Zu Gast bei der SKKG ist Daniel Tyradellis, Professor für «Theorie und Praxis des interdisziplinären Kuratierens» am Humboldt Forum in Berlin. In einem Workshop prüft er unser Sammlungshaus auf Herz und Nieren. Er fragt: Setzen wir das Thema Kulturerbe nicht zu selbstverständlich voraus? Und wen interessiert das alles eigentlich? An möglichen Antworten arbeiten wir unterdessen weiter – und freuen uns, wenn auch du dich einbringst!
Was sagst du dazu? sammelstelle@skkg.ch
Links:
«Der obsessive Sammler Bruno Stefanini» – Das Magazin-Reportage von Michael Hugentobler (29.5.2021)
«Auf den Spuren eines gescheiterten Visionärs» – NZZ-Reportage von Claudia Rey (11.6.2022)
PODCAST: Wohin damit? Unterwegs in die Zukunft des
Kulturerbes
Ein Haus mit sieben Siegeln (Folge 2)
[Alain Gloor:] «Wohin damit? Unterwegs in die Zukunft des Kulturerbes» – so heisst dieser
Podcast. Ein Podcast von der SKKG, mit und für die Fachcommunity. Mein Name ist Alain Gloor,
ich bin Projektleiter bei der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte. Kurz, eben: SKKG.
In diesem Podcast geht’s ums Thema Kulturerbe. Ich erzähle dir, woran wir dran sind bei der
SKKG. Was uns gelungen ist. Woran wir gescheitert sind. Wohin es gehen soll.
inem konkreten Fernziel. Etwa:öffnet die SKKG in Oberwinterthur die Türen zu einem neuen Ort für die Arbeit und
Auseinandersetzung mit Kulturerbe. Wir planen ein neues Sammlungshaus.
Was wird das für ein Ort? Für wen und warum braucht es ihn? Das sind Fragen, die uns in diesem
Podcast beschäftigen. Mit dem Sammlungshaus soll weder ein Museum noch ein Schaudepot
entstehen, sondern ein neuartiges Zuhause fürs Kulturerbe.
Wie du aus der eigenen Arbeit wohl weisst, ist das Entwerfen von etwas Neuem immer besonders
schwierig. Und besonders spannend.
[Alain Gloor:] «Ich werde jetzt gleich einsteigen mit einer kurzen Einführung in das Vorhaben von
campo und vom Sammlungshaus. Ich hoffe, dass das nicht zu lange wird. Ich möchte aber für uns
alle eine Grundlage legen und es kann ja auch sein, dass ihr, wenn ich was hier erzähle, anders
verstanden habt oder anders versteht eigentlich. Und dann würde das schon bedeuten, dass wir
erste produktive Differenzen haben sozusagen für den Tag danach.»
[Alain Gloor:] Das bin ich in einem Workshop bei der SKKG. Dazu haben wir Daniel Tyradellis
eingeladen. Dies mit der Aufgabe, kritisch auf unser Sammlungshaus-Projekt zu schauen. Daniel
hat schon viele Ausstellungen gemacht. Er ist Professor für interdisziplinäres Kuratieren am
Humboldt Forum in Berlin. Er gilt als eine der wichtigsten Stimmen, wenn es darum geht, die Welt
der Museen und des Kulturerbes weiterzudenken.
[Daniel Tyradellis:] «Ja, also, ich arbeite seit vielen Jahren als Kurator, hatte aber immer so das
Gefühl, was das Museum ist, steht nicht ein für alle Mal fest. Das muss irgendwie immer wieder
neu gedacht werden. Heute dringlicher denn je. Aus Gründen, über die wir sicherlich reden
werden.»
[Alain Gloor:] Bevor Daniel zu unserem Workshop kam, habe ich mich schon ein paar Mal mit ihm
über die Idee vom Sammlungshaus unterhalten. Off the record, sozusagen.
[Daniel Tyradellis:] «Erst mal noch ein Buch oder Haus mit sieben Siegeln? Also das heisst, ich
habe natürlich ein bisschen gelesen. Ich verstehe die Motivation, glaube ich, aber vor allem glaube
ich, das heisst, ich habe es noch nicht durchdrungen, verstanden, was es ist. Und ich hatte auch
manchmal so ein bisschen den Eindruck, es hat auch eine etwas fugative Tendenz, Antworten zu
geben, die den Zweck haben, die Antwort vor sich herzuschieben.»
[Alain Gloor:] Stopp schnell. «Fugativ», also ich weiss nicht, wie es dir geht. Aber ich musste das
kurz nachsehen. «Fugativ» heisst so viel wie «flüchtig» oder «flüchtend». Aber zurück zu Daniel:
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[Daniel Tyradellis:] «Ich sage das jetzt so deutlich. Das wird jetzt heute noch häufiger passieren,
dass ich so ein bisschen dazu neige, etwas polemisch zu reden. Das ist nicht böse gemeint und
ist wahrscheinlich auch zur Hälfte falsch, oder sogar zu drei Viertel. Aber am Ende freue ich mich
immer, wenn es mehr Energien freisetzt. Also jetzt blöd gesagt: Ich habe keine Idee, warum es so
was braucht. Ich glaube aber schon.»
[Alain Gloor:] Hui, das kann ja heiter werden. Also los, tauchen wir ein.
Aber bevor ich darauf eingehe, was das Sammlungshaus genauer für ein Ort werden soll: Wo
stehen wir im Prozess dorthin?
[Alain Gloor:] «Die erste Phase des Architekturwettbewerbs ist vorbei. Die hat im März gestartet.
Eine offene Ausschreibung. Es haben sich rund siebzig Teams beworben, wir haben zwölf
ausgewählt. Im April wird der Sieger feststehen. Wir werden in eine 2-jährige Planungsphase
gehen, abgeschlossen durch eine 2-jährige Realisationsplanung. Damit glauben wir, einen wirklich
guten Moment, auch nochmals um das eigene Programm anzuschauen, aber auch nochmals zu
schärfen. Und anzuschauen, wo sind unsere blinden Flecken?»
[Alain Gloor:] Da stehen wir also jetzt in diesem Moment. Ich bin mittendrin. Vielleicht geht dir das
beim Zuhören aber etwas zu schnell? Vielleicht muss ich doch noch etwas zurückschauen? Denn
alles beginnt eigentlich mit der Sammlung, die die Stiftung besitzt. Um diese Sammlung kümmert
sich die Stiftung. Aber eigentlich stimmt auch das nicht ganz.
[Alain Gloor:] «Wir würden hier keinesfalls zusammensitzen, wenn es Bruno Stefanini und seine
Sammelleidenschaft nicht gegeben hätte. Er hat gesammelt, ein bisschen wie ein Kapitalist. Also
so, wie er sein Immobilienportfolio und Immobilienvermögen aufgebaut hat, so hat er auch
gesammelt.»
Oder ist das jetzt gar viel Vergangenheit für einen Podcast, in dem es eigentlich um die Zukunft
gehen soll? Ja, okay: Um die Zukunft der Vergangenheit. Aber trotzdem.
[Daniel Tyradellis:] «Also bei Hegel heisst es halt: «Die Gegenwart kommt über den Umweg der
Vergangenheit aus der Zukunft.» Und das, finde ich, ist weiterhin richtig, auch wenn der Mann
lange tot ist.»
[Alain Gloor:] Die Gegenwart kommt über den Umweg der Vergangenheit aus der Zukunft. Bist du
jetzt völlig verwirrt? Also: Wenn wir uns hier im Podcast mit der Zukunft des Kulturerbes
auseinandersetzen, dann tun wir das mit bestimmten Zielen, Ängsten, Wünschen.
Diese Ziele, Ängste und Wünsche haben immer etwas mit der Zukunft zu tun. Sie stammen aber
aus der Vergangenheit. Und daraus nun speist sich die Gegenwart. Die Gegenwart ist dieser
ewige Loop zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Ich für mich habe dafür diese – zugegebenermassen etwas verkürzende – Formel gefunden: Wir
erinnern uns vorwärts.
Aber zurück zu Bruno Stefanini und seiner Sammlung. Der Mensch und die Sammlung, das kann
man wohl so sagen, sind mythenumwoben.
Bruno Stefanini lebte von:Als «Immobilienkönig, der nichts gegen Hausbesetzer hatte», so beschrieb ihn die NZZ kürzlich in
einem Porträt über die Stadt Winterthur, die Heimatstadt von Stefanini.
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Seine Sammlung wurde auch schon mit der «Höhle von Ali Baba» verglichen. Über 85'000 Objekte
sind es. «Das Chaos ist schwer zu beschreiben», schrieb der Schweizer Schriftsteller Michael
Hugentobler letztes Jahr im Tages-Anzeiger.
Weiter schreibt er: «Es ist die in Kartonschachteln verpackte Alltagsgeschichte der Menschheit, die
sich bis unter das Dach stapelt: Paul von Hindenburgs Filzhut, Stockschirm und Wolltuchmantel;
ein Koffer Napoleons; Helme, Büsten, Statuen; ein geflochtener Kinderwagen; ein Schaukelpferd;
mittelalterliche Rüstungen.»
Dieses Chaos, von dem Michael Hugentobler spricht, das haben wir, hat die SKKG in den letzten
Jahren zu bändigen versucht. Sie hat alle Objekte, die während Jahrzehnten an
unterschiedlichsten Orten gelagert waren, temporär in einem Depot zusammengebracht, gereinigt,
fotografiert und inventarisiert.
mmlungshaus diese Sammlung ab:Geschichte gemeinsam und dauerhaft am selben Ort gelagert werden.
[Alain Gloor:] «Aber natürlich nicht, dass sie dort im Keller sozusagen verschwindet, sondern dass
wir erst dadurch, dass wir sie zusammenbringen, ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können, sie in
Anschlag bringen können. Also das ist ganz wichtig, als erstes die Sammlung: Ohne die
Sammlung gäbe es den Ort nicht, den wir hier planen.»
[Alain Gloor:] Die Sammlung ist die «raison d’être» unseres Projekts. Sie ist der Grund, warum wir
überhaupt darüber nachzudenken begonnen haben, ein neues Zuhause fürs Kulturerbe zu
entwickeln.
Es soll ein Ort für die Fachcommunity werden. Wir wollen nicht ein weiteres Museum, aber auch
kein Schaudepot bauen. Wir wollen die Museumsszene nicht konkurrenzieren, sondern ergänzen,
herausfordern, unterstützen. Als Partnerin auf Augenhöhe.
Neben der Fachcommunity wollen wir aber auch für Neuhegi da sein. Neuhegi: So heisst unser
zukünftiges neues Zuhause in Oberwinterthur. Für Neuhegi wollen wir eine gute, neugierige
Nachbarin sein.
Aber halt dich fest. Es geht noch etwas weiter. Neben dem Sammlungshaus entstehen nämlich
auch Wohnungen, Raum für Kleinbetriebe, ein Restaurant und Coworking-Spaces. Alles am
selben Ort. Fast ein kleines Quartier im Quartier.
Für diesen Teil ist die Terresta im Lead, die Immobilienfirma der SKKG. Das Gesamtprojekt – wir
nennen es campo – soll Arbeit, Leben und Kultur miteinander verbinden. Die alte, grosse Utopie.
Und bei der Realisierung dieser Utopie spielt unsere Sammlung eine ganz wichtige Rolle. Sie soll
die verschiedenen Menschen und Nutzungen vor Ort miteinander verbinden. Damit ein lebendiger
Ort entsteht.
Denn Lebendigkeit entsteht nicht von alleine. Gerade da kann Kulturerbe eine wichtige Rolle
spielen. Und wir haben nun diese einmalige Chance, die Sammlung zusammen mit der Architektur
zu denken.
[Alain Gloor:] «Zu diesem Thema: Also wie kommt die Sammlung in die Architektur? Wie
verschränkt sie sich damit? Hier komme ich auf den Punkt zurück, den ich zu Beginn gemacht
habe: Haben wir gemerkt, dass wir den Architekten oder den Teams eine gewisse Struktur geben
müssen.
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Das ist einerseits der Ansatz des Re-sets, also wir bringen Kunst im ganzen campo in ihren
ursprünglichen Verwendungszweck zurück? Wir hängen ein Bild wieder an der Wand auf.
Behandeln es auch konservatorisch nach den musealen Massstäben sozusagen. Nur hängen wir
es vielleicht ins Büro. Oder wir stellen den Oldtimer in die Tiefgarage.
Wir haben das Modell Re-use, wie der Name schon sagt. Wir nehmen Möbel oder Geschirr, was
auch immer, aus der Sammlung und bringen es in einen tatsächlichen Gebrauch zurück in campo.
Sozusagen als Kulturerbe kommt es zurück in seine ursprüngliche Verwendung.
Ein dritter Ansatz haben wir Re-play genannt, dass wir bestimmte Objekte aus der Sammlung mit
Künstlerinnen und Künstlern benutzen, um an bestimmten Orten einsetzen. Wir haben zum
Beispiel über 30 Kronleuchter, fünf können wir in der Sammlung behalten. Mit 25 könnte man eine
Installation machen.»
[Alain Gloor:] Re-set, Re-use, Re-play: Wir stellen uns die Verschränkung von Architektur und
Sammlung also ziemlich radikal vor. Die Architekt:innen dürfen die drei Ansätze auch kombinieren
– oder sie ganz verwerfen, wenn sie auf andere Ideen kommen. Die Sammlung soll vor Ort die
Freiraum- und Aufenthaltsqualität erhöhen. Aber auf keinen Fall blosse Dekoration sein.
Sie soll produktiver Stolperstein sein, zum Dialog anregen. Sie soll irritieren, zum Lachen und
Nachdenken bringen. Und sie soll im ganzen campo präsent sein. Vielleicht sieht man zum
Beispiel von der eigenen Wohnung in das Depot oder man leiht sich Objekte aus der Sammlung
für die eigene Wohnung aus. Es gibt unzählige Möglichkeiten.
Vor Ort soll aber nicht nur die Sammlung auf neue Art und Weise präsent werden. Es sollen sich
auch Einblicke in die Arbeit mit Kulturerbe ergeben. In die damit verbundenen Prozesse.
Aber in welchem Gestus wir diesen Einblick gestalten, wissen wir noch nicht. Ziehen wir den
Vorhang? Geben wir Einblick in etwas Geheimnisvolles? Oder zeigen wir die Arbeit mit Kulturerbe
ganz selbstverständlich? Dass bei uns wie in manchen anderen Fabriken einfach tagtäglich
gearbeitet wird? Nur dann bei uns am Kulturerbe.
Zusammengefasst verfolgt das Sammlungshaus drei Ziele: Erstens soll die Sammlung erstmals in
ihrer Geschichte am selben Ort professionell gelagert und bewirtschaftet werden.
Zweitens sollen tiefe und spannende Einblicke in die Arbeit mit Kulturerbe und in die Sammlung
geschaffen werden.
Und drittens soll ein Hub für die Zukunft des Kulturerbes entstehen. Ein Ort fürs gemeinsame –
Achtung, ich hab’s heute schon mal eingebracht – Vorwärtserinnern.
Und dann kam ich endlich zum Schluss meiner Einführung ins Projekt ...
[Alain Gloor:] «... und ich glaube, das ist schon mein letzter Punkt, was natürlich auf einer tieferen
Ebene ganz wichtig wird für die erste Frage, mit der wir wohl gleich einsteigen werden: Welche
Institutionen braucht das Kulturerbe der Zukunft? Heisst auch hier ganz konkret: Welche Räume,
welches Programm braucht das Kulturerbe der Zukunft?
Wir haben zum Beispiel diesen Raum des Hangars angedacht, 240 Quadratmeter. Das muss vor
allem ein sehr hoher Raum werden, der kann bis zu 7 Meter jetzt hoch werden und soll eine
Probebühne sein, eine offene Werkstatt mit Präsentationscharakter. Daneben vielleicht noch
herausheben kann ich die vier Studios à 50 Quadratmeter, die für externe Forschende und für uns
selber zur Verfügung stehen, aber auch zu einem Raum zusammenschliessbar sein sollen.»
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[Alain Gloor:] Am Ende wurde es also doch noch etwas konkreter: Hangar, Studios,
Konservierungsateliers, natürlich das Depot in verschiedene Zellen aufgeteilt. Insgesamt ist das
ross. Davon das Depot alleine:Fussballfeld.
Daniel hat sich meine Ausführungen aufmerksam angehört. Vorher war das Projekt für ihn ja nicht
ganz fassbar.... Und jetzt?
[Daniel Tyradellis:] «Ja, vielen Dank. Ich meine, ich hatte es ja auch gelesen. So, Pi mal Daumen
hatte ich jetzt ein Bild. Aber das hat sich jetzt einerseits konkretisiert, andererseits eher verwirrt.
Aber das ist ja auch logisch.
Die vielleicht naive Nachfrage: Sammlung und Lebendigkeit. Als Laie würde man ja eher mal sagen
Sammlungen sind eigentlich die Verkörperung des Toten. Also wie denkt ihr das? Also ich frage
jetzt auch vor dem Hintergrund: Wenn man sagt mit dem Begriff Museum noch irgendwie, was
machen will ... da stehen Sachen rum ... und da würde ich mich so ein bisschen an Robert Pfaller
dranhängen. Museen haben den Zweck, dass man nicht hingehen muss.
Das heisst, es ist gut, dass man weiss, dass es sie gibt. Aber man geht eigentlich nicht freiwillig da
rein, weil es einfach zu langweilig ist. Da bin ich der Erste, der das unterschreibt. Also ich finde das
alles fürchterlich langweilig. Aber es wäre schon doof, wenn es weg wäre. Also das heisst, man
hat ja ohnehin so ein etwas eigentümliches Liebesverhältnis zu dieser Art von Örtlichkeit, gerade
wenn es um die Frage der Sammlung geht.»
[Alain Gloor:] Daniel hat uns gefragt, wie wir das denken: totes Kulturerbe und Lebendigkeit. Für
ihn stellt sich diese Frage bei Sammlungen besonders scharf. Weil es nicht einfach ist, zu
Sammlungen einen Bezug herzustellen. Sie zum Sprechen zu bringen. Im Gegensatz zum Beispiel
zu Themenausstellungen. Also Ausstellungen, in denen Objekte aus bestimmten Sammlungen
anhand einer Erzählung oder anhand einer These eine Funktion einnehmen können.
Da spricht er einen zentralen Punkt an. Wie schaffen wir es, dass totes Kulturerbe im campo
Lebendigkeit herstellen kann? Daniel ist sich nicht sicher, ob es der richtige Weg ist, die Prozesse
zu zeigen, die mit der konkreten Arbeit mit Kulturerbe zu tun haben. Also das Restaurieren, das
Konservieren, etc. Wie auch wir das vorhaben.
[Daniel Tyradellis:] «Also jedes Objekt, ob das jetzt die Mona Lisa ist oder eine Socke von mir oder
so, ist sozusagen erst mal eigentlich total egal, ausser man lädt es kulturgeschichtlich auf, um
dann das Phantasma von Aura oder sonstwie zu produzieren. Und wenn ich jetzt sage, ich
verfolge die Idee, dass ich was präsentiere, aber auch die Arbeit daran zeige, dann baue ich
eigentlich am Abbau, wirklich am Abbau von jeder Wertschätzung des einzelnen Exponats
prinzipiell eher mit, weil man sich denkt: Ach, so ist das, das ist ja alles nur ein gemachter Effekt.
Das ist einerseits ein Aufklärungsprozess, weil ja, genau so ist es.
Andererseits nimmt man aber auch was weg, nämlich dass dieser gemachte Effekt ja trotzdem
wichtig ist, dass es das gibt und dass dieses Brimborium, das man drumherum inszeniert, Teil
dieser vermeintlichen Identität von Sammlungsobjekten ist. Und das ist für mich so ein
Widerspruch.»
[Alain Gloor:] Guter Punkt. Aufklärung oder Aura. Um es mal überspitzt zu formulieren. Beides ist
wichtig. So wie ich Daniel kenne, liegt für ihn im Widerspruch aber auch das Potenzial für Neues.
In diesem Sinne sind wir gar nicht so schlecht unterwegs.
An diesem Punkt der Diskussion meldet sich mein Chef Christoph Lichtin. Er ist Geschäftsführer
der SKKG. Oh, und er sass etwas weit entfernt vom Mikro ...
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[Christoph Lichtin:] «Also im Kern ist es unsere Aufgabe, uns mit Kulturerbe zu beschäftigen. Und
das ist eigentlich als Prozess immer ein Dialog darüber, was wichtig ist und was einen Wert hat
oder was Bedeutung hat. Und ich glaube, das ist der Betriebsmodus, den wir suchen hier. Wie
kommen wir in diese in diesen Dialog? Und auch genau diese Konflikte, die gerade angetönt hast,
Humboldtforum, die haben wir intern auch: Welche Objekte kann man ins Re-play bringen, welche
dürfen «nur» Re-set sein? Das ist genau dieser Dialog. Was ist wichtig? Was hat Bedeutung? Wem
gehört was und wer entscheidet darüber, in welchem Modus etwas verwendet wird.»
[Daniel Tyradellis:] «Gibt es auch die Möglichkeit, Objekte zu denken, ohne das mit dem mit der
Agenda von Erinnerung, Gedächtnis, Erbschaft zu denken? Kann man Objekte nicht synchroner
denken, mal blöd gesagt, also als Verdichtung von Konflikten? Die sind zwar immer auch
historisch, klar, sie sind historische Artefakte. Aber sie sind immer auch eine Verdichtung von
Fragestellungen, die im besten Fall jeden angehen. Und dass man dieses Potenzial nutzen kann
und dass man dann von dort aus wir haben gestern auch kurz ansatzweise darüber gesprochen,
ob man nicht von dort aus überlegen kann: Könnte es eine Schule dafür sein, die Konflikte, die die
raison d'être von Objekten sind, zu sehen, wirklich zu verstehen. Also, um zu verstehen, dass
Kultur nicht bloss Erbe ist, sondern eine Materialisierung von Fragestellungen, die uns helfen,
miteinander ins Gespräch zu kommen.»
[Christoph Lichtin:] «Aber das macht doch genau Kulturerbe aus. Also wir verstehen Kulturerbe
nicht im Sinne einer Geschichtsvermittlung, sozusagen das Objekt als Stellvertreterobjekt, um in
eine Geschichte einzutauchen. Für uns ist Kulturerbe total in der Gegenwart verortet.»
[Alain Gloor:] Vielleicht kannst du dich erinnern, wie ich zum Ende meiner Einführung ins
Sammlungshaus den Hangar und die Studios vorgestellt habe. Für die Verortung des Kulturerbes
in der Gegenwart nehmen diese Räume für uns eine sehr wichtige Funktion ein. Christoph erklärt
es hier nochmals:
[Christoph Lichtin:] «Also vielleicht ein Satz zu den Studios. Ich kann mir gut vorstellen, dass dort
so was eingelöst werden kann. Wo’s genau um diesen Dialog geht: Was passiert da eigentlich
genau in diesem Studio? Warum ist diese dänische Forschergruppe da und beschäftigt sich mit
dem und was passiert dann damit? Also es geht dann nicht um diese Armbrust, die sie jetzt
interessiert. Sondern es geht darum: Wieso interessieren sich diese heute für diese Kulturtechnik
und was bringt das und welchen Mehrwert zieht man daraus?
Und ich glaube, das ist auch das, was wir noch nicht haben und immer gesagt haben: diese
Verknüpfung von Kommunikation im Haus, die Erzählung, was dieses Haus ist, was diese Leute
da machen, was diese Konfrontation mit Objekten auslöst. Vom Depot über Studios über den
Hangar, der sozusagen die Vorführstation ist dieser Dialogkonstruktion, das ist noch nicht so
richtig ausformuliert.
Da machen wir etwas, was die Szene als Herausforderung interessiert. Das spielen wir dort durch.
Mit Leuten, die sich genau für diese Fragen interessieren. Dann geht es eben genau nicht um
diese Objekte, sondern es geht um diese Beschäftigung mit den Objekten. Und das ist ein Diskurs
innerhalb der Fachcommunity, das ist so. Das haben wir uns lange überlegt: Ist das richtig? Aber
ich denke, der Elefant im Raum ist genau diese Frage: Wen sollte das eigentlich interessieren? Das
müsste eigentlich in diesem Hangar auch immer der Elefant sein. Wieso soll das Bedeutung haben
für die Gesellschaft?»
[Daniel Tyradellis:] «Ja, das finde ich total richtig. Und gleichzeitig gehört immer dazu, dass es
eigentlich nur um das Stellen dieser Frage geht. Es geht nicht darum, eine Antwort zu finden,
sondern dass man eigentlich im besten Fall immer wieder neue Konstellationen schafft, in denen
man sich fragt: Wofür soll das eigentlich gut sein?»
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[Alain Gloor:] Ja, das sind Fragen, die uns auch im Sammlungshaus-Projekt immer wieder
antreiben und umtreiben werden: Wofür soll das gut sein? Wen soll das interessieren?
In diesem Podcast nehme ich dich mit auf unsere Suche nach Antworten auf diese grossen
Fragen.
Was mir deutlich wurde an diesem Tag mit Daniel: Wir können noch lange behaupten, dass wir
kein Museum sein wollen – wir stecken trotzdem in diesem Kontext drin. Damit müssen wir
arbeiten. Und wir müssen es weiterhin aushalten, dass wir selbst noch um Antworten ringen.
Wir seien «fugativ», hat Daniel gesagt. Kannst du dich noch erinnern? So ein bisschen flüchtig und
flüchtend unterwegs. Vielleicht erfinden wir ja das «fugative Museum» als neue Form? Vielleicht
haben wir auch einfach noch keinen Begriff davon, was es werden soll?
Apropos: Hast du vielleicht eine bessere Bezeichnung für unser «Sammlungshaus»? Wir sind
nämlich schon länger nicht wirklich happy damit und haben uns deswegen schon ziemlich den
Kopf zerbrochen.
Und was sagst du sonst zum Sammlungshaus? Wofür soll es gut sein? Hast du erste Antworten
oder nun tausend Fragen? Hast du Bemerkungen, Hinweise? Was brauchst du eigentlich in deiner
täglichen Arbeit? Was fehlt dir? Wovon träumst du?
Das sammle ich alles. Schreib mir an diese Mail: sammelstelle@skkg.ch. Du findest sie auch in den
Shownotes. Ich freue mich, von Dir zu lesen!
Nächstes Mal tauchen wir ein in die Sammlung der SKKG. Wir haben 80’000 Objekte unserer
Sammlung gereinigt, inventarisiert, sauber verpackt. Jedes einzelne Objekt haben wir mit
derselben Sorgfalt behandelt. Soll man ein Hodler Gemälde und einen Spielzeug-Lastwagen gleich
behandeln? Ist das völlig daneben oder der einzig richtige Weg?
Ja, das war’s! Danke fürs Zuhören. Ich freue mich, wenn du bei der nächsten Folge wieder dabei
bist!
Um keine Folge zu verpassen, abonniere den Podcast da, wo du ihn jetzt gerade hörst.
Mein herzlicher Dank geht ans Podcast-Projektteam mit Christine Müller, Rahel Stauffiger und
Laura Walde für die tatkräftige Unterstützung im Hintergrund.
Danke auch dem ganzen SKKG-Team, Daniel Tyradellis und der Podcastschmiede, Nico Feer für
den Sound und, last but not least: danke, Bruno!