Evelyne Graf leitet als Advanced Practice Nurse (APN) das Chronic Care Team am Standort Medbase Wil Friedtal. Helena Zarrais ist Leiterin Pflege der Specialty Care Therapiezentren AG von Zur Rose. Pflegefachkräfte bei der Medbase Gruppe begleiten Patienten und Patientinnen mit meist chronischen Krankheiten. Mit grossem Engagement gehen sie die Extrameile und sorgen für eine verbesserte Lebensqualität der betreuten Menschen. Zusätzlich entlasten sie mit ihrer Arbeit Ärztinnen und Ärzte.
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Transkript Medbase im Dialog
Folge 3 Chronic Care
Helena: Im Alltag bewege ich sicher das Leben meiner Kunden und Patienten, die ich besuche. Je nachdem ist es vielleicht die einzige externe Person, die an diesem Tag zu ihnen kommt.
Evelyne: Ich bewege die APN-Rolle weiter, weil die gibt es noch nicht lange bei uns. In anderen Ländern gehen Patientinnen und Patienten zuerst zur APN und irgendwann später zur Ärztin oder zum Arzt.
Intro: Medbase im Dialog - Zwei Perspektiven, eine Leidenschaft.
Medbase ist eine der ersten ambulanten Gesundheitsversorgerinnen, die Stellen für Pflegefachpersonen anbietet. Sie können Menschen mit chronischen Erkrankungen sehr selbstständig betreuen. Diese Arbeit möchte ich heute mit meinen Gästen genauer anschauen. Herzlich willkommen bei Medbase im Dialog, mein Name ist Lucia.
Meine Gäste heute sind zwei Pflegefachfrauen, die beide vom Spital in den ambulanten Bereich gewechselt sind und heute in der Medbase Gruppe in der Chronic Care arbeiten, also in der Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen. Beide haben in diesem Bereich auch leitende Funktionen. Herzlich willkommen, Evelyne und Helena.
Evelyne, Helena: Hallo
Lucia: Ihr kennt euch nicht. Evelyne, du bist leitende APN oder Advanced Practice Nurse im Medbase Medical Center in Wil Friedtal. Und du, Helena, bist Leiterin Pflege beim Bereich Specialty Care der Online-Apotheke zur Rose. Ihr beide betreut Menschen mit chronischen Erkrankungen, aber in unterschiedlichen Bereichen innerhalb der Medbase Gruppe. Zuerst zu dir, Evelyne. Wie sieht deine Arbeit im Medical Center aus?
Evelyne: Ja, ich begleite und betreue Menschen mit chronischen Krankheiten. Das sind Leute mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Beeinträchtigungen, Suchtproblematik. Aber es sind manchmal auch Menschen, die akute Sachen haben, wie heute Morgen z.B. jemand mit Nackenschmerzen. Es ist ein sehr breites Arbeitsgebiet, in welchem ich eingesetzt werde.
Lucia: Du bist APN, Advanced Practice Nurse. Was heisst das genau?
Evelyne: Das heisst, dass ich den Bachelor und den Master machen musste. Den Master im Umfang von 90 ECTS-Punkte. Ich musste mich im Bereich Clinical Excellence spezialisieren. Das heisst, ich musste lernen, wie man jemanden untersucht. Ich musste mich vertiefen in den Themen, die ein APN noch machen muss. Ich habe auch Mentoratsstunden mit meinem Mentor verbracht und habe mich auch bei «APN-ch» registriert. Das ist ein anerkanntes Label für Pflegefachfrauen, Pflegefachmänner, die APN sind.
Lucia: Als APN hat man zusätzliche Aufgaben zu einer Pflegefachperson dazu. Was sind das für Aufgaben?
Evelyne: Der grosse Unterschied ist, dass eine Pflegefachperson HF oder mit einem Bachelorabschluss schon eher auf einer Abteilung arbeitet. Die meisten sind im stationären Setting tätig, und in der Spitex. Und die APNs sind die, die jetzt bei uns im ambulanten Bereich arbeiten. Es gibt von denen natürlich noch sehr, sehr wenige. Darum kann ich jetzt auch nicht von allen APNs sprechen. Wir sind jetzt gerade mal vielleicht 50 in der Schweiz. Und wir arbeiten zusammen mit den Ärztinnen und Ärzten und arbeiten auch delegiert, aber die Delegation ist viel allgemeiner. Also in meinem Bereich heisst das, der Arzt oder die Ärztin gibt mir einen Patienten und ich begleite den von A bis Z. Und der Arzt ist nur noch der Mentor und kommt ins Spiel, wenn ich eine Frage habe. Und nicht mehr so wie auf der Bettenabteilung, wo man als HF-Pflege arbeitet. Dort ist man sehr fest auf die Ärzte angewiesen und es kommen täglich Verordnungen, die man umsetzt. Und ich brauche die Ärzte nicht mehr so fest, sondern es geht eher um das Rechtliche, das ich die Ärzte brauche. Und wenn es um das Finden von Diagnosen geht. Also die APN ist eher die, die begleitet und beratet. Und die Ärzte sind die, die eher diagnostizieren. So ganz allgemein gesagt.
Lucia: Zu dir, Helena. Du bist in der Specialty Care bei Zur Rose tätig. Zur Rose ist ja bekannt als Online-Apotheke. Wie kommt es, dass Zur Rose ein Team mit Pflegefachleuten hat?
Helena: Wie du gesagt hast, ist es eine Versandapotheke. Dort hat man gemerkt, dass man sehr viele chronische Patienten mit Medikamenten versorgt und da fehlt die Begleitung. Wenn der Arzt ein Medikament verordnen will, dann begleiten wir das. Wir haben ein bisschen ein anderes Patientengut, wir haben schon chronisch kranke Leute, aber neurologisch, z.B. Multiple Sklerose oder einen Morbus Crohn gastroenterologisch, und wir arbeiten mit den Spezialisten zusammen, immer auf Verordnung der Spezialisten. Was wir zusätzlich zur Praxis machen, weil sie keine Zeit haben, versorgen wir Patienten zu Hause. Wir schauen, dass sie das Medikament richtig im Kühlschrank haben, dass sie es richtig applizieren, gehen so viele Male vorbei, wie sie es brauchen, oder wir applizieren es selbst.
Lucia: Und euer Team gibt es seit 15 Jahren bei zur Rose, aber es hat klein angefangen mit zwei Pflegefachfrauen und wächst seit dann, also mittlerweile seit ihr 15. Also das heisst, der Bedarf ist da und steigt.
Helena: Ja, der Bedarf ist da und steigt. Und wir sind auch oft bei den Ärzten in den Praxen, also sind auch beim Arzt quasi Personal und machen dort für ihn die Infusionstherapie. So entlasten wir zum Beispiel das Spital, sodass die Patienten nicht ins Spital müssen für eine Infusionstherapie, sondern sie können in der Praxis begleitet werden durch ihren betreuenden Arzt. Der Arzt sieht sie dann auch und die Infusionstherapie kann so in der Praxis stattfinden.
Lucia: Ihr habt beide ergänzende Funktionen in der Gesundheitsversorgung. Funktionen, die es noch nicht so lange gibt. Also die APN gibt es seit etwa 20 Jahren und du hast gesagt ihr seid nur 50, also noch nicht so viele. Ist es auch ein Bereich, der wächst?
Evelyne: Der wächst wahnsinnig. Am Dienstag waren 14 Studierende bei uns in der Praxis. Die Hälfte hat die Hand gehoben, als ich fragte, wer interessiert ist, eine APN-Rolle zu übernehmen. Es ist sicher ein sehr beliebtes Spektrum, aber viele haben auch etwas Angst. Man lernt nicht alles eins zu eins in der Ausbildung oder im Studium, man muss sich später ziemlich reinbeissen, wenn man APN werden will. Man hat noch nicht wahnsinnig viel Wissen. Man hat viel Vorwissen und es kommt schnell, aber es ist nicht einfach etwas, das von der Stange geliefert wird, das man einfach so machen kann. Eine APN deckt so ein breites Spektrum ab, also meine Kollegin z.B. arbeitet auf einer Abteilung im Kinderspital und sie begleitet Menschen mit zystischer Fibrose oder mit Spina bifida, sehr spezielle Gebiete, und das kann man nicht alles lernen in der Grundausbildung oder in einem Studium. Darum ist es für mich logisch, dass wir uns das Wissen später aneignen müssen.
Lucia: Der ambulante Bereich wächst, warum ist das so?
Evelyne: Das ist aus bekannten Gründen, weil wir alle immer älter werden und im Alter kommen erst recht Krankheiten dazu. Dadurch gibt es Versorgungslücken im Moment. Wir haben viel zu wenige Leute, die chronisch kranke Leute begleiten. Also nicht nur die Diagnose finden, sondern längerfristig begleiten. Zum Beispiel beim Herzinfarkt weiss man, dass die Menschen nach etwa sechs Wochen die Medikamente schon nicht mehr nehmen, weil sie erstens vielleicht nicht wissen, wieso sie es nehmen müssen, zweitens man spürt die Medikamente eben nicht, also man hat keine Wirkung, wie zum Beispiel bei einer Kopfweh-Tablette. sondern man verhindert Langzeitschäden. Und dort sind die APNs vor allem gut, weil wir sehr gut erklären und aufzeigen können und die Leute begleiten, sodass die Krankheiten auf Dauer nicht schlimmer werden oder keine zweiten Krankheiten dazukommen.
Lucia: Machst du die gleichen Beobachtungen?
Helena: Das ist bei uns ähnlich. Einfach andere Krankheitsbilder. Aber es ist ähnlich, wenn du z.B. bei einer Multiple Sklerose eine Spritze verabreichen musst, und mit der Zeit beobachtet man, dass die Leute zum Teil spritzen-müde werden. Und dann das Medikament einfach absetzen und nicht Rücksprache nehmen mit einem Neurologen oder so. Dafür sind wir da, dass wir sie begleiten und dann auch eine Zeitlang diese Spritze übernehmen und sie dort begleiten können.
Evelyne: Genau, und insofern gibt es ja schon eine Entlastung für das Gesundheitssystem, weil die Personen dann wahrscheinlich weniger wieder ins Spital müssen und längerfristig zu Hause bleiben können, sie brauchen die stationäre Versorgung eben nicht. Insofern haben wir schon einen Nutzen auch für das gesamte Gesundheitssystem, weil es wahrscheinlich unter dem Strich billiger bleibt.
Helena: Ganz genau.
Lucia: In diesem Podcast stelle nicht nur ich die Fragen, wir haben hier in der Mitte ein Körbchen mit versteckten Fragen für euch. Helena, würdest du anfangen und ein Zettelchen ziehen mit einer Frage für Evelyne?
Helena: Evelyne, was bringt dich in deinem Berufsalltag zum Lachen?
Evelyne: Manchmal sind Situationen sehr ernst und sehr schwierig für beide Parteien, also für die Patientin, den Patienten und für mich. Und zum Lachen bringt es mich manchmal, wenn wir trotz des Schlimmen etwas Lustiges oder Schönes finden. Ich kann mich an eine Person erinnern, die mir erzählt hat, sie sei suizidal gewesen. Im Nachhinein konnten wir über die schwierige Zeit schon lachen und den Humor wieder ein bisschen finden. Das finde ich auch schön, wenn man nach einer so schwierigen Zeit wieder zurück ins normale Leben findet. Lachst du manchmal auch?
Helena: Ja, also uns geht es ein bisschen ähnlich. Was ich auch sehr positiv finde, ist, wenn du einen Patienten hast, der dank deiner Therapie und deiner Begleitung wieder ein Lächeln hat oder auch merkt, es geht ihm besser, er kann wieder etwas im Alltag machen, dann bringt uns das eigentlich schon auch zum Lachen. Das ist das Schöne daran.
Lucia: Evelyn?
Evelyne: In welchen Fällen gehst du die Extrameile?
Helena: Ich würde sagen, für den Patienten vor allem, wenn eine gewisse Beziehung schon steht, ich ihn schon länger kenne und ich weiss jetzt, dass er meine Hilfe braucht. Ich bin auch schon abends um 6 Uhr zu jemandem gefahren, der einfach nicht mehr weiter gewusst hat mit der Spritze und mich weinend angerufen hat. Für sie war das ganz schlimm. Dann bin ich noch schnell zu ihr gefahren und habe das mit ihr angeschaut. Ich denke, für einen Patienten allgemein mache ich diese Extrameile schon.
Lucia: Wie ist es bei dir, Evelyne?
Evelyne: Also, ich nehme die Extrameile in jeder Beratung, weil ich merke, wenn man schnell zum Ziel kommen will, dass das nicht wirklich zielführend ist auf Dauer. Und ich versuche, die Patienten mit ganz vielen Fragen und Hausaufgaben nach Hause zu schicken, sodass sie nachdenken müssen oder sollen über diese Situation, sich überlegen, wie sie mit dieser Krankheit weiterleben möchten. Das ist vielleicht eine schwierige Extrameile, aber längerfristig haben wir dadurch, denke ich, eine stabilere Situation.
Lucia: Ihr habt beide nach der Ausbildung zuerst im Spital gearbeitet, du hast vorhin auch gesagt, dass die meisten Pflegefachpersonen stationär im Spital arbeiten. Mittlerweile seid ihr im ambulanten Bereich. Was unterscheidet die Arbeit mit den Patienten und Patientinnen im ambulanten Bereich zum Spital?
Helena: Also jetzt in meinem Bereich kann ich sagen, ich habe vielleicht fünf Minuten länger Zeit, um zu sprechen, als manchmal im Spital oder gegen Schluss, als ich noch im Spital arbeitete. Was mir persönlich der jetzige Alltag bringt, ist, dass ich zeitlich flexibler bin. Das heisst, ich muss nicht Punkt 7 Uhr auf der Station sein. Und auch, weil wir immer wieder die gleichen Patienten haben, die entweder im Turnus bleiben oder auch wieder zurückkommen, weil das Medikament gewechselt wird, haben wir eine andere Beziehung zum Patienten. Ich war auf der Chirurgie im Spital, dann wurden sie operiert und nach zwei Tagen wieder nach Hause gelassen. Und dann, ja, hast du sie zum Teil nie mehr gesehen.
Evelyne: Ja, mir ging es auch so, ich habe auch auf einer Chirurgie gearbeitet, dort war der Schwerpunkt vor allem die akute Versorgung. Ich studierte später noch Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsförderung. Und das hat mir immer gefehlt . Es war gar nicht möglich, den Patienten etwas mitzugeben bezüglich der Gesundheitsförderung, weil sie mit Schmerzen, Wunden und Schläuchen beschäftigt waren. Und in dieser Situation konnte man das nicht auch noch machen. Der Mehrwert im ambulanten Setting bei mir ist, dass ich die Patienten immer wieder sehe, also über eine lange Zeit. Und nicht schon heute alles erledigt haben muss, weil sie ja wiederkommen und dann kann man dort wieder anknüpfen und weitermachen.
Lucia: Und es ist so, dass du vor allem Patienten, Patientinnen im Medical Center betreust? Oder bist du auch unterwegs?
Evelyne: Die meisten sind im Medical Center. Eine Kollegin, eine APN, begleitet Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung in einem Heim. Andere von uns gehen auch in Pflege- und Altersheime. Wir machen auch Heimbesuche. Der grösste Teil ist aber im Center.
Lucia: Ihr habt beide auch leitende Funktionen, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Was sind dort eure Aufgaben? Helena?
Helena: Bei mir geht es v.a. darum die Planungen anzuschauen, weil wir schweizweit unterwegs sind. So dass nicht jemand von der Ostschweiz nach Bern fährt und jemand von Bern nach Zürich oder so. Dass man das ein bisschen koordiniert, vor Ort kann aber jede eigentlich den nächsten Termin mit dem Patienten selber abmachen. Und was ich auch noch mache, ist natürlich die ganze Spesenabrechnung und anschauen, das ist das, was ich zusätzlich mache im Vergleich zum Team.
Evelyne: Ich war die erste APN in Wil und ich habe dadurch das ganze Chronic Care Management aufgebaut. Und ich musste dadurch ganz viele Unterlagen zusammenstellen, Edukationsmaterialien, weil es am Anfang nichts gab. Und jetzt im Moment sind wir fünf APNs. Und meine Funktion ist jetzt keine grosse Leitungsfunktion mehr, sondern es geht mehr um Qualitätsentwicklung, es geht um die Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten und den MPAs. Ich mache ein Mitarbeitergespräch pro Jahr, und sonst muss ich sie
nicht führen, die führen sich selbst.
Lucia: Also es ist eigentlich ein kleinerer Teil von eurer Arbeit. Ihr seid schon vor allem bei den Patientinnen.
Evelyne, Helena: Ja.
Lucia: Wir machen weiter mit einer Frage aus dem Körbchen. Vielleicht kannst du, Evelyne, diesmal anfangen.
Evelyne: Was bewegst du in deinem beruflichen Alltag?
Helena: Im Alltag bewege ich sicher das Leben meiner Kunden, Patienten, die ich besuche. Je nachdem ist es vielleicht die einzige externe Person, die an diesem Tag kommt. Wir sind wie ein Privatspitex, die zu den Patienten geht und das macht. Und dementsprechend bewege ich dort sicher sein Leben, sein Gespräch, das er dort haben kann. Und dadurch, dass wir schweizweit unterwegs sind, bewege ich sehr viel das Auto mit sehr vielen Kilometern.
Lucia: Bei dir, Evelyne?
Evelyne: Ich bewege die APN-Rolle weiter, weil die gibt es noch nicht lange bei uns. Ich konnte gestern eine neue Person einstellen. Ich hoffe, dass wir bald ein gutes Chronic-Care-Team beieinander haben oder noch ein besseres, um zum Beispiel die 2'000 Herz-Kreislauf-Patienten zu begleiten, in Zusammenarbeit mit den Chronic-Care-MPAs. Ich glaube, da gibt es noch ganz viel Arbeit und auch schöne Arbeit, die wir vor uns haben.
Lucia: Du hast gesagt, du hättest einstellen können. Ist das schwierig, Leute zu finden?
Evelyne: Ja, es ist nicht so einfach. Ich habe wenige Bewerbungen erhalten. Und ich merke, wenn ich mit diesen Leuten spreche, dass sie Angst vor dieser Funktion haben, weil sie den Background nicht mitbringen, weil sie die Verantwortung enorm finden, weil sie ganz viel Wissen noch nicht haben. Es macht wirklich etwas Angst, wenn ich mit diesen Leuten spreche. Aber ich möchte allen diesen Leuten sagen, dass es machbar ist. Man lernt es, man bekommt Begleitung und eine super Einführung. Man kann es wirklich lernen. Denn der Rucksack ist schon voll gescheitem Wissen.
Lucia: Wie ist es bei euch?
Helena: Bei uns ist es sehr ähnlich. Das Alleinsein, man ist in einem Team und gleichzeitig sind wir tagtäglich ganz alleine unterwegs. Wir haben auch keine Basis, wo wir zurückkommen. Also jede arbeitet von zu Hause aus. Jede hat ihren Koffer dabei und geht individuell zum Patienten. Davor haben viele eher Respekt. Aber auch hier kann ich das Gleiche sagen wie Evelyne: Also bewerbt euch, ihr werdet sehr gut eingeführt. Und jede bekommt auch die Möglichkeit, das mal anzuschauen. Und das ist ein super toller Job. Sehr gute Vereinbarkeit mit dem Privatleben.
Evelyne: Ich kann das sehr nachvollziehen, dass sie so Respekt haben. Wenn man keine Personen hat, die man fragen kann. Mich hat bis jetzt eine Situation ans Limit gebracht. Es war eine Situation, in der ich fast allein im Haus war, weil es Abend war. Ich hatte das Gefühl, eine Person sei suizidal. Ich dachte, ich rufe mal an, und sie hat siebenmal nicht abgenommen. Ich fand dann noch den Psychiater und konnte ihn fragen. Er sagte, er rufe die Polizei. Dort dachte ich echt, oh mein Gott, jetzt wird es mir zu viel.
Helena: Ja, das kann ich nachvollziehen. Wenn wir bei den Patienten zu Hause Termine abgemacht haben und sie nicht aufmachen oder wir telefonieren und sie nicht abnehmen. Dann wirst du ziemlich unruhig. Diese Situation hatte ich auch einmal bei jemandem. Sie hat dann zum Glück zurückgerufen und hat sich die falsche Zeit aufgeschrieben und war eingekauft. Aber im Moment ist es manchmal schon ziemlich schwierig.
Evelyne: Ja, das Aushalten des Ungewissen finde ich schwierig.
Lucia: Aber ihr arbeitet beide in einem Team. Wie ist diese Teamarbeit aufgebaut?
Evelyne: Wir haben ein Team, in dem MPAs, Ärztinnen, Ärzte und APNs zusammenarbeiten. Ohne Team geht es bei uns gar nicht, weil die MPAs z.B. die Agenda befüllen. Wir arbeiten zusammen. Es gibt gewisse Tätigkeiten, die die MPAs übernehmen. Gleichzeitig arbeiten wir mit den Ärztinnen und Ärzten, weil wir Mentorat brauchen oder uns austauschen möchten und zusammen mit zwei Gehirnen eine Situation beurteilen möchten. Bei uns ist Teamarbeit mega wichtig und sie wird auch sehr gefördert. Wir haben zum Beispiel einmal in der Woche einen Qualitätszirkel, den wir häufig interprofessionell machen, um genau diese Möglichkeiten zu bieten, dass wir zusammen weiter wachsen und zusammen gute Lösungen finden für die Leute und auch intern uns fachlich weiterbilden.
Helena: Wir sehen uns etwa viermal im Jahr zu einem Meeting, wo wirklich alle zusammenkommen, aus der ganzen Schweiz. Das machen wir meistens in Frauenfeld. Dann haben wir monatlich Zoom-Meetings und haben Praxen, in welchen alle Tage zwei von uns vor Ort sind. So hat man das ein oder andere Teammitglied, mit dem man sprechen kann und dann ist man nicht allein. Sonst sind wir wirklich alleine unterwegs. Wir haben aber das Team der Praxis. Es gibt wirklich Praxen, bei denen wir zu diesem Team gehören. Wir machen dort auch Bezugspflege, also wir versuchen immer die gleiche Pflegefachfrau in die gleiche Praxis zu schicken, ausser wenn sie Ferien hat oder krank ist. Dementsprechend hat man zu diesem Team des Arztes manchmal auch noch eine Teamzugehörigkeit.
Evelyne: Was ich bei uns auch sehr schön finde, ist, dass wir eine sehr flache Hierarchie haben. Wir sehen jetzt nicht irgendeine Funktion als wichtiger, sondern wir sind wirklich drittel, drittel, drittel gleichwertig. Und das merke ich auch, wenn ich mit ihnen zusammenarbeite. Sie haben nicht das Gefühl, sie müssen mir sagen, was ich tun muss, sondern wir finden zusammen einen Konsens. Und sie haben auch nicht das Gefühl, ich müsse ärztliche Funktionen ersetzen, weil es zu wenige Ärztinnen und Ärzte gibt, sondern wir haben die Haltung, dass wir einen Patienten oder eine Patientin mit einem Problem haben und zusammen finden wir die Lösung, die am besten für diese Person passt.
Lucia: Ich glaube, wir haben noch eine Frage offen von dir, Helena.
Helena: Warum bist du APN geworden?
Evelyne: Ich arbeitete lange an der Schule und studierte Gesundheitsförderung. Mir hat dieses Gebiet immer sehr gut gefallen und mich sehr inspiriert. Mit den Studierenden hatte ich genau drei Wochen Zeit, um die Gesundheitsförderung umzusetzen und ich habe das auch sehr gerne gemacht. Aber manchmal fehlte mir der Sinn ein bisschen. Diese Sinnhaftigkeit habe ich in der Rolle «APN» wiedergefunden, weil ich die Gesundheitsförderung jeden Tag auf jeden Menschen unterschiedlich umsetzen kann. Von daher gibt mir diese Arbeit wirklich sehr viel Sinn. Und bei dir?
Helena: Ja, seit sehr jung wusste ich relativ schnell, dass ich Pflegefachfrau werden möchte. Und mache es auch nach wie vor sehr gerne. Und ich habe das Gefühl, in diesem Job, den ich jetzt im Moment habe, habe ich alle Funktionen, die ich immer sehr gerne gemacht habe, in einem und das tagtäglich. Sei es die Beziehung zum Patienten, sei es die Beratung. sei es die Weiterführung, schauen, dass ich mit ihm auch etwas erreichen kann. Mit den Ärzten zusammen, mit der Praxis, um ihn auch in dieser Krankheit, in der er ist, mitbegleiten zu können. Das finde ich eigentlich mega toll.
Lucia: Evelyne, du unterrichtest ja immer noch. Du hast Lehraufträge im Masterstudiengang Pflege an der ZHW Winterthur und begleitest Bachelorstudierende bei der Careum Fachhochschule Zürich. Was gibst du den Studierenden mit auf den Weg in den Pflegefachberuf?
Evelyne: Ich versuche, sie für den Pflegeberuf zu begeistern. Es ist wirklich eine sehr schöne Arbeit. Und ich sage ihnen auch immer, sie sollen neugierig bleiben und dranbleiben und auch wirklich mutig sein, weil es kommt nicht einfach so gratis. Die ganzen Aufträge. Man muss selbstständig sein, man muss sich durchsetzen können, man muss auch die Arbeit finden können, die es noch nicht gibt, und dort ermutige ich sie, dranzubleiben. Und ich sage immer, sie sollen reinbeissen wie ein Hund in ein Stück Fleisch.
Helena: Ich finde es sehr schön, was du gesagt hast. Ich denke, es gibt wirklich sehr viele Sachen in der Pflege oder sehr viele Gebiete in der Pflege, in denen man sich wirklich noch weiterentwickeln kann. Also nicht einfach die HF-Lehre machen oder FaGe und dann die HF und dann muss man auf dem bleiben. Wir haben so viele Entwicklungsmöglichkeiten und so viele Gebiete, in denen man sich wirklich weiterbilden und weitermachen und dranbleiben kann. Es geht wirklich darum, das richtige Interesse und die richtige Begeisterung zu finden, wie du gesagt hast. Aber es ist ein recht komplexes und grosses Gebiet, viel grösser, als man manchmal das Gefühl hat.
Evelyne: Ich glaube wirklich, es gibt für jeden etwas Gescheites oder etwas Cooles. Zum Beispiel die Person, die sich jetzt für den Job interessiert, da werden wir eine Lösung finden. Wenn die Person sagt, sie möchte in einem Heim arbeiten, Hausbesuche machen und in der Geriatrie Schwerpunkte setzen, dann werden wir für diese Person innerhalb von fünf Tagen so ein Programm haben. Also wir haben noch ganz viel Bedarf, der nicht abgedeckt ist.
Helena: Ganz genau. Das heisst wirklich nicht, wenn man den Beruf so gestartet hat, dass man das ganze Leben auf dem bleiben muss. Man kann auf dem aufbauen. Das ist einfach der Anfangsrucksack.
Lucia: Was würdet ihr euch wünschen für den Pflegefachberuf in der Schweiz? Oder für den Beruf der APN?
Helena: Dass man sieht, was wir für einen Rucksack haben. Manchmal habe ich das Gefühl, auch jetzt noch, wenn ich sage, dass ich Pflegefachfrau bin oder dass ich das gelernt habe: “Ah, was? Einfach den Po abwischen?” Nein, es ist nicht nur das. Es hat extrem viel dahinter. Es gibt ganz viele Studiengänge und ganz viele andere Dinge, die man machen kann. Nein, man bleibt nicht Po abwischen, blöd gesagt. Es ist besser, aber es ist immer noch in der Gesellschaft ein bisschen so verankert.
Evelyne: Wenige Patienten hinterfragen meine Rolle kritisch, aber ich würde mir wünschen, dass der Beruf APN bekannter ist in der Bevölkerung. In anderen Ländern gehen die Patientinnen und Patienten zuerst zur APN und irgendwann später zu den Ärztinnen und zum Arzt. Da ist ein ganz anderes System dahinter. Auch die Apotheke hat dort eine ganz andere Rolle, z.B. in den skandinavischen Ländern. Die Patienten sind gesünder als in der Schweiz und haben weniger Versorgungskosten. Und was ich mir sehr wünsche, ist, dass es ein System geben wird, dass Pflegefachfrauen und -männer abrechnen dürfen, v.a. jetzt auch die APNs, dass wir unsere Leistung sichtbar machen können und das anerkannt ist von der Krankenkasse.
Lucia: Ich bedanke mich für den Besuch, Evelyne Graf und Helena Zarrais.
Evelyne, Helena: Vielen Dank.
«Medbase im Dialog - zwei Perspektiven, eine Leidenschaft.» Das ist ein Podcast der Medbase Gruppe, produziert von der Podcastschmiede. Mein Name ist Lucia Vasella. Alle Episoden von «Medbase im Dialog» findest du auf Spotify, Apple Podcasts und allen gängigen Podcastplattformen oder auf www.medbase.ch/podcast.