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Vreni Peterer: «Jetzt wird über Missbrauch gesprochen, weil die Kirche muss»
Episode 2115th March 2024 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:29:52

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Shownotes

Vor einem halben Jahr ist die Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz erschienen. Zeit für eine Zwischenbilanz mit Vreni Peterer. Sie wurde als Mädchen von einem Priester vergewaltigt und ist heute Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (IG MiKu).

Die Themen dieser Folge:

  • Seit einem halben Jahr ist Vreni Peterer eine öffentliche Person. Was heisst das für sie?
  • Was hat die Pilotstudie bei Betroffenen ausgelöst?
  • Wie sieht die von den Bischöfen versprochene Zusammenarbeit mit den Betroffenen-Organisationen aus?
  • Eine angekündigte Sofortmassnahme ist die unabhängige Anlaufstelle: Wie und wann wird sie umgesetzt?
  • Die römisch-katholische Kirche hat 2016 einen Genugtuungsfonds für verjährte Fälle eingerichtet: Was hat er bewirkt?
  • Weshalb ist das Reden über das erlittene Unrecht so wichtig?
  • Welche Rolle spielt spiritueller Missbrauch?
  • Was bedeuten Vreni Peterer die Preise, mit denen ihr Engagement geehrt wurde?

Transcripts

Vreni Peterer [:

Ich muss immer wieder betonen: Betroffenen geht es nicht in erster Linie um das Geld. Mir hat noch nie eine betroffene Person gesagt: Ich will jetzt diese Genugtuung, ich will das Geld. Zuerst geht es wirklich um die Geschichte. Aber es ist wichtig. Da muss ich von mir selber reden: Für mich war es so, dass ich einige Male sagte: Mir spielt es keine Rolle, ob es 50 Rappen oder 20'000 Franken sind. Mir ging es darum, dass die Kirche anerkennt, dass mir ein kirchlicher Mitarbeiter Leid angetan hat. Das können 20’000 Franken nicht wiedergutmachen. Aber es ist eine Anerkennung.

Sandra Leis [:

Das sagt Vreni Peter. Sie ist Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (MikU). Im letzten September ist die Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz erschienen. Ein halbes Jahr später ziehen wir im Podcast «Laut + Leis» Zwischenbilanz. Was ist seither geschehen? Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Betroffenen-Organisationen aus? Und wo kommt die römisch-katholische Kirche nicht vom Fleck? Wir treffen uns in St. Gallen bei der Selbsthilfe St. Gallen und Appenzell. Vreni Peter, herzlich willkommen zu unserem Gespräch und vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen für mich und für meine Fragen.

Vreni Peterer [:

Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, hier sprechen zu können.

Sandra Leis [:

Seit einem halben Jahr sind Sie in der Schweiz die Stimme der Missbrauchsopfer. Das heisst, Sie sind jetzt eine öffentliche Person. Was bedeutet das für Sie persönlich?

Vreni Peterer [:

Daran musste ich mich zuerst gewöhnen. Plötzlich von fremden Menschen angesprochen zu werden oder mir auf einem großem Bahnhof auf die Schulter klopfen zu lassen von Menschen, die sagen: Das ist super, was Sie machen, machen Sie weiter. Daran muss man sich gewöhnen.

Sandra Leis [:

Sie wurden als Mädchen, als zehnjähriges Mädchen, von einem Priester vergewaltigt und haben dann fast 50 Jahre lang mit niemandem darüber gesprochen. Heute beschäftigen Sie sich als Präsidentin der IG MiKu täglich mit dem Thema Missbrauch. Wie schützen Sie sich davor, dass alte Wunden nicht immer wieder neu aufbrechen?

Vreni Peterer [:

Ich glaube, das gelingt mir, indem ich meine Aufarbeitung Schritt um Schritt machte. Ich machte viele Therapien, verschiedene Therapien, die mir alle geholfen haben, muss ich im Nachhinein sagen. Ich glaube, es gab keine Abkürzung. So weit zu kommen, dass ich all diese Therapien machen musste. Bis ich dann bei einer entscheidenden Therapie so weit war, dass ich sagen konnte: So, jetzt zeige ich diesen Priester an!

Sandra Leis [:

Und das triggert Sie jetzt nicht immer wieder aufs Neue, wenn Sie andere Geschichten hören?

Vreni Peterer [:

Nein, es triggert mich nicht mehr in dem Maße wie 2018, als ich erst mit der Geschichte rauskam und sie meldete. Aber es ist schon die größte Herausforderung für mich im Ganzen, das ich zu mir schaue. Das ist ganz, ganz wichtig, weil sonst geht das nicht. Ich darf nicht zu tief in die Geschichten der Menschen geraten, die sich an mich wenden.

Sandra Leis [:

Vor einem halben Jahr ist diese Pilotstudie, die hat die römisch-katholische Kirche selber in Auftrag gegeben, herausgekommen. Es war die Rede von 1002 Fällen. Einer davon ist ihr Fall. Das hat ja bei vielen Betroffenen auch vieles ausgelöst. Wissen Sie, wie viele Menschen seither den Mut gefasst haben, sich zu melden?

Vreni Peterer [:

Ich kann von uns reden. Bei uns haben sich über 50 Betroffene gemeldet, und jetzt sind ja wieder viele Medienberichte erschienen, und es haben sich jeden Tag wieder neue Personen gemeldet, die jetzt den Mut fassen konnten oder die sich jetzt sagten, so, jetzt melde ich auch meine Geschichte. Es ist wichtig für mich. Es ist wichtig für die Studie. Ich weiß auch, dass beim Forschungsteam über 150 Betroffene gemeldet haben.

Sandra Leis [:

Also neue.

Vreni Peterer [:

Genau, erst seit der Pilotstudie und dass sich auch bei den Opferhilfestellen viele Menschen gemeldet haben oder auch zum Beispiel bei der Guido-Fluri-Stiftung, also bei unabhängigen Anlaufstellen oder Meldestellen.

Sandra Leis [:

Auch bei den Bistümern.

Vreni Peterer [:

Generell.

Sandra Leis [:

Basel hat kürzlich Zahlen veröffentlicht. Aber die Gesamtzahl, die wissen Sie noch nicht?

Vreni Peterer [:

Nein, die Gesamtzahl weiß ich nicht.

Sandra Leis [:

Sie selber haben ja auch schon viele Interviews gegeben, gerade als die Pilotstudie rausgekommen ist. Und da haben Sie vor allem eines immer wieder betont, wie wichtig es sei, darüber zu sprechen. Können Sie das noch einmal kurz zusammenfassen, weshalb es so wichtig ist, über das Unrecht zu sprechen, das einem angetan wurde?

Vreni Peterer [:

Man muss sich vorstellen, das hatte man Jahrzehnte in einem drin, und das hat viele wirklich körperlich und seelisch kaputt gemacht. Und wir alle, die wir jetzt sprechen, es tut gut sprechen. Es tut aber auch sehr gut, wenn mir zugehört wird. Das ist das Wichtigste. Und jetzt wird zugehört. Jetzt muss sogar zugehört werden. Dann ist es wichtig, dass diese Betroffenen, wenn sie jetzt den Mut fassen oder einfach jetzt so weit sind, wenn sie andere Betroffene sehen, dass sie auch sagen: Hey, ich habe nichts zu befürchten, jetzt kann ich endlich reden, die Geschichte loswerden und sie wie auch in andere Hände geben und Gerechtigkeit erhalten, damit diesen Fällen nachgegangen wird, damit die noch lebenden Täter zur Rechenschaft gezogen werden und vor allem damit einem geglaubt wird. Und das ist dann wichtig, dass man redet, weil sonst, wenn nicht darüber gesprochen wird, dann trägt man es weiter, weiter, vielleicht bis zum Lebensende in sich drin. Und wenn Betroffene sich bei uns melden, dann spüre ich oder sie sagen es auch: Das hat so gut getan zu sprechen, es endlich jemandem zu sagen.

Sandra Leis [:

Vor einem halben Jahr haben die Schweizer Bischöfe dann auch konkrete Sofortmaßnahmen angekündigt. Ich zähle sie kurz auf: Also der Forschungsauftrag der Universität Zürich, der wird um drei Jahre verlängert. Aktenvernichtungen im Zusammenhang mit Missbrauch sind per sofort verboten. Beim Personalwesen soll professionalisiert werden. Und es soll psychologische Tests geben für Anwärter des Priesterseminar. Und, aus ihrer Sicht eigentlich das wichtigste Anliegen: eine nationale unabhängige Meldestelle. Die wurde versprochen. Es hieß auch, das solle dann innerhalb eines Jahres kommen. Und vor allem wurde auch gesagt – und das ist etwas ganz Neues –, die betroffenen Organisationen, die sollen mit einbezogen werden. Vreni Peterer, Sie sind an der Front, Sie sind voll dabei: Wie haben Sie diese Zusammenarbeit bis jetzt erlebt?

Vreni Peterer [:

Wir mussten einmal mehr unser Recht einholen, einfordern, weil am 12. September, als die Pilotstudie vorgestellt wurde, wurde mir versprochen, also, Bischof Bonnemain hat mir versprochen, wir bleiben in Kontakt. Wir sprechen miteinander, wir sitzen zusammen und bis im Herbst, also im Spätherbst, Ende November hatte ich noch nichts gehört. Ich habe gewartet. Ich wollte sie auch arbeiten lassen. Und dann kam der Punkt, dass ich mir sagte: So, jetzt kommen halt wir wieder. Jetzt fragen wir: Wie steht es, wann werden wir einbezogen? Und dann muss ich sagen, hat relativ schnell ein Gespräch stattgefunden, genau über diese Anlaufstelle, die wir fordern, mit Bischof Bonnemain und mit Stefan Loppacher. Und das war ein gutes Gespräch. Uns wurde versprochen, wurde, Mitte 2024 steht diese Anlaufstelle, sollte sie da sein. Genau. Und jetzt eben, sie haben sich, ich sage mal, verrechnet, wie lange das dauert, dass so eine Anlaufstelle aufgebaut ist, das ist eine komplexe Sache. Das sehen wir auch ein. Aber unsere Meinung ist, das Rad muss nicht neu erfunden werden. Wir könnten uns gut vorstellen, dass die Opferhilfestellen diese Anlaufstellen übernehmen könnten. Aber das ist auch noch offen.

Sandra Leis [:

Genau das ist ja eine Idee, die im Raum steht. Ob man allenfalls diese Strukturen des Opferhilfegesetzes nutzen will, die gibt es ja in jedem Kanton. Wissen Sie denn von der Schweizer Bischofskonferenz, was dagegen spricht aus ihrer Sicht?

Vreni Peterer [:

Ich würde sagen, es ist ein Politikum. Also dagegen, glaube ich, spricht nichts. Es sind Verhandlungen, die getätigt werden müssen. Wollen die Opferhilfestellen das überhaupt bzw. Die sind ja staatlich geregelt. Wollen sie sich dieser Aufgabe der Kirche stellen im Leistungsauftrag, weil gerade so kirchliche Fragen sind bei den Opferhilfestellen jetzt natürlich nicht angesiedelt.

Sandra Leis [:

Auf kath.ch gab es kürzlich einen ausführlichen Artikel zu diesem Thema. Und da wurde dann die kantonale Opferhilfestelle Zürich befragt, was sie meint. Die Leiterin wurde zitiert und auch die Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Und die beiden Frauen meinten unabhängig voneinander: Ja, das wäre eine gute Idee, wenn das spezifische Fachwissen bezüglich Kirche, wenn das die Kirche liefert. Und sie sagten, dann könnte man diese Strukturen nutzen und diese Anlaufstelle könnte per Ende 2024 stehen. Also das haben sie für realistisch angeschaut. Es gibt ja Fachgremien in jedem Bistum. Könnte man dieses spezifische Fachwissen dort anzapfen?

Vreni Peterer [:

Das könnte ich mir gut vorstellen, weil die sind ausgebildet, die haben ein Hintergrundwissen. Sie haben ja bis jetzt schon Opferbetroffene betreut, sie haben sie begleitet und sie haben diese Kompetenzen. Und auch wenn sie sagen, die Opferhilfestellen, also wir wären sehr dafür, wir finden das eine ganz gute Lösung, weil die Opferhilfestellen, die sind jetzt schon professionell, und ich habe sehr gute Rückmeldungen erhalten von Betroffenen, die sich dort gemeldet haben. Und da ist auch die Infrastruktur schon hier. Wir haben uns etwas verrannt, vielleicht in das Projekt einer unabhängigen Anlaufstelle. Wir müssen davon wegkommen. Wir von der IG MikU sind da schon davon weggekommen. Das ist nicht ein Gebäude, das irgendwo steht, sondern es muss überall diese Anlaufstellen geben, und Opferhilfestellen wäre genau die gute Lösung für uns.

Sandra Leis [:

Also ich habe noch gelesen, dass die Schweizer Bischofskonferenz und auch die Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz, also diese beiden Gremien sagen, das werde schwierig bis Ende Jahr. Und sie nennen Gründe wie komplexe Datenschutzfragen, kantonale Unterschiede, dünne Personaldecke. Vreni Peterer, Sie sind in der Sache drin: Was glauben Sie, wann wird diese Anlaufstelle da sein?

Vreni Peterer [:

Puh, glauben ist gut. Ich hoffe, ich bin zuversichtlich, weil ein bisschen Hoffnung und Zuversicht muss man haben. Ich hoffe, ich sage es mal so, dass sie sicher bis Ende 2024 steht, weil ich habe wirklich gemerkt – Sie haben gesagt, ich bin da drin, ich bekomme einiges mit – und ich glaube, dass gearbeitet wird daran. Ich glaube auch, dass die Arbeitsgruppe rund um Stefan Loppacher, dass die wirklich fest dran sind. Und auch wir wollen keinen Flickenteppich oder eine Pflästerli-Politik, überhaupt nicht. Wir wollen auch eine gute Sache. Und von daher bin ich eben froh, wenn sie Ende 2024 steht. Und wir auch die Sapec, dass wir da irgendwie versuchen, das Ganze zu überbrücken. Aber auch wir brauchen Unterstützung, und da sind wir dran. Wie können wir diese Zeit überbrücken, bis eben diese Anlaufstelle steht oder diese Anlaufstellen.

Sandra Leis [:

Sapec ist ja das Pendant zu ihrer Interessengemeinschaft in der Westschweiz. Ja, es ist schon verrückt. Jetzt ist diese Pilotstudie draussen. Die Menschen melden sich. Wenn es Zwischenberichte gibt, gibt es wieder Menschen, die sich melden mit ihrem Leid, und die Anlaufstelle steht noch nicht. Es wäre perfekt gewesen, wenn die schon da gewesen wäre bei der Publikation der Pilotstudie am 12. September.

Vreni Peterer [:

Ja, im September 2023 hätte diese Anlaufstelle stehen müssen, und das haben wir via Betroffenenorganisationen schon seit langem gesagt. Wir wussten, dass sich noch viele Menschen melden werden, wenn so eine Studie draussen ist. Ich weiß nicht, was die anderen wussten oder dachten. Die Kirchenverantwortlichen, wir alle waren dann doch überfordert, ich muss es so sagen. Man war überfordert mit diesen vielen Betroffenen, die sich gemeldet haben. Weil das sind nicht nur einfach kurze Telefone, ich habe einen Missbrauch erlebt, sondern das sind Begleitungen. Diese Menschen, da kann man nicht einfach das Telefon aufhängen sie wieder alleine lassen. Die brauchen Begleitung, Unterstützung nach ihren Bedürfnissen. Und am 12. September hat das die Kirche nicht gewährleistet.

Sandra Leis [:

Neben dieser Anlaufstelle gibt es noch ein anderes wichtiges Anliegen, das die Betroffenen-Organisationen immer wieder vorbringen, nämlich die finanzielle Entschädigung. Und vor acht Jahren hat die römisch-katholische Kirche in der Schweiz einen Genugtuungsfonds für verjährte Fälle eingerichtet. Den gibt es schon. Wie zufrieden sind Sie mit diesem Fonds?

Vreni Peterer [:

Es ist gut, dass es ihn gibt. Aber ich muss immer wieder betonen, Betroffenen geht es nicht in erster Linie um das Geld. Mir hat noch nie eine betroffene Person gesagt: Ich will jetzt diese Genugtuung, ich will das Geld. Zuerst geht es wirklich um die Geschichte. Aber es ist wichtig. Da muss ich von mir selber reden: Für mich war es so, dass ich einige Male sagte, mir spielt es keine Rolle, ob es 50 Rappen oder 20'000 Franken sind.

Sandra Leis [:

Das ist das Maximum in der Schweiz.

Vreni Peterer [:

Genau. Mir ging es darum, dass die Kirche anerkennt, dass mir ein kirchlicher Mitarbeiter Leid angetan hat. Und die Kirche zahlt keinen Rappen, wenn sie nicht muss. Stell ich mal so in den Raum und deshalb ist es sehr wichtig. Das Leid können 20’000 Franken nicht wieder gutmachen. Aber es ist eine Anerkennung. Und ich muss noch hinzufügen: Ich habe das Geld, das mir zugesprochen wurde, konnte ich nicht annehmen. Zwei Monate lang war es ein Prozess, weil das für mich schmutziges, dreckiges Geld war. Und erst nach zwei Monaten konnte ich sagen: Jetzt könnt ihr es mir überweisen. Und als ich den Bescheid erhielt, vorgängig, dass mir die Maximalsumme zugesprochen wurde, da hatte ich keine Freude. Ich habe geweint. Also sicher nicht aus Freude. Aber ich habe geweint. Ich wusste nicht, weshalb das so war. Da kam das Leid wieder so hoch. Da kamen die Schmerzen wieder hoch. Aber es ist wichtig, dass es diese Genugtuung gibt, doch es ist sowieso das falsche Wort.

Sandra Leis [:

Ja, es heißt einfach so, Genugtuungsfonds.

Vreni Peterer [:

Das stimmt Aber weder uns, noch den Kirchen, noch den Kirchenverantwortlichen gefällt das Wort. Weil auch ihnen klar ist: Das kann man nicht wiedergutmachen.

Sandra Leis [:

Klar, was man vielleicht noch positiv erwähnen muss: Die Kirche hat, wie ich gelesen habe, nur drei Anträgen nicht stattgegeben und sonst wirklich dann auch bezahlt.

Vreni Peterer [:

Genau.

Sandra Leis [:

Das ist ja ein positives Signal.

Vreni Peterer [:

Unbedingt. Das ist so. Und ich sage, das ist eine Anerkennung des Leides. Und es ist sehr, sehr wichtig, dass die richtig von oben kommt. Und das ist eine Form davon.

Sandra Leis [:

Kommen wir kurz zurück zu den anderen Versprechungen oder Maßnahmen, die die Schweizer Bischöfe in Aussicht gestellt haben. Würde mich Wunder nehmen, was sie davon halten. Also der Forschungsauftrag, der läuft. Das ist erfüllt. Was denken Sie? Wie ist das mit dem Aktenvernichten? Ich meine, das klingt super. Es werden keine Akten mehr vernichtet. Aber wer kontrolliert das?

Vreni Peterer [:

Sie stellen die Frage richtig. Wer kontrolliert das? Das muss eben auch geregelt werden. Mit zusätzlichen Kontrollmechanismen.

Sandra Leis [:

Und haben Sie da schon was gehört, was da passiert?

Vreni Peterer [:

Nein, da habe ich noch nichts gehört. Also ich habe einfach im Gespräch mit den Bistumsverantwortlichen zum Beispiel vom Bistum St. Gallen, da waren wir in einem guten Austausch und die Notwendigkeit ist klar, dass noch zusätzliche Kontrollmechanismen im ganzen Verfahren eingerichtet werden müssen, also dass es nicht zum Beispiel beim Bischof bleibt, nur er weiß von einem Fall und handelt oder handelt nicht, sondern dass da auch von unten nach oben kontrolliert wird.

Sandra Leis [:

Und das andere sind die psychologischen Tests, diese standardisierten. Haben Sie die schon mal gesehen oder wissen Sie, wie das weitergeht? Wie man das Personal quasi prüfen will? Psychologisch durchleuchten, ob sie sich wirklich eignen für diese Aufgaben?

Vreni Peterer [:

Da weiß ich nichts. Aber ich stelle mir das auch sehr schwer vor. Wie soll das geprüft werden? Weil man sieht nicht in die Menschen hinein und jene, die den Club auf SRF gesehen haben, der kurz nach der Präsentation der Pilotstudie ausgestrahlt wurde, da war ein Psychiater dabei, ein renommierter. Und der, sagte so im übertragenen Sinn, er wäre froh, hätte er so einen Kontrollmechanismus, er könnte die Leute durchschauen oder durchleuchten. Also das ist ganz, ganz schwierig. Da bin ich auch sehr gespannt, wie das gelöst wird.

Sandra Leis [:

Also die groben Schnitzer wird man schon finden, aber das Feinstoffliche wird das wahrscheinlich eine große Herausforderung sein. Und eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben.

Vreni Peterer [:

Das wird es nie geben.

Sandra Leis [:

In keinem Beruf natürlich.

Vreni Peterer [:

Und ich bin auch nicht blauäugig. Es wird bei den besten Kontrollmechanismen und bei der besten Prävention und Auswahl wird es wieder Missbrauch geben. Und wir müssen auch vom spirituellen Missbrauch viel öfters reden. Also jetzt kommt das auch von den kirchlichen Stellen, dass dieser spirituelle Missbrauch eben der Nährboden für sexuellen Missbrauch ist, dass dieser ganz gut jetzt angeschaut wird.

Sandra Leis [:

Dass man den Menschen Angst macht, Ihnen selber hat ja dieser Missetäter gesagt, so habe ich es gelesen, Sie kämen in die Hölle, wenn Sie davon sprechen.

Vreni Peterer [:

Ja, genau das ist so.

Sandra Leis [:

Das ist auch spiritueller Missbrauch. Natürlich. Neben dem sexuellen.

Vreni Peterer [:

Das weiß ich erst seit etwa zwei Jahren, weil während der Aufarbeitung, dass das ja auch spiritueller Missbrauch war, so Angst machen. Der Teufel holt dich, wenn du etwas sagst.

Sandra Leis [:

Du kommst ins Fegefeuer. Oder in die Hölle. Also man macht sich die Menschen, die Gläubigen, eigentlich gefügig.

Vreni Peterer [:

Absolut. Und da höre ich immer wieder von Betroffenen, die spirituellen Missbrauch erlebt, wie da die Menschen kaputt gehen, die leiden genauso. Das ist ganz, ganz verrückt.

Sandra Leis [:

Ein Wort, das immer gefallen ist vor einem harten Jahr, als diese Pilotstudie herausgekommen ist: Jetzt ist Zeit für einen Kulturwandel. Vreni Peter, was spüren Sie von dem?

Vreni Peterer [:

Ich spüre, dass wirklich jetzt über Missbrauch gesprochen wird, weil man muss. Ich rede jetzt von der Kirche. Aber es muss noch viel, viel mehr geschehen in diesem Kulturwandel. Man muss noch viel mehr miteinander reden. Miteinander auch auf den Weg gehen, sich gegenseitig nicht als Feinde anschauen, sondern dass wir gemeinsam eine Kirche ohne Missbrauch wollen. Und ich glaube nur, wenn wir auf den gemeinsamen Weg gehen, kommen wir dem Ziel näher. Wir können trotzdem unsere Forderungen stellen. Und die Bischöfe können sagen, das funktioniert nicht, da haben wir kein Geld usw. Aber wir müssen trotzdem auf das gleiche Ziel hinsteuern und da ist schon noch einiges im Tun. Also mich freut es – und das nehme ich auch in den Kulturwandel hinein –, dass wir auf unsere Bitte hin, im Juni mit der Bischofskonferenz zusammenkommen können. Und das ist ein Kulturwandel. Aber das ist auch nötig, dass das geschieht.

Sandra Leis [:

Ja, darüber habe ich auch gelesen, dass Ihre Interessengemeinschaft eben gerne vor der versammelten Bischofskonferenz auftreten möchte, gehört werden möchte. Und da waren zuerst die Signale Schweigen, sagen wir mal so, also nicht gerade so positiv. Aber jetzt haben Sie offenbar ein Signal, dass es zu einem solchen Gespräch kommen wird, das ist ein Fortschritt, ein Kulturwandel.

Vreni Peterer [:

Absolut. Und vor allem die Geschwindigkeit, die jetzt plötzlich möglich war. An einem Samstag haben wir das gefordert.

Sandra Leis [:

Anfang März, oder?

Vreni Peterer [:

Genau. Dort haben wir das gefordert. Und drei Tage später habe ich schon ein Mail bekommen, dass die Bischofskonferenz sich im Juni an der Ordentlichen Versammlung mit uns treffen wird. Also mit uns und auch mit der Westschweizer Betroffenen-Organisation. Und das ist ein Kulturwandel, weil das hat ja noch nie stattgefunden.

Sandra Leis [:

Sie sind Mitglied der römisch -atholischen Kirche. Sie sind eine gläubige Katholikin, und Sie wollen zwar ein Stachel sein in der katholischen Kirche. Gleichzeitig kämpfen Sie aber nicht gegen die Kirche, sondern, wie Sie es gerade vorhin gesagt haben, Sie sind eine Kämpferin für eine Kirche ohne Missbrauch. Glauben Sie, diese Botschaft oder Ihr innerer Antrieb ist auch bei den Bischöfen angekommen. Verstehen sie das auch so?

Vreni Peterer [:

Ich denke schon. Ja. Das ist jetzt angekommen. Deshalb auch diese Geschwindigkeit, dass wir jetzt wirklich zur Bischofskonferenz gehen können. Ich möchte aber noch hinzufügen, dass natürlich jeder Betroffene seinen eigenen Weg gehen muss. Und wenn ich sage, ich bin noch in der Kirche, ich bin gläubig, dann muß ich sagen, das bin ich als Privatperson. Ich bin aber auch Präsidentin der Interessengemeinschaft von Betroffenen. Und da muss natürlich jeder für sich entscheiden. Weil das ist auch wichtig. Da bin ich nicht unbedingt das Sprachrohr. Das ist mein Weg. Und jeder muss seinen eigenen Weg gehen.

Sandra Leis [:

Ihr Wirken, ihr Arbeiten für die IG MikU wurde auch in Appenzell gewürdigt. Sie sind Appenzellerin des Jahres 2023, und kurz danach haben Sie noch den Prix Zora bekommen. Das ist der Preis der Frauenzentrale Appenzellerland. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?

Vreni Peterer [:

Ich habe natürlich Freude. Es freut mich. Und zwar freut es mich für das Thema, dass so das Thema immer wieder diskutiert wird, darüber gesprochen wird. Es freut mich aber auch persönlich natürlich sehr, muss ich eingestehen. Ich musste mich aber auch daran gewöhnen. Ja, dass das auch so eine Begleiterscheinung ist, das es gutgeheißen wird, dass die Leute sagen: Du machst gute Arbeit, das ist wichtig. Und das ist natürlich dann auch die Motivation, die ich bekomme und die mir auch wieder Energie gibt.

Sandra Leis [:

Vreni Peterer, vielen herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.

Vreni Peterer [:

Ich danke Ihnen vielmals.

Sandra Leis [:

Das war die 21. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast war Vreni Peterer. Sie ist Präsidentin der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld und setzt sich dafür ein, dass die römisch-katholische Kirche in der Schweiz umsetzt, was sie vor einem halben Jahr angekündigt hat. Wenn ihr, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, uns Feedback geben wollt, bitte per Mail an podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83. Und damit ihr immer auf dem Laufenden seid, abonniert gerne den Podcast.

In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich mit Irene Gassmann, der Priorin des Klosters Fahr. Sie leitet das Benediktinerkloster seit 20 Jahren. Zeit für eine Bilanz und den Blick in die Zukunft. Bis in zwei Wochen. Und bleibt laut und manchmal auch leise.

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