Die Schweizer Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet werden mit dem Herbert-Haag-Preis 2024 ausgezeichnet. In ihrem Buch «Mächtig stolz» dokumentieren die Schwestern vierzig Jahre feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz.
Die Themen dieser Folge:
Ein Highlight war natürlich die Power, die wir in allem, was wir machten Wir spürten: Wir sind viele. Wir organisierten viele Tagungen und Veranstaltungen. Dieses Gefühl, zusammen sind wir stark, das war ganz prägend. Das war sehr lustvoll, sehr leidenschaftlich.
Silvia Strahm [:Wenn ich zurückblicke auf diese 40 Jahre, die feministische Theologie hat sehr viele Frauen geprägt. Sie hat sehr viel Mut gemacht. Sie hat sehr viele Initiativen kreiert. Was hat sie erreicht? Wenn man jetzt mit Erreichen meint, was hat sie zum Beispiel in den Kirchen verändert, dann muss man sagen: nicht wahnsinnig viel. Ein bisschen was. Es hat inzwischen viele Frauen in den Gemeinden, etliche sind in der katholischen Kirche Gemeindeleiterinnen geworden. Für die feministische Theologie ist nicht zwingend, dass Frauen, wenn sie Gemeindeleiterinnen sind, feministische Theologinnen sind. Also es ist auch noch keine Garantie, dass feministische Theologie in den Kirchen präsent ist. Aber für mich ist es wirklich so, dass es vor allem die Frauen, die dabei waren, verändert hat. In einem guten Sinn.
Sandra Leis [:Das ist der Podcast «Laut + Leis». Zu Gast sind die Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet. Die beiden Schwestern sind Pionierinnen der feministischen Theologie und werden am 3. März mit dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet. Vergeben wird dieser Preis an Personen, Publikationen und Institutionen, die sich für Freiheit und Menschlichkeit innerhalb der Kirche einsetzen.
Wir sind hier in Basel im Wohnzimmer von Doris Strahm, sitzen an einem großen Tisch, und ich begrüße euch beide ganz herzlich zu diesem Gespräch. Doris und Silvia, ihr beide seid Schwestern. Was zeichnet eure Beziehung aus? Silvia, bitte.
Silvia Strahm [:Was zeichnet unsere Beziehung aus? Verbindlichkeit, Treue, Langjährigkeit, Rückendeckung.
Doris Strahm [:Gesprächspartnerin, engste Mitdenkerin, Freundin, geistig, kulturell, politisch ähnlich interessiert. In stetem Austausch miteinander und seit Kindheit an eigentlich sehr eng miteinander verbunden, in einer sehr engen Beziehung.
Sandra Leis [:Das klingt alles sehr, sehr harmonisch. Häufig ist ja so, dass Geschwister-Beziehungen auch Rivalitäten erzeugen. Es gibt Rangeleien, insbesondere auch dann, wenn der Altersunterschied gering ist. Ihr seid zwei Jahre, habt zwei Jahre Unterschied. Du bist 68 und du, Doris, bist 70 Jahre alt. Ihr seid nahe beieinander. Hat es da nie Konkurrenz gegeben?
Silvia Strahm [:Konkurrenz nie, das würde ich wirklich behaupten.
Sandra Leis [:Auch als Kinder nicht?
Silvia Strahm [:Nein, würde ich behaupten. Aber was, was vielleicht schon eine Reibungsfläche war, ist: Ich war immer die kleinere Schwester, habe sehr viel profitiert, habe auch viel abgegeben an meine große Schwester. Dinge, die mich geängstigt haben. Habe mich versteckt hinter ihr. Und irgendwann ist das dann mal explodiert. In der Spätpubertät hat sie mir das noch vorgeworfen, dass sie immer die große Schwester sein musste, Verantwortung für mich übernehmen musste und Angst hatte. Auch um mich, als es mir mal nicht so gut ging. So, aber das war wirklich eine ganz kurze Episode. Nachher war das wieder okay, und das war auch diese Konstellation.
Sandra Leis [:Klar. Schaut man sich eure Lebensläufe an, so gibt es mehrere Parallelen. Und die augenfälligste ist eigentlich die, dass ihr beide zuerst kurz evangelische Theologie studiert habt. Und nachher katholische Theologie. Was war der Auslöser für das Theologiestudium? Doris, Du warst die Erste, die es gemacht hat. Du warst ja auch die Ältere.
Doris Strahm [:Ja, also, wir haben beide zuerst etwas anderes studiert. Ich habe Psychologie studiert, nach der Matura fast zwei Jahre, und Silvia Germanistik. Aber das kann sie selber noch sagen. Und dass wir dann beide zur gleichen Zeit, das war dann wirklich zur gleichen Zeit, nicht hintereinander Theologie studiert haben. Das hat private Gründe. Persönliche. Unser Vater starb und es gab für uns beide eine riesengroße Sinnkrise. Und ich merkte bei mir, dass das Psychologiestudium die Fragen, die sich mir damals dann stellten, nicht beantworten konnte. Weshalb passiert das? Und überhaupt: Weshalb gibt es so viel Ungerechtigkeit? Es war ungerecht, dieser Tod meines vitalen, tollen Vaters, wir waren Vater-Töchter. Und dann habe ich gehört durch eine Bekannte, dass man Theologie im Nebenfach studieren kann. Und dann wollte ich das machen.
Silvia Strahm [:Bei mir war es ähnlich. Auch ich mich, wieso Germanistik eigentlich? Meine Fragen sind dann eher bei der Theologie.
Sandra Leis [:Bezeichnend ist ja auch, dass ihr beide nicht einfach nur Theologie studiert hat, sondern euch sehr früh dann für die feministische Theologie eingesetzt habt. Ihr geltet ja eben als Pionierinnen. Was war da der Auslöser, euch für die feministische Theologie zu engagieren?
Silvia Strahm [:Also für mich, ich glaube, auch für dich war es das Papier der Glaubenskongregation, über die Nicht-Zulassung der Frauen zum Priesteramt. Das erschien 1976, wir waren voll im Studium, und das war der Totalschock, was da stand, was dafür für Theorien entwickelt wurden, die kannten wir gar nicht. Und das war ein wirklicher Augenöffner. Und dann muss ich sagen, für mich war eigentlich das das Papier, also der Schock, der Grund, dass ich mich überhaupt nachher für Feminismus interessiert habe. Generell, auch gesellschaftlich, nicht nur in der Kirche und in der Theologie. Und dann ein völlig neuer Blick auf Gesellschaft, Kirche.
Doris Strahm [:Ja, ja, bei mir war's dasselbe natürlich. Wir haben dann aber sehr schnell eine Frauengruppe gegründet an der Fakultät und haben dann erst gemerkt, dass es schon Bücher gibt zu dem, was man eben feministische Theologie nennt. Von Mary Daly vor allem, und das haben wir dann zusammen gelesen und diskutiert mit ein paar anderen Studentinnen, die's gab. Es waren sehr wenige damals. Es waren wirklich vorwiegend Männer in Luzern, die da, wir haben ja dann eben gewechselt nach Luzern und katholische Theologie studiert. Und es ging mir wie Silvia. Es war wirklich der Augenöffner überhaupt für die Frauenfrage oder überhaupt über die Frage, in welcher Welt leben wir? Eben nicht nur in der Kirche. Aber dieses Papier, das so einfach von außen definierte, weil wir Frauen sind und was wir können und dürfen und was nicht. Und dass das Männer bestimmen und sich dann noch auf Gott berufen, das war einfach wirklich, das war ein Skandal. Und ich weiß gar nicht mehr, ob wir protestiert hatten. Aber ich glaube, wir hatten schon.
Silvia Strahm [:Wir haben uns dann öffentlich dann bemerkbar gemacht. Es gab auch sehr viele Anfragen, Radio, Fernsehen. Es war dann schon das Thema, eigentlich.
Sandra Leis [:Damit wir alle drei vom Gleichen sprechen. Wie definiert ihr feministische Theologie?
Doris Strahm [:Also feministische Theologie ist, wie der Begriff sagt, feministisch. Ein Kind der neuen Frauenbewegung also hat die gleichen Fragestellungen eigentlich wie der Feminismus generell, nämlich die Frage, wie ist die Stellung und die Situation der Frau in einer patriarchalen Kultur? Eine Analyse dessen. Und in der feministischen Theologie ist dieser feministische Blick dann eben auch auf die Bibel gerichtet, auf die Lehren der Kirche oder der Theologie, auf die Gotteslehre, auf das Verständnis von Christus, von Sünde, Erlösung natürlich, dann aber auch nach den Frauen und Männerbildern, die ja dann schöpfungsmäßig in der katholischen Theologie legitimiert werden, aus. Also eine grundlegende Kritik oder kritischer Blick auf die gesamte christliche Tradition mit dem Blick von Frauen, die sich bewusst geworden sind, dass sie diskriminiert werden und auf die Kirche nicht nur auf die Theologie, sondern ja rausfliegt. Der Kirche natürlich über das Priesteramt und dieses Papier, das ging ja vor allem um den Ausschluss der Frauen aus den kirchlichen Strukturen, also aus der Macht- und Entscheidungsstruktur. Und das war eigentlich auch ein großer Fokus. Ja.
Sandra Leis [:Schauen wir zurück in die Geschichte, die Blütezeit der feministischen Theologie. Das war in den 1980er und 1 90er Jahren. Ihr habt das alles hautnah miterlebt. Was waren eure Highlights? Ihr könnt alles aufzählen, aber vielleicht je zwei Highlights, wenn ihr an diese Aufbruchstimmung zurückdenkt. Doris.
Doris Strahm [:Ein Highlight dieser ganzen Jahre war natürlich die Power, die wir in allem, was wir machten, spürten. Wir sind viele. Wir wollen jetzt und sehr viel an Tagungen und Veranstaltungen und immer mehr, dass dieses Gefühl zusammen sind wir stark, dass das war ganz prägend, das war sehr lustvoll, sehr leidenschaftlich. Bei aller Kritik und allem, was uns bewusst geworden ist an Unterdrückung, was aber der Kampf dagegen oder das dagegen angehen, was sehr leidenschaftlich. Und wenn ich aber jetzt, wenn du sagst die Geschichte zurückblicke. Ein Highlight war sicher die Gründung der «Fama». Also das ist.
Sandra Leis [:Die feministische Zeitschrift.
Doris Strahm [:Genau die feministisch theologische Zeitschrift, die bis heute besteht. 40 Jahre alt geworden ist dieses Jahr, dass wir damals sieben katholische Theologinnen den Mut hatten oder dass wir eine eigene Zeitschrift wollten und das umgesetzt haben, ohne jegliche Kenntnis, wie man eine Zeitschrift macht. Wir hatten schon geschrieben, aber Redaktionsarbeit und all das, das war neu.
Silvia Strahm [: Sandra Leis [:Und wer noch viel mehr Highlights lesen will oder davon erfahren will, der kann das Buch lesen «Mächtig stolz». Ihr beide seid die Herausgeberin dieses Buches. Es kam vor zwei Jahren im efef-Verlag heraus, und es dokumentiert 40 Jahre feministische Theologie und kirchliche Frauenbewegung. Inwiefern ist dieses Buch auch euer Vermächtnis?
Doris Strahm [:Es ist das Vermächtnis einer Bewegung. Also uns beiden war eigentlich immer ganz klar: Wir machen dieses Buch, weil wir die Zeit hatten, weil wir die Idee hatten. Also die Idee kommt von außen, von einer deutschen Theologin, eine Kollegin und wir sehen uns eigentlich ein Stück weit als Hebammen. Also die Texte sind ja von den Frauen selber geschrieben. Klar, wir haben das Konzept gemacht, mit ihnen zusammen, zum Teil auch. Wir wollten das Vermächtnis unserer gemeinsamen Geschichte. Und natürlich ist es in gewissem Sinne jetzt auch ein Vermächtnis von unserer Arbeit, weil wir auch viele der Projekte, die im Buch vorkommen, mitinitiiert haben. Das ist uns dann eben auch bewusst geworden beim Machen, an wie vielen Sachen wir beteiligt waren, wir beide auch als Schwestern.
Sandra Leis [:Man sieht, wenn man das Buch liest, da herrscht die Aufbruchstimmung. Man merkt, frau wollte wirklich etwas bewegen. Die Zeitschrift «Fama», die Vernetzung war ganz wichtig, auch europäische und weltweite Vernetzung. Das hat mich überrascht. Wusste ich so nicht. Das habe ich gelesen. Der interreligiöse Dialog alles sehr, sehr wichtige Themen, die in diesem Buch angesprochen werden. Gleichzeitig ist mir aber auch aufgefallen, dass eigentlich fast alle diese Aktivitäten und Engagements ehrenamtlich gemacht wurden. Und da möchte ich euch fragen. Zementiert man da nicht auch ein Stück weit alte patriarchale Strukturen? Also die Frau engagiert sich eben ehrenamtlich und macht etwas Verdienstvolles. Und der Mann, der verdient das Geld. Wie seid ihr mit diesem ehrenamtlichen Tun umgegangen?
Doris Strahm [:Ja. Zum einen war ein Teil unserer Arbeit ja schon bezahlt. Ich war an der Uni lange Zeit angestellt, als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Luzern und in Fribourg. Also da habe ich schon was verdient und nicht wahnsinnig viel. Und ich habe mal einen Nationalfonds Projekt gekriegt. Zwei Jahre. Aber natürlich ein Großteil der Arbeit und vor allem die Projekte, die die hier geschildert werden, die meisten, die waren wirklich ehrenamtlich. Und wir waren ja wieder Hunderte von Frauen, die das gemacht haben.
Sandra Leis [:Oder das Schreiben für die Zeitschrift «Fama» ist bis heute ehrenamtlich. Und da kommt ja immer wieder der Begriff Selbstausbeutung.
Silvia Strahm [:Ja, also «Fama» hat auch ein bisschen was bezahlt, ganz wenig. Aber ja, das ist schon so. Aber das war dort wirklich glaub für die meisten kein großes Thema. Wir haben aber schon versucht, Gelder zu bekommen und Stellen zu schaffen, die auch finanziert werden. Also es war schon nicht einfach völlig ausgeklammert, aber wir haben uns sagen müssen, entweder passiert etwas, machen wir was oder es passiert eben nichts. Also es war natürlich schon auch einfach wichtig, etwas zu tun und nicht zu überlegen, wie kann man das monetarisieren?
Doris Strahm [:Du hast vorhin von Selbstausbeutung gesprochen. Das stimmt zum Teil. Aber uns gab es viel Stärke, Ermächtigung, weil wir haben uns Macht genommen. Wir haben uns Räume geschaffen, wir haben Dinge gestaltet. Das war eigentlich das vorherrschende Gefühl. Das System will uns nicht, das System gibt vielleicht ein paar Kirchenstellen, aber wir, wir nehmen uns das oder wir machen's einfach, und die können uns gar nicht daran hindern. Ich glaube, das war auch ein Teil der Motivation und der Kraft, die uns das gab. Oder auch meine Arbeit an den Unis. Da gab es dann zwar bezahlte Lehraufträge, aber die haben wir gefordert, die kamen nur, weil wir das wollten und insistierte. Ja, da gab es dann so Räume, die auch ein bisschen bezahlt wurden.
Silvia Strahm [:Das war auch ein Lernfeld. Also ich habe extrem viel gelernt. Ich war eine schüchterne Studentin mit wenig Selbstbewusstsein. Aber nachher? Wir haben gelernt, eine Zeitung zu machen. Wir haben gelernt, einen Vorstand einzuberufen, hinzustehen, Vorträge zu halten, Erwachsenenbildung. Das war, wie du sagst, Ermächtigung. Das hätte ich mir nie zugetraut vorher.
Doris Strahm [:Plötzlich haben wir ganz viele Dinge gelernt. Und Bücher. Wir haben ja auch Bücher geschrieben und herausgegeben. Auch das haben wir alles gelernt und gemacht und dann geschaut, können wir Geld auftreiben. Das haben wir dann schon gemacht und versucht, das gelang auch zum Teil dann ja, ich würde es auch so sagen, wir haben ganz, ganz viel gelernt.
Sandra Leis [:Ziehen wir Bilanz zur feministischen Theologi.e Was hat sie erreicht? Silvia Strahm.
Silvia Strahm [:Also die feministische Theologie hat sicher, wenn ich zurückblicke auf diese 40 Jahre, sehr viele Frauen geprägt. Sie hat sehr viel Mut gemacht. Sie hat sehr viele Initiativen kreiert. Wenn man jetzt mit Erreichen meint, was hat sie zum Beispiel in den Kirchen verändert? Da muss man sagen: nicht wahnsinnig viel. Ein bisschen hat es ja vielleicht an der Sprache etwas verändert, möglicherweise auch nicht überall. Aber diese ganze männliche Sprache ist vielleicht ein bisschen abgeschliffen. Der Protest hat sich aufgeweicht. Es hat inzwischen viele Frauen in den Gemeinden, In der katholischen Kirche sind Gemeindeleiterinnen geworden. Es hat Spielräume gegeben für Frauen. Für die feministische Theologie ist nicht zwingend, dass Frauen, wenn sie Gemeindeleiterinnen sind, feministische Theologinnen sind. Also es ist auch noch keine Garantie, dass feministische Theologie in den Kirchen präsent ist. Aber für mich ist es wirklich so, dass es vor allem die Frauen, die dabei waren, verändert hat, in einem guten Sinn eben ermächtigt und zu neuen Ufern hat aufbrechen lassen.
Sandra Leis [:Ja, Doris, wie siehst du das?
Doris Strahm [:Ich würde gerne ergänzen, weil wir haben eben auch Fundamente geschaffen, die man nutzen kann. Also das bleibt. Oder eben zum Beispiel Bücher. Wir haben grundlegende Bücher geschrieben zur feministischen Theologie, die zum Teil heute noch topaktuell sind. Jetzt, gerade in der neuen «Fama», hat eine junge Kollegin von mir, die reformierte Theologin Katharina Merian von Rosemary Radford Ruether das Buch «Sexismus und die Rede von Gott» neu als junge queere Theologen gelesen. Und das ist 40 Jahre alt. Das Buch, und das war für uns auch ein ganz, ganz wichtiges Buch, weil sie alle Themen der Theologie feministisch analysiert und neu denkt. Und sie hat gesagt, warum das Buch für sie heute noch so aktuell ist. Und solche Fundamente zu haben, sagt sie dann selber. Auch das sei für sie als junge Generation wichtig und auch ein Ansporn, da weiter zu denken. Aber sie müssen auch nicht alles neu erfinden. Wir haben eine Basis mit den Büchern zum Beispiel, aber auch mit der Bibel in gerechter Sprache, die ganz wichtig ist, die man jetzt nutzen kann, wenn man will.
Sandra Leis [:Die Bibel in gerechter Sprache kam 2006 heraus.
Doris Strahm [:Die «Fama» gibt es ja immer noch, die macht weiter die IG feministische Theologinnen gibt es immer noch, ist immer noch wichtig. Und in Luzern gibt es den Lehrauftrag für feministische Theologie, den wir vor auch 40 Jahren ins Leben gerufen haben, damals, als wir noch Studentinnen waren. Dann gibt es immer noch und heißt jetzt Theologische Gender Studies und wird jedes Jahr neu vergeben. Also es gibt schon Dinge, die erreicht wurden, die Bestand haben oder eben eine Ressource sind, dass es weitergehen kann.
Sandra Leis [:Gleichwohl muss man sagen, die feministische Theologie schlägt heute nicht mehr gleich große Wellen wie damals. Und es gibt auch Menschen, die feministische Theologie eigentlich bereits totsagen. Gibt es eine Zukunft für die feministische Theologie?
Silvia Strahm [:Das ist eine zu schwierige Frage. Das kann ich so nicht beantworten.
Sandra Leis [:Was würdest du dir wünschen?
Silvia Strahm [:Ich wünschte mir, ich habe in einem Kommentar vom Buch geschrieben: Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Und die Glut suchen und reinpusten. Das würde ich sagen, ist so eine Strategie. Es ist vielleicht noch nicht vorbei. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob sich da aus dieser Glut, wo die vielleicht noch da ist, wirklich ein Feuer entfacht.
Sandra Leis [:Also die Problematik liegt ja auch darin, dass sehr wenige junge Menschen überhaupt Theologie studieren. Ich habe letzthin mal gelesen, in der Deutschschweiz seien das zwischen zehn und 20 Menschen.
Silvia Strahm [:Es studieren viele Religionswissenschaften, aber nicht mehr katholische Theologie. Das ist schon so, das stimmt. Aber ja, natürlich: Die ganze Kirche bröckelt weg. Es ist ja nicht einfach ein Prozess der feministischen Theologie oder der Frauen, der Frauen-Kirchen, sondern die ganze Theologie zerbröckelt, sie ist ein sinkendes Schiff.
Sandra Leis [:Frustriert euch das?
Silvia Strahm [:Nicht mal. Das schafft auch Freiräume.
Doris Strahm [:Nein. Ich glaube, es kommt immer darauf an, wo man hinschaut. Eben. Ich bin in der IG feministische Theologinnen im Vorstand gewesen bis vor einem Jahr, und da gibt es auch jungen Theologinnen. Klar, das sind wenige. Aber auf reformierte Seite habe ich gesehen, gibt es einige. Und was vor allem eben auch spannend ist: Es gibt viele queere Theologinnen, es gibt auch eine queere Theologie und eine queere Bibel, habe ich im Podcast gehört. Zum einen ist vieles am Abbröckeln, und dann gibt es doch plötzlich neue Themen, die kommen. Es gäbe auch noch ganz viele Themen, die immer noch wichtig sind und der Öko-Feminismus bekommt auch ein bisschen mehr jetzt wieder Bedeutung Doch es stimmt: Die breite Bewegung, das ist vorbei. Das glaube ich auch, diese Aufbruchsstimmung, das ist ja bei allen Bewegungen so nach Jahrzehnten.
Sandra Leis [:Ich habe mich vorbereitet auf euch zwei. Und ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, ein Antrieb ist auch Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Ist das richtig, oder ist das meine Interpretation?
Doris Strahm [:Nein, auf jeden Fall. Und ich glaube auch, das ist ein wichtiger Antrieb. Also ich glaube, es ist so für uns beide, Theologie zu studieren oder neben der persönlichen Ebene Erfahrung mit dem Tod des Vaters war auch, dass wir beide als Kinder einen Film über den Holocaust gesehen haben. Und uns beide hat seitdem wirklich die Frage umgetrieben: Wie kann es einen Gott geben? Oder wie kann es Menschen geben, die so was tun können? Und ein Antrieb vielleicht damals noch unterschwellig, aber während dem Studium war dann wirklich auch die Frage Gott, Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit auf dieser Welt, wie geht das zusammen? Also wir haben beide ja eigentlich nicht aus Gründen, dass wir mal Seelsorgerinnen werden wollten, Theologie studiert, sondern weil wir diese grundlegenden Fragen hatten: Wie kann die Welt so sein, wie sie ist, wenn es einen Gott gibt?
Sandra Leis [:Und habt ihr im Studium Antworten auf diese Fragen bekommen?
Silvia Strahm [:Nein, nicht wirklich, nein. Aber die Beschäftigung mit den Fragen, die ist geblieben. Und ganz wichtig war die Philosophie im Studium. Das war für mich ein ganz wichtiger Strang. In der Theologie ist die Philosophie sehr wichtig und an diesen Fragen dranbleiben. Aber die Antworten, mit denen konnte ich sehr wenig anfangen. Und darum konnte ich ja auch nicht in der Kirche arbeiten. Ich konnte nichts verkünden, Ich war selber immer eine Zweiflerin. Aber die Fragen, die sind für mich nach wie vor dort beheimatet. Und ich merke auch, wenn ich jetzt Kirche denke, das ist für mich ein Raum, das sind Fragen gestellt, das sind Wünsche formuliert, das sind Worte, die mir was bedeuten. Da kommt das Wort Gnade vor, das kommt nirgends mehr sonst vor oder Barmherzigkeit. Das sind alte Worte, die sind für mich noch nicht tot, und die Theologie hütet die noch. In diesem Raum bewege ich mich nach wie vor, auch wenn ich nicht sagen kann, also die Theologie hat mir jetzt Antworten auf diese existenzielle Krise oder diese Fragen gegeben. Wieso gibt es das Böse, das Leiden? Antworten hat mir die Theologie keine gegeben, nein.
Sandra Leis [:Und ihr beide seid ja nie in der Kirche tätig gewesen, sondern immer außerhalb mit Lehraufträgem und Büchern, der Zeitschrift usw. Das ist ja schon bezeichnend, dass ihr euch da nie irgendwie habt einspannen lassen. Und du, Doris Strahm, du bist ja dann 2018 sogar ausgetreten aus der römisch-katholischen Kirche. Das war damals ein Paukenschlag mit anderen bekannten Feministinnen zusammen, und das Fass zum Überlaufen gebracht hat ja vor allem eines, nämlich dass der Papst gesagt hat, Abtreibung sei Auftragsmord. Das war offenbar der Hauptauslöser. Wo findest du heute Gemeinschaft? Christliche Gemeinschaft? Weil dem Glauben hast du ja nicht abgesprochen.
Doris Strahm [:Ja, aber ich möchte noch kurz etwas sagen, das ich war nicht nur einfach diese berühmte Tropfen. Also das war der berühmte Tropfen. Das war eine ganz lange Geschichte. Dieser Austritt, das war dann einfach too much. Jetzt geht es nicht mehr. Ich habe mir sehr lange überlegt und immer gedacht, doch ich bleibe. Einerseits aus Solidarität und weil Kirche mehr ist als diese Kirche in Rom. Das waren so meine Gründe zu bleiben. Wir beanspruchen Definitionsmacht für uns, was Kirche ist. Aber innerlich hatte ich immer dieses Dilemma, weil ich wirklich die ganzen 40 Jahre als feministische Theologin gearbeitet habe, Vorträge gehalten über Frauenrechte und Religion, dann auch im interreligiösen Dialog war, mit meinen muslimischen und jüdischen Kolleginnen über Frauenrechte in unseren Religionen geredet habe und gemerkt habe, wie frauenfeindlich die römisch-katholische Kirche ist. Und ich konnte einfach die Augen nicht mehr davor verschließen und hab gespürt, es zerreißt mich innerlich. Ich empfinde mich nicht mehr als glaubwürdig, wenn ich über Frauenrechte rede und in einer Gemeinschaft, also nicht in einer Gemeinschaft, eben nicht in eine Institution drin bin, die diese Frauenrechte mit Füßen tritt. Also einfach noch mal, das war ein langer Prozess. Und wo ich jetzt bin. Ja, stimmt. Ich würde sagen, ich bin aus der römisch-katholischen Kirche zwar ausgetreten, aber nicht aus der weltweiten Ecclesia, Ich bin in der Kirche, die unseren Vorstellungen entspricht. Und da gibt es eben weltweit auch Übereinstimmungen, was wir unter Kirche verstehen. Und ich habe ja meine Dissertation über Theologien von Frauen im sogenannten globalen Süden geschrieben. Und wenn ich Kirche denke, denke ich an all diese eben auch. Und diese Frauen in Afrika, Asien, Lateinamerika, die auch, die nicht katholisch sind, die auch katholisch sind, aber auch reformiert oder methodistisch oder eben auch gar nichts. Und für mich ist diese Gemeinschaft, die quasi sich in der Nachfolge Jesu und seine Vision vom Reich Gottes sieht, das ist für mich Kirche, dieser Raum.
Sandra Leis [:Silvia, du bist einen anderen Weg gegangen. Du bist immer noch Mitglied der römisch- katholischen Kirche. Was hat dich dazu bewegt, zu bleiben?
Silvia Strahm [:Ja, für mich stellt sich die Frage so nicht. Ich habe mich jetzt nicht, als Doris ausgetreten ist, ganz konkret gefragt: Sollte ich das jetzt auch tun? Ich bin anders in dieser Kirche geblieben. Immer schon. Eigentlich denke ich mal, weil ich vor Ort viel in dieser mit meiner Gemeinde mitgemacht habe. Die Kinder waren dort in einer Jugendgruppe. Ich habe viel in der Pfarrei mitgearbeitet. Wir haben dort Kirche und Kultur in einer Gruppe gehabt. Wir haben extrem viel machen können in dieser Kirche vor Ort. Und dann war für mich Kirche auch immer eine Gemeinschaft der Menschen, die sich eben kämpferisch gegen Unrecht, gegen Krieg, für Frieden engagiert haben, gegen Ausbeutung. Ob das in Lateinamerika, in Afrika, in den in der Schweiz ist, das war für mich immer eine Gemeinschaft von Rebellinnen auch. Und dort fühle ich mich auch immer noch zuhause. Wichtig sind für mich auch diese Räume, die Musik, das Verdi-Requiem, Bach-Kantaten, Kirchenräume, auch rein ästhetisch. In jeder Stadt gehe ich mir Kirchen anschauen, nicht nur die Museen. Das bedeutet mir etwas. Ich sehe all diese Kritik, das würde ich auch voll unterstützen. Das ist schrecklich. Die Kirche hat eine Fratze. Aber sie hat auch ein schönes Gesicht. Und ich setze jetzt dort mehr an.
Sandra Leis [:Vor vier Jahren hast du von der Universität Bern die Ehrendoktor-Würde bekommen. Das ist eine sehr, sehr hohe Auszeichnung, diese Ehrendoktorwürde. Jetzt geht es weiter: Ihr beide bekommt zusammen den Herbert-Haag-Preis. Auch das ist ein sehr renommierter Preis. Was bedeutet euch dieser Preis?
Doris Strahm [:Er bedeutet mir viel. Vor allem, weil ich ihn mit Silvia zusammen bekomme. Das war eigentlich die erste und größte Freude, ihn zusammen zu bekommen, weil wir eben so viel gemeinsam gemacht haben in den Anfängen und dann gegen Ende unseres Lebens dieses Buch – wieder ein Schwestern-Projekt. Also das war eigentlich fast die größte Freude, dass wir beide den kriegen. Dann aber freue ich mich schon auch – und das war beim Ehrendoktorat ähnlich –, dass die Arbeit, die ich gemacht habe, an der Uni, mit Büchern, in der Erwachsenenbildung ausgezeichnet wird. Aber es ist für mich auch eine Auszeichnung der Bewegung, deren Teil wir sind. Und das, das freut mich besonders. Und ich habe zum Teil auch Rückmeldungen in der Art bekommen, wie schön, dass ihr ihn bekommt. Und wie schön, dass die feministische Theologie damit gewürdigt wird. Also dass Kolleginnen von uns, zum Teil zumindest, das auch so sehen. Es wird auch eine Bewegung gewürdigt, und das freut mich auch sehr.
Silvia Strahm [:Was ich noch vielleicht hinzufügen möchte, ist natürlich, so ein Preis hat immer auch einen kleinen Haken, dass man denkt ja, aber es hätten auch andere aus unserer Bewegung, aus der feministisch theologischen Bewegung, aus der Frauenkirche, hätten so einen Preis auch verdient. Jetzt sind wir da herausgehoben und klar, das hat mit diesem Buch zu tun. Es ist schon richtig, aber es hat natürlich auch ganz viele andere Frauen, für die wäre es auch schön, sie kriegten auch mal so einen Preis. Vielleicht wäre das ja auch etwas für die Herbert-Haag-Stiftung, sich zu überlegen, wo es noch mehr feministische Aufbrüche und Bewegungen gibt, die man auszeichnen könnte. Aber natürlich ist es schön, es ist eine Anerkennung für die Wichtigkeit dieses Themas.
Sandra Leis [:Vielen Dank euch beiden für diese Einblicke in eure Arbeit und auch in eure Beziehung. Danke sehr.
Doris Strahm [:Danke dir, Sandra.
Silvia Strahm [:Danke.
Sandra Leis [:Das war die 20. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast waren die Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet. Die beiden Schwestern sind Pionierinnen der feministischen Theologie und werden mit dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet. Das Buch, das die beiden zusammen herausgegeben haben, heisst «Mächtig stolz. 40 Jahre feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz. Erschienen ist das Buch im efef-Verlag.
Wenn Ihr, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, uns Feedback geben wollt, gerne per Mail an podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83.
In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich mit Vreni Peterer. Sie ist Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld. (IG MiKu). Im letzten September ist die «Pilotstudie zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» erschienen. Ein halbes Jahr später ziehen wir Zwischenbilanz: Was ist seither geschehen? Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Betroffenen-Organisationen aus? Wo kommt die römisch-katholische Kirche nicht vom Fleck?
Bis in zwei Wochen – und bleibt laut und manchmal auch leise.