht nach Mariastein passen. haben jetzt im Februar Ende Monat wieder indische Priester, die hierher kommen. In Indien gibt es viele neue Gemeinschaften.
Sandra Leis [:In Solothurn haben indische Schwestern das Kloster Visitation übernommen. Das gibt’s also. Heißt das, Sie sind auf der Suche nach anderen Gemeinschaften?
Peter von Sury [:Ja, auch, wie sich unsere Gemeinschaft vom Betrieb her entwickelt. Da ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen.
Sandra Leis [:Nicht nur Mariastein, auch andere Klöster in der Schweiz und in ganz Europa haben dieselben Probleme: Überalterung und Nachwuchsschwierigkeiten. Wenn Sie jetzt mal von Mariastein abstrahieren: Welche Zukunftsszenarien sind aus Ihrer Sicht denkbar für Klöster?
Peter von Sury [:Ich überlasse das wirklich gern dem Herrgott. Gott wird wissen, wohin er die Kirche führen will. Da habe ich eigentlich keine Bedenken. Und für mich wichtig ist der Bezug zur jüdischen Geschichte. Ich denke, das wird die Kirche noch lernen müssen, die Geschichte der jüdischen Religion wie die Geschichte des Judentums – wenn man so will – als Vorausbild der Kirchengeschichte zu sehen. Man hat sich angewöhnt, in Gegensatz die Kirche und die Synagoge, das war jahrhundertelang das Modell, die Kirche hat die Synagoge abgelöst, und jetzt macht die Kirche vielleicht die Erfahrung, unsere Geschichte, unsere Entwicklung gleicht sehr in vielen Dingen dem jüdischen Volk. Ich denke, was das jüdische Volk erlebt hat im sechsten, fünften Jahrhundert vor Christus: das babylonische Exil, die Zerstörung des Tempels, vor dem Nichts, eine Zukunft in völliger Ungewissheit. Und so konnte etwas komplett Neues entstehen. Wir müssen nicht alles wissen. Also das ist mir ganz wichtig: Wir stehen jetzt in der Verantwortung. Ich nenne immer wieder als Leitmotiv für mich: Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Ich finde das eine wirklich hilfreiche Weisheit. Gott kann lenken, wenn der Mensch denkt. Wenn der Mensch nur die Hände in den Schoss legt und Däumlein dreht und meint, Gott wird’s schon richten. Das funktioniert nicht.
Sandra Leis [:Pater Peter, kommen wir zu einem ganz anderen Thema in Ihrer Amtszeit. Da fällt auch die Missbrauchsstudie hinein. Im September 2023 wurde sie veröffentlicht. Sie selber waren damals auch auf dem Podium, als die Medien eingeladen wurden. Sie sind ja Delegierter der KOVOS, und in dieser Studie sind über 1000 Missbrauchsfälle dokumentiert. Und das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Was hat diese Studie bei Ihnen ganz persönlich ausgelöst?
Peter von Sury [:Die Studie hat mich nicht überrascht, weil ich mich schon jahrelang zuvor mit der Materie befasste, befassen musste. Und ich brauchte meine Zeit also erst lange Zeit, um die Tragweite dieser Krise überhaupt bewusst zu werden. Die Kirche steht vor einem gewaltigen, gewaltigen Problem. Und zwar, ich würde das als Analogie nennen: Die Kirche stellt fest, was man auch bei uns im Land an verschiedenen Orten festgestellt hat: Das ist die Bodenverschmutzung. An verschiedenen Orten wurden Giftdeponien angelegt in den 1960er und 1970er Jahren. Und etwas Sand und etwas Humus darüber, dann ist das Problem gelöst. Und dann musste man Jahrzehnte später den Boden mit unglaublich viel Aufwand und Geld sanieren. Und ich glaube, vor dieser Aufgabe steht die Kirche. Die Kirche muss eine vollständige Bodensanierung vornehmen.
Sandra Leis [:Das würde aber auch bedeuten, dass es systemische Veränderungen braucht. Die Maßnahmen, die die Kirche dann beschlossen hat und kommuniziert hat, da sind Sie ja von der KOVOS mit dabei gewesen. Ich sage noch, was das heisst: die Konferenz der Vereinigungen der Orden. Da haben Sie als Delegierter zusammen mit der Schweizerischen Bischofskonferenz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz. Maßnahmen beschlossen. Doch am System katholische Kirche rütteln diese Maßnahmen praktisch nicht. Mit einer Ausnahme, dass man jetzt Assessments macht für Menschen, die in der Kirche arbeiten wollen, für Seelsorgende für Priester. Aber wenn Sie sagen, es braucht eine Bodensanierung, dann müssten eigentlich solche Maßnahmen noch viel weitergehen. Oder verstehe ich Sie falsch?
Peter von Sury [:Nein. Deshalb habe ich vorhin das erwähnt: Die Analogie zur Geschichte des jüdischen Volkes. Ich glaube, es ist eine Aufgabe, die wir Menschen nicht bewältigen können. Die Kirche ist nicht reformierbar. Da muss, so leid einem das tun kann und so unvorstellbar das ist, muss vielleicht der liebe Gott ein Brecheisen ansetzen. Da habe ich keine Angst. Es wird nicht so passieren, wie wir es uns vorstellen können. Aber ich denke, das wird so sein, dass vieles sterben wird. Also es ist eine Implosion ist im Gange. Es gibt eine französische Religionssoziologin, die hat einen sehr guten Namen: Danièle Hervieu-Léger. Die hat vor drei, vier Jahren ein Buch herausgegeben mit einem anderen Religionssoziologen: «Vers l’implosion?» Mit Fragezeichen. Die katholische Kirche in Frankreich und in Europa. Spannend.
Sandra Leis [:Sie glauben gar nicht so richtig an die beschlossenen Maßnahmen?
Peter von Sury [:Doch. Es ist eine Notwendigkeit. Gleichzeitig sage ich: Es kommt zwei Generationen zu spät. Und zweitens stellen sich jetzt natürlich auch sehr viele grundsätzliche Fragen. Ich habe auch schon Echos gehört von Leuten, die etwas verstehen von Personalabteilung, Personalrekrutierung. Die sagen: Erwartet nicht zu viel von diesen Assessments. Und das ist jetzt die Schwierigkeit, dass man sich von diesen Maßnahmen nicht das Heil erwarten darf. Sie sind notwendig. Unbedingt. Es ist auch ein großer Bewusstseinswandel im Gange. Und gleichzeitig stellt das natürlich ganz fundamentale Fragen für die Ordensgemeinschaften, die im Moment sowieso von ganz anderen Fragen umgetrieben werden. Eben: Wie kann man die Gemeinschaft überhaupt noch zusammenhalten. Wie kann man die Alten betreuen usw.
Sandra Leis [:Also heißt das, dass das Thema Missbrauch in den Ordensgemeinschaften gar nicht so stark diskutiert wird?
Peter von Sury [:Nicht mehr. Es gab eine Zeit, vielleicht vor 15 Jahren gab es einen Moment, wo das wirklich sehr viel aufgewühlt hat. Manchmal wurde konkret damit konfrontiert, dass in vielen Gemeinschaften Täter noch leben.
Sandra Leis [:Oder dorthin verfrachtet werden.
Peter von Sury [:Das gibt es. Und jetzt? Wie geht man damit um? Das ist das eine. Aber inzwischen sind die Ordensgemeinschaften, die allermeisten, personell derart geschwächt, dass andere Fragen völlig im Vordergrund sind. Und die Frage des Missbrauchs ist eher eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Aber es wird natürlich auch deutlich, gerade in Bezug auf diese Assessments: Wie werden sogenannte Berufungen geprüft? Sei es fürs Priestertum, sei es für das Ordensleben, seien es Leute, die in neue Gemeinschaften einsteigen. Und da müssen wir ganz nüchtern feststellen: Da ist, nehmen wir beispielsweise das Bistum Chur, da ist massiv gesündigt worden: Bischof Haas, Bischof Huonder. Da muss man ganz klar sagen, wer da alles zugelassen worden ist zur Priesterweihe, das ist mehr als grob fahrlässig.
Sandra Leis [:Sie selber waren ja mal ziemlich aufmüpfig. Denn Sie waren der erste hohe kirchliche Würdenträger, der 2012 den Rücktritt von Bischof Vitus gefordert hat.
Peter von Sury [:Ja, das stimmt.
Sandra Leis [:Was war da der Auslöser? Was hat Sie da so getriggert? Sie waren der erste der Kirchenvertreter, der das gefordert hat.
Peter von Sury [:Also das sind eigentlich verschiedene Faktoren, die mich dazu gebracht haben. Da ist eine nüchterne Einsicht: Wenn ein Bischof merkt, ein großer Teil des Bistums ist gegen mich. Das heißt, ich kann eigentlich meine Aufgabe als Pontifex, als Brückenbauer, nicht wahrnehmen. Ja, dann lege ich mein Amt nieder. Das ist keine moralische Frage, sondern es ist die Frage «Kann sie eine Funktion nicht wahrnehmen?» Und ich habe das selber erfahren: Also ich war ja Pfarrer, und aus bestimmten Umständen musste ich mich dann zur Wahl stellen. Und da hatte ich ein recht schlechtes Resultat. Ich hatte viele Nein-Stimmen, und da wusste ich, jetzt muss ich mir Mühe geben, dass in vier Jahren das Resultat besser aussieht. Und ich habe mir Mühe gegeben. Und tatsächlich, vier Jahre später sah das Resultat ganz anders aus. Und leider hatte Bischof Wolfgang Haas nicht diese Weitsicht. Wenn er klug gewesen wäre, hätte sagen können: Gut, ich bin jetzt Bischof, aber jetzt muss ich wirklich ganz kluge Personalentscheidungen treffen. Das hat er nicht gemacht.
Sandra Leis [:Und da haben Sie sich zur Wehr gesetzt.
Peter von Sury [:Ich weiß, ich hatte einmal ein Gespräch mit dem Apostolische Nuntius, der hat mir das gesagt. Wenn man so unter vier Augen spricht, sprechen sie sehr offen. Er hat einmal mit Bischof Haas gesprochen, und der hat nicht verstehen können. Es reicht nicht, dass der Bischof sagt, ja, er denke wie der Papst. Er muss sein Bistum hinter sich haben. Das hat mich auch sehr persönlich aufgewühlt. Ich habe unglaublich viele Reaktionen erhalten, damals 2011, 2012, und habe mir bewusst gemacht, wie unglaublich viele Menschen unter dieser Situation gelitten haben im Bistum Chur. Man hat da wirklich auch ganz grobe Fehler begangen.
Sandra Leis [:Pater Peter, Sie bleiben dem Kloster Mariastein ja erhalten. Zum Glück. Und Ihr Nachfolger, der wird am 4. April gewählt, und es hieß in der Medienmitteilung, Sie würden dann zu einem späteren Zeitpunkt mit ihm schauen, welche neuen Aufgaben Sie hier übernehmen können. Mal ganz frei raus: Was würde Sie am meisten reizen? Welche Aufgabe würden Sie sehr gerne übernehmen?
Peter von Sury [:Ja, ich weiß nicht, ob das der rechte Ort ist, das auszusprechen. Ich möchte hier wirklich das ganz offenlassen, dass nicht der, der nachher kommt, sich irgendwie eingeengt fühlt. Das muss man dann unter vier Augen oder im Konvent miteinander absprechen. Ich bin selber froh, dass ich hier sein kann und mit den Leuten da bin und jetzt für die Betreuung der Kranken endlich auch mich nützlich machen kann. Und es muss viel aufgearbeitet werden: Wir haben die Frage des Klosterarchivs, das wieder auf uns zukommen. Eine wichtige Frage. Ich möchte das wirklich völlig offen lassen, das ist mir lieber, und nicht irgendwelche Weichen stellen.
Sandra Leis [:Also auch für Sie vielleicht ein Aufbruch ins Weite. Das Motto, unter dem ja Kloster Mariastein steht. Könnte man das so zusammenfassen?
Peter von Sury [:Ich würde auf Abraham schauen, von dem heisst es: Abraham war 75 Jahre alt, als er aus Haram fortzog. Die ganze Zukunft vor sich.
Sandra Leis [:Dann wünsche ich Ihnen ganz herzlich alles Gute für diese Zukunft, die jetzt dann kommt.
Peter von Sury [: Sandra Leis [:Das war die 41. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast war Pater Peter von Sury. Er ist vor 50 Jahren in die Ordensgemeinschaft der Benediktiner-Abtei Mariastein eingetreten und hat das Kloster Mariastein während der letzten 17 Jahre als Abt geleitet.
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In der nächsten Folge von «Laut + Leis» ist Schwester Veronika zu Gast. Sie lebt zölibatär und trägt den Schleier einer Ordensfrau, dazu aber Jeans und T-Shirt. Sie nennt sich «Freelance-Schwester». Für ihren Lebensunterhalt kommt sie selber auf, denn sie lebt nicht in einem Kloster, sondern allein in einer kleinen Wohnung in Zürich.
Bis in zwei Wochen – und bleibt laut und manchmal auch leise.