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Der kuriose Fall der sowjetischen Bushaltestellen – Tamara Boppart
Episode 4830th August 2023 • Central Blog • Central Arts
00:00:00 00:04:55

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Shownotes

DER KURIOSE FALL DER SOWJETISCHEN BUSHALTESTELLEN

Die Geschichte über einen zeitgenössischen Fotografen, dessen Obsession und den Weg, den Kunstschaffende zu Sowjetzeiten fanden, sich trotz Restriktionen auszudrücken. Tamara Boppart ist ganz fasziniert von all dem und erzählt darüber im aktuellen Central Blog.

Zum Artikel: centralarts.net/sowjetischen-bushaltestellen

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Wir halten Ausschau nach dem Schönen, ergründen das Unergründliche und versuchen, das Staunen nicht zu verlernen. Alle zwei Wochen Gedanken zu Kunst und Glaube. Als Text und Audio.

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Transcripts

Speaker:

Und das, obwohl eine Bushaltestelle

Speaker:

so viel eigentlich gar nicht können müsste.

Speaker:

Es war im Jahr 2002,

Speaker:

als sich ein kanadischer Fotograf

Speaker:

auf eine Radtour begab.

Speaker:

Von London bis nach St. Petersburg

Speaker:

zog es den jungen Kreativen.

Speaker:

Für diese Reise stellte er sich selbst die Aufgabe,

Speaker:

stündlich ein überzeugendes Bild zu schießen.

Speaker:

Den Auslöser der Kamera nicht dann drücken,

Speaker:

wenn im eigenen Blickfeld etwas Besonderes erscheint,

Speaker:

sondern die Welt stündlich so ablichten, wie sie sich eben zeigt.

Speaker:

So was wie BeReal vor mehr als zwanzig Jahren.

Speaker:

Durch diese Challenge wurde Christopher Herwig,

Speaker:

wie der kanadische Fotograf heißt,

Speaker:

auf verlassenen Strassenabschnitten aufmerksam

Speaker:

auf die einzigartige Architektur

Speaker:

der Bushaltestellen aus Sowjetzeiten.

Speaker:

Der Startpunkt einer Obsession.

Speaker:

Herwig hat nicht mehr damit aufgehört,

Speaker:

Haltestellen zu fotografieren.

Speaker:

In den zurückliegenden zwanzig Jahren

Speaker:

legte er mehr als 18000 Meilen durch 14 Länder

Speaker:

der ehemaligen Sowjetunion zurück.

Speaker:

Mit dem Auto, Bussen, Taxis

Speaker:

oder mit dem Fahrrad.

Speaker:

Er lokalisierte auffällige,

Speaker:

kreativ gestaltete Busstopps,

Speaker:

hielt sie mit der Kamera fest, spürte deren Schöpfer

Speaker:

oder Schöpferinnen auf und suchte bei ihnen Antworten.

Speaker:

Es entstanden zwei Bildbände

Speaker:

und ein Dokumentarfilm,

Speaker:

die die Expedition des Fotografen

Speaker:

in Regionen von der Ukraine bis Usbekistan,

Speaker:

Armenien und Fernostsibirien zeigen.

Speaker:

Warum faszinierte ihn so Profanes?

Speaker:

Während der Sowjetzeit standen

Speaker:

alle gesellschaftlichen Bereiche

Speaker:

unter strenger zentralisierter Aufsicht.

Speaker:

Auch von Architekten, Musikerinnen, Filmemachern

Speaker:

und Malerinnen wurde erwartet,

Speaker:

dass sie mit ihrem Schaffen nichts anderes tun,

Speaker:

als die Erzählung vom Kommunismus

Speaker:

als Paradies auf Erden voranzutreiben.

Speaker:

Volle Kontrolle über den Kulturbetrieb.

Speaker:

Dabei blieben die Bushaltestellen unbemerkt.

Speaker:

Zu unscheinbar, zu bedeutungslos und alltäglich,

Speaker:

als dass sich der Staat dafür interessieren würde.

Speaker:

Aus diesem Grund wurden sie zum Spielplatz

Speaker:

für Künstlerinnen und Künstlern.

Speaker:

Es existieren zwischen Kiew bis Wladiwostok

Speaker:

noch heute Hunderte von architektonisch

Speaker:

außergewöhnlichen Bushaltestellen:

Speaker:

von strengen Formen

Speaker:

bis hin zu üppigen Designs voller Farben,

Speaker:

teils skurril, exzentrisch, ästhetisch mutig.

Speaker:

Und das, obwohl eine Bushaltestelle

Speaker:

so viel eigentlich gar nicht können müsste.

Speaker:

Ein stiller Protest

Speaker:

gegen die damaligen staatlichen Vorgaben.

Speaker:

Erbaut von Einzelpersonen,

Speaker:

die beschlossen, eigene künstlerische Ideen umzusetzen.

Speaker:

Eine Sache, übrigens,

Speaker:

die uns heute so selbstverständlich erscheint,

Speaker:

dass wir vergessen, sie als Privileg zu betrachten.

Speaker:

Mit seiner Faszination für all das,

Speaker:

steht Herwig eher alleine da.

Speaker:

Heute sind, belastet durch den historischen Kontext

Speaker:

ihrer Entstehung, viele der Haltestellen

Speaker:

vom Abriss bedroht.

Speaker:

Oder sie werden als seltsame,

Speaker:

eher peinliche Relikte abgetan.

Speaker:

Warum erzähle ich diese Geschichte?

Speaker:

Ganz einfach,

Speaker:

weil sie mich berührte, als ich sie las.

Speaker:

Und weil ich aus der Geschichte

Speaker:

und aus Geschichten

Speaker:

immer auch etwas lernen

Speaker:

und andere dazu anstiften will.

Speaker:

Was mich betrifft:

Speaker:

Ich bin einmal mehr beeindruckt

Speaker:

von einigen der zahlreichen Charakterzügen der Kunst.

Speaker:

So subtil,

Speaker:

witzig, selbstständig, kraftvoll.

Speaker:

Dann der Entscheid Herwigs, sich über einen langen Zeitraum

Speaker:

einer solch nischigen Angelegenheit zu verschreiben.

Speaker:

Ich will okay sein damit, dass fokussiertes Arbeiten

Speaker:

viele Neins beinhaltet.

Speaker:

Es entsteht Schönes,

Speaker:

wenn ich es schaffe,

Speaker:

eine einzige Sache im Blick zu haben.

Speaker:

Die Kunstschaffenden

Speaker:

aus Sowjetzeiten höre ich zu mir sagen:

Speaker:

Geschlossene Türen schärfen den Blick für Schlupflöcher.

Speaker:

Es gibt immer einen «Aktionsspielraum».

Speaker:

Es gibt immer einen «Aktionsspielraum».

Speaker:

Suche die Orte, wo Dinge möglich sind!

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