Gastgeber Alain Gloor unterhält sich mit seiner Kollegin Rahel Stauffiger über die Förderungsstrategie der Stiftung und was sich die SKKG davon verspricht. Und er trifft Violetta Vitacca, Leiterin des Museums ENTER in Solothurn. Für die neu entstehende «Technikwelt ENTER» denkt auch sie ganz konkret über die Zukunft des Museums nach. Die SKKG hat den «Helpdesk für Mensch und Technik», der dort entstehen soll, unterstützt.
Du hast Fragen, Inputs oder Kritik? Unser Postfach ist stets offen: sammelstelle@skkg.ch
[Alain Gloor:] Hoi! Und willkommen zur vierten Folge unseres Podcasts. Ich bin Alain Gloor, Projektleiter bei der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, kurz SKKG.
In diesem Podcast mache ich mich gemeinsam mit der SKKG auf den Weg zu unserem geplanten Sammlungshaus. Unterwegs tauche ich ein in die Arbeit unserer Stiftung und ins Thema Kulturerbe. Für diese Folge tauche ich auf. Ich richte meinen Blick nach aussen.
Der Schwerpunkt der Förderungstätigkeit der SKKG liegt zurzeit bei der Partizipation. Also der Ermöglichung der Mitwirkung verschiedener Anspruchsgruppen. Dass nicht nur die Museen selbst bestimmen, wie wir mit Kulturerbe umgehen. Sondern potenziell alle Menschen. Die Förderung ist die Stelle, die uns im Moment wohl am direktesten mit der Museumsszene verbindet.
[Rahel Stauffiger:] «Durch die Projektförderung haben wir sehr engen Kontakt und begleiten diese Museen bei ihren partizipativen Wagnissen. Die Förderung dieser Projekte ermöglicht uns auch ein wenig zu spüren: Wie weit sind die Museen eigentlich in diesem Feld Partizipation? Was sind eigentlich Fragen, die sie umtreiben und auch Herausforderungen? Wir verstehen die Förderung schon auch ein wenig als eine Innovationsplattform, die wir auslagern können, gewissermassen. Also wir können Projekte begleiten und dadurch auch lernen von diesen Projekten. Also das ist unsere Sicht, diese Entwicklung, die wir beobachten können, Was heisst es eigentlich, partizipativ zu arbeiten? Was heisst eigentlich, mit Menschen zusammenzuarbeiten, Entscheidungsmacht abzugeben, Deutungshoheit zu teilen? Was bedeutet das eigentlich? Weil wir möchten das eigentlich alles auch für unsere Sammlung infrage stellen. Und damit wir das können, brauchen wir ja auch bis wir so weit sind, dass wir mit unserer Sammlung auch noch intensiver arbeiten können. »
[Alain Gloor:] Rahel Stauffiger arbeitet seit zwei Jahren bei der SKKG in der Förderung. In dieser Zeit hat sie rund 200 Gesuche bearbeitet. Rund ein Viertel davon haben wir bislang positiv beantwortet. Bei der SKKG gibt es drei Programme mit unterschiedlichen Förderungszielen.
Im Programm «Skalierung» fördern wir fünf Museen aus der Schweiz, die wir als Pionier:innen anschauen und die im Feld Partizipation im Kulturerbe schon sehr weit sind. Im Programm «Struktur» geht es um die Struktur, genau. Denn wir glauben, dass es auch Struktur braucht.
Einen Nährboden für Partizipation. Was ist an Weiterbildungen vorhanden? Was sind da die Fragen? Welchen Linien läuft der Diskurs entlang? Welche Organisationen nehmen sich dem Thema an? Etc.
Zuletzt ermutigen wir im Programm «Wagnis» Museen und verwandte Institutionen, neue Wege zu gehen in Bezug auf Partizipation. In diesem Programm können sich Museen direkt selbst bewerben. Sie sollen vor ähnlichen Fragen wie wir stehen — wir wollen ja auch von ihnen für den Umgang mit unserer eigenen Sammlung und dem Sammlungshaus lernen. Das Antragsstellen geht ganz einfach und unkompliziert. Man muss in einem ersten Schritt nur drei Fragen via Onlineformular beantworten. Kannst du die Fragen schon auswendig, Rahel?
[Rahel Stauffiger:] «Nein, aber ich kann sie dir sagen. Das geht ganz schnell. Also. Ähm. Die drei Fragen sind Achtung: In welchem Bereich wollen Sie Partizipation wagen? Was möchten Sie versuchen? Und welche Wirkung wird Ihr Vorhaben entwickeln? Das sind die drei Fragen.»
[Alain Gloor:] Das heisst aber nicht, dass es bei uns schnell-schnell Geld abzuholen gibt.
[Rahel Stauffiger:] «Ich glaube, wir sind, ich würde es so sagen, streng am Anfang und grosszügig dann, wenn wir in einer Beziehung mit diesen Institutionen schon wenn es eine Beziehung gibt. Das heisst eigentlich, wir prüfen wirklich auf Herz und Nieren: Ist das eine Haltung, die in dieser Institution also möchte diese Institution wirklich Partizipation fördern?»
[Alain Gloor:] Entscheidend ist für uns die Wirkung, die von Kulturerbe ausgehen kann. Daran orientieren, daran messen wir uns. Und auch die Projekte, die wir fördern.
[Rahel Stauffiger:] «Wenn wir uns fragen: Weshalb arbeiten wir eigentlich partizipativ? Was wollen wir damit eigentlich? Ich glaube, es ist wirklich Im Kern steckt die Frage nach dem Welche gesellschaftliche Wirkung kann eigentlich Kulturerbe auch entfalten und was braucht es dazu? Und ich bin überzeugt jetzt auch, dass das Kulturerbe eine sinnstiftende Komponente sein und haben kann. Aber nur dann, wenn es auch als Kulturerbe einer Gemeinschaft also wenn die Kulturerb:innen es auch als solches erkennen oder auch nicht erkennen, sondern auch das wirklich ihr Kulturerbe ist. Und da geht es dann stark darum, wer entscheidet das eigentlich, was das Kulturerbe einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft ist? Und über diese Partizipation können diese Entscheidungsmomente und diese Deutungsfragen geteilt werden. Und man kann stärker auch Perspektiven einbeziehen, die vielleicht über die Institutionsgrenzen hinausgehen. Und ich glaube, dann wird es wirksam, wenn man wirklich mit den Menschen zusammenarbeitet, die man eigentlich von denen man glaubt, dass sie auch dieses Kulturerbe als gemeinschafts- oder sinnstiftendes Element verinnerlichen möchten.»
[Alain Gloor:] Machen wir einen Schnitt und gehen auf die andere Seite. Von der Förderin zur Geförderten. Vieles von dem, was Rahel über die Förderung der SKKG gesagt hat, wird hier plötzlich ganz konkret und fassbar. Ich bin nach Solothurn gegangen, ins Museum ENTER.
ei der SKKG eingereicht. Seit:[Violetta Vitacca:] «Man könnte sagen, das war Zufall oder Schicksal. Ich war vorher zehn Jahre im Consulting tätig, habe ursprünglich BWL studiert und hatte dann so nach zehn Jahren das Gefühl so vielleicht Zeit für etwas anderes und bin dann ganz offen einfach auf die üblichen Jobplattformen gegangen. Und habe dann eine Stellenausschreibung gesehen, die hiess
«Betriebsleiterin Museum». Ich dachte so: «Boah, okay, vielleicht könnte das was sein.» Ich habe mir das Museum angeschaut und ich war verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick und ich habe mich beworben und das hat gepasst.»
[Alain Gloor:] Das Museum ENTER ist ein Museum für Computer und Unterhaltungselektronik.
das Museum einen Apple I von:Schweizer Radiosendestation von 1922. Und beide könnten noch in Betrieb genommen werden.
[Violetta Vitacca:] «In dieser Situation fand ich das eigentlich gar nicht unbedingt als hinderlich, dass ich nicht aus diesem Bereich komme. Auch unser Stiftungsratspräsident, der aus der Wirtschaft kommt und wir haben so konnten wir uns eigentlich fast ein bisschen wir nennen das manchmal, eigentlich sind wir mehr ein Start-up als ein Museum, weil wir mehr mit dieser Start-up-Perspektive an das Ganze hingehen. Und das Kulturerbe ist etwas, was ich auch zuerst so in diesem Umfang kennenlernen musste. Ich musste auch oder durfte die ganze Kulturwelt auch kennenlernen, habe auch entsprechend mich vernetzt mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Museen zu sehen, wie, wie arbeiten die, wie laufen die Prozesse?»
[Alain Gloor:] Und ich möchte jetzt eigentlich erst einmal Violetta besser kennenlernen. Ich treffe sie zum ersten Mal. Warum also verliebt sich eine BWL-ausgebildete Consulterin in eine Sammlung aus Radiosendestationen, Röhrenfernseher und Rechenmaschinen?
[Violetta Vitacca:] «Ja, ich interessiere mich persönlich so ein bisschen für die Designklassiker der 50er- und 60er-Jahre, für Möbel, aber auch für Autos aus der Zeit. Und das hat natürlich so ein bisschen, das auch geweckt. Und ich habe gesehen, das ist eigentlich eine ähnliche Thematik. Hier scheint ein leidenschaftlicher Sammler auch dahinter zu stecken. Ich kann das gut nachvollziehen, und vor allem weiss ich auch, dass das auch viele, die nicht selbst sammeln oder die nicht selbst diese dieses Hobby oder so verfolgen, dass die da trotzdem auch die Faszination drin sehen und dass man aus so Sammlungen einfach ganz viel auch machen kann, was dann ein breites Publikum anspricht. Und da habe ich grosses Potenzial drin gesehen von Anfang an.»
«Ich probiere, ein bisschen Möbel zu sammeln, also das, was man braucht zu Hause, das wir das ausstatten mit eher Sachen, die man aus den vergangenen Zeiten findet. Und ab und zu hat es auch mal ein altes Auto dazu gegeben. Genau.»
[Alain Gloor:] Also wie muss man sich das vorstellen? Wie viele Autos stehen bei dir?
[Violetta Vitacca:] «Inzwischen fast keine mehr. Ähm, also ich persönlich habe jetzt kein altes Auto mehr. Wir haben ein Haus gekauft, das verträgt sich dann nicht so gut. Aber mein Mann hat noch ein, zwei Oldtimer.»
[Alain Gloor:] Und welchen Oldtimer hättest du gerne irgendwann? Welcher wäre dein Traum?
[Violetta Vitacca:] «Ich hätte gerne den wieder zurück. Ich hatte einen Chevrolet «EI Camino». Das ist ein Pick-up aus den 60er-Jahren.»
[Alain Gloor:] Okay, genug Hobby, zurück zur Arbeit. Ich frage dann am Schluss dieser Folge nochmals nach wegen diesem Chevrolet «EI Camino». Ich nehme es Dir auch nicht übel, wenn Du ihn jetzt kurz googeln willst. Sieht schon ziemlich cool aus.
. Gut. Wieder da?
Also, zurück zur Arbeit. Davon hatte Violetta in letzter Zeit mehr als genug:
[Violetta Vitacca:] «Als ich hier angefangen habe, war es schon klar, dass das Museum am heutigen Standort, wo es heute ist, direkt am Hauptbahnhof Solothurn, dass es hier nicht bleiben kann. Das hängt damit zusammen, dass die Bahnen mehr Platz benötigen, um den Bahnhof auszubauen Und somit haben wir uns dann für Platz umgeschaut in der Region, haben uns diverse Objekte und Grundstücke angeschaut und haben uns dann entschieden, zuzuschlagen.
Bei einem Objekt in Derendingen. Das ist etwa fünf Kilometer von Solothurn entfernt. In der
Agglomeration. Und auf diesem Bauland ist im Moment der Neubau der Technikwelt ENTER am Entstehen. Das sind etwa 10.000 Quadratmeter über vier Stockwerke, die da gebaut werden und die dann komplett der Stiftung ENTER zur Verfügung stehen. Das gibt uns einerseits die Chance, dass wir die Ausstellung komplett neu denken können, dass wir vor allem nicht nur Ausstellungen im Haus haben, sondern dass wir voll den Dreiklang aus Ausstellungen, Academy und Begegnungsort rund um Technikgeschichte, aber auch Technikzukunft aufbauen können.»
[Alain Gloor:] Und in diesem Prozess steckt Violetta von Kopf bis Fuss drin. Von der Strategie bis zur Steckdose.
[Violetta Vitacca:] «Nicht ganz bis zur Steckdose, aber genau ich bin involviert wirklich von der
Positionierung, der Vision, der Werte und Strategie über dann auch das Branding-Projekt, die Kommunikation dann in der Ausstellung bin ich mit dabei Ausstellungsgestaltung. Ich mache auch das Fundraising. Da kommen ein paar Aufgaben zusammen. Beim Bau bin ich mehr so am Rande mit dabei, um sicher zu gehen, dass die Räume oder die Bedürfnisse der Ausstellungen eigentlich umzuformulieren in die Ansprüche der Räume. Wo möchten wir die Steckdosen in der Ausstellung haben? Wie sieht es mit der Beleuchtung aus? Sind die Fluchtwege noch eingehalten?
All diese Themen. Man muss auch das Vokabular erlernen, um zu sagen okay, es gibt einen Zeilenraster, es gibt vorgehängte Fassadenelemente. Das ist eine neue Sprache, die man lernen muss und so eigentlich seine Gedanken, seine Vorstellungen, seine Visionen in diese Sprache übersetzen kann — überhaupt, um zu kommunizieren. Das war, das war extrem spannend.»
[Alain Gloor:] Das kenne ich auch aus meiner eigenen Arbeit mit dem Sammlungshaus. Jede
Branche hat ein eigenes Vokabular, auch einen eigenen Denkmodus. Ich kam z.B. eher aus dem
Kultur- und Ausstellungsbereich - und traf auf die Architektur. Da gibt es sicher
Überschneidungen. Aber es sind eben auch spezifische Hintergründe. Bestenfalls bereichern sie einander. Was war Violetta und ihrem Team wichtig bei der Planung der Architektur? Worauf haben sie besonders geachtet?
[Violetta Vitacca:] «Wir wussten, wir wollen extrem modulare Räume haben, möglichst wenig Einschränkungen über architektonische Gegebenheiten, die dann nicht mehr verändert werden können. Wir wussten auch ganz klar, was das Budget war und durch das, dass wir uns als «Technikwelt ENTER» neu positionieren, gibt dieser Ort und auch diese Begrifflichkeit «Technikwelt» schon eine gewisse Vorstellung auch von Raum, von Grösse, von Raumgefühl auch. Es gibt auch eine gewisse Vorstellung, was die Materialisierung angeht. Wir haben ganz stark auf dem aufgebaut, dass wir diese Wirkung gegen innen im Gebäude, gegen aussen auch erzielen können, dass hier etwas Neues entsteht, dass hier eine Technikwelt entsteht.»
lt ENTER». Es soll ab Herbst:[Violetta Vitacca:] «Für uns war irgendwann, als wir an dieser Technikwelt ENTER oder an diesem neuen Konzept gearbeitet haben, empfanden wir plötzlich den Museumsbegriff ein bisschen zu einengend. Er hat nicht mehr ganz das beschrieben, was wir eigentlich machen und wo wir uns eigentlich sehen. Wir haben mit der Academy, wo wir ein Kursprogramm anbieten werden, das sich vor allem an Kinder und Jugendliche richtet, mit der Ambition, wirklich Nachwuchskräfte für technische Berufe zu generieren, haben wir ein Angebot, das wie über das ein bisschen die
Museumsgrenzen sprengt. Dazu kommt, dass es auf dem ganzen Areal der Technikwelt ENTER . die Räume werden nicht nur von der Stiftung ENTER genutzt, sondern es wird auch
Mietflächen geben. Ich sage immer, wie man das ja auch aus Fussballstadien oder anderen
Nutzungen kennt. Es braucht Rahmennutzungen, um den Betrieb auch zu finanzieren. In unserem Fall machen wir das über die Mietflächen. Wir möchten dort Partner, Unternehmen oder Start-ups anziehen, die irgend auf eine Weise zu uns passen. Sei das im Technikbereich, sei das
Restaurationen, sei das jemand, der Kursprogramme anbietet oder mit Antiquitäten handelt oder irgendwie ein bisschen thematisch zu uns passt. Und dieser Gedanke von diesem Technikcluster, da war für uns der Begriff «Technikwelt» eigentlich sehr passend, weil wir da eine wir ja wir machen eigentlich eine neue Welt rund um historische und moderne Technik.»
[Alain Gloor:] Die Komplexität dieses Projekts hat mich an die Vielfältigkeit unseres campo-Projekts erinnert. Und auch das Nachdenken über den Museumsbegriff. Bedeutet das, dass die Stiftung ENTER, die hinter der Technikwelt ENTER steht, gar nicht mehr mit dem musealen Kontext in Verbindung gebracht werden will? Müssen wir den Begriff ganz loslassen, um etwas Neues erfinden zu können?
[Violetta Vitacca:] «Das ist eine ganz spannende Diskussion. Museum ist natürlich auf eine Art eine Kategorie, ein Kategoriebegriff. Und wenn man jetzt sich überlegt, was wir sind und was wir machen, ist das Museum weiterhin ein Teil von uns. Also eine Ausstellung ist und bleibt ein Teil von uns, ist unsere Herkunft und ist auch ein grosser Teil von dem, was wir anbieten. Aber es ist nicht mehr das Einzige, was wir sein werden.»
[Alain Gloor:] Das Team von Violetta und die Stiftung haben sich in den letzten Jahren stark mit sich selbst beschäftigt. Und dabei einiges über sich selbst gelernt:
[Violetta Vitacca:] «Und Wir haben gemerkt, dass in unserem Alltag, wirklich ganz konkret hier im Museumsbetrieb heute, ganz viel, was wir im Dialog mit unseren Besuchenden machen, wir eigentlich als Care-Arbeit bezeichnen könnten.»
[Alain Gloor:] Du hast richtig gehört: «Care-Arbeit». Sie ist als Schlagwort im Moment in aller Munde. Die Arbeit des Sorgetragens, wenn man so will. Was heisst denn Care-Arbeit im Museum ENTER oder besser: in der Technikwelt ENTER konkret?
[Violetta Vitacca:] «Bei uns kommen täglich per E-Mail vielleicht zehn Anfragen von Personen, die uns Objekte überlassen möchten. Wir haben jeden Tag ein oder zwei Personen, die einfach mit einer Stereoanlage oder einem Video-Aufzeichnungsgerät unter dem Arm bei uns ins Museum reinkommen und sagen: «Ich hab da was, wollt ihr das haben?» Und dabei geht es eigentlich nur vordergründig um das Objekt, sondern eigentlich geht es immer um die Geschichte. Diese Leute kommen zu uns und gehen nicht zur Entsorgungsstelle, weil das Objekt für sie einen emotionalen Wert hat und da haben wir ganz stark gemerkt Wir haben das intuitiv so gemacht, dass wir uns
Zeit genommen haben für diese Menschen, dass wir uns Zeit genommen haben mit diesen Menschen. Wir haben uns hingesetzt, zusammen Kaffee getrunken und gesagt: «Erzählen Sie mal, was hat es mit diesem Gerät auf sich? Aha, das ist die Stereoanlage. Die haben Sie sich vom ersten Taschengeld selbst gekauft, in den 70er-Jahren. Dazu haben sie jeden Tag Rasen gemäht und im ganzen Quartier Besorgungen für die Nachbarn gemacht. Und nach drei Jahren konnten sie sich dann endlich diese Stereoanlage leisten. Und dann haben Sie Sonntag für Sonntag die Hitparade aufgezeichnet, auf Kassetten, Tapes», usw Und diese Geschichte, diese
Kontextualisierung, die gibt dem Objekt Wert und die gibt dem Objekt Einzigartigkeit.»
[Alain Gloor:] Da sind wir zurück beim Thema des Werts. Wie er entsteht und wie er vergeht. Wenn du dieses Thema vertiefen willst, empfehle ich dir, in Folge 3 dieses Podcasts hineinzuhören.
[Violetta Vitacca:] «Wir haben aber auch bemerkt, dass das für uns sehr viele Ressourcen bindet. Und somit ist es für uns so ein bisschen eine ambivalente Geschichte. Wir schätzen das extrem, wir schätzen diese Gespräche extrem, haben aber gerade jetzt, wo wir an der neuen Technikwelt arbeiten, gemerkt, dass es personell sehr intensiv ist, auf diese Geschichten auch immer einzugehen, denen auch wirklich den Stellenwert zu geben, den sie verdienen und haben dann aber auch in der Auseinandersetzung und im Gespräch mit der SKKG auch gemerkt: Eigentlich ist es doch aber genau das, wo eigentlich der Wert entsteht.
Also vielleicht ist auch genau das unsere Aufgabe als Technikwelt ENTER. Weil, wenn sie nicht zu uns kommen, diese Geschichten, diese Menschen mit ihren Geschichten, wo gehen sie dann hin?
Also wir scheinen da ein Bedürfnis der Gesellschaft, ein Ort zu sein, wo die Menschen mit ihrem Bedürfnis hinkommen können. Ihre Geschichte weitergeben können. Das Objekt auch übergeben können oder ent-sorgen können im Sinne vom Wort die «Sorge» an einem Objekt, die «Fürsorge» weitergeben zu können. Und das ist ein gesellschaftliches Bedürfnis, das da ist. Und wir möchten weiterhin das sein, diese Institution, wo man mit diesem Bedürfnis, diesen Geschichten und diesen Objekten als Artefakte für die Geschichte hinkommen kann.»
[Alain Gloor:] Und diese Erkenntnis hat das Museum ENTER übersetzt in ein spezifisches Projekt innerhalb des Projekts «Technikwelt ENTER», das wir von der SKKG unterstützen: der «Helpdesk für Mensch und Technik».
[Violetta Vitacca:] «Dieser «Helpdesk für Mensch und Technik» wird ganz zentral am neuen Standort der Technikwelt ENTER im Empfangsbereich sein, damit man ganz prominent, wenn man reinkommt, auch gleich sieht, wo man hingehen muss, falls man schon davon gehört hat.
Oder falls man nicht davon gehört hat, dass man darauf aufmerksam wird und sich informiert, was dieser Helpdesk anbietet.
Das wird ein zentraler Ort sein, wo ich jemanden antreffen werde, wo ich mit einem Menschen mich unterhalten kann. Wir werden auch eine Zone schaffen, wo man sich ein bisschen zurückziehen kann, weil diese Geschichten, die da auf uns zukommen, die sind zum Teil extrem persönlich und verlangen auch ganz viel Fingerspitzengefühl. Das hat sehr oft auch mit Todesfällen in der Familie zu tun, wo es dann Erben gibt, die mit einer Sammlung zurückbleiben, sei sie gross oder klein. Der emotionale Wert, der daran gebunden ist, ist immer da. Dem muss man gebührend Platz einrechnen, Zeit einrechnen. Und wir sehen unsere Aufgabe dann damit, diesen CareProzess zu begleiten, mit den Menschen Lösungen zu finden, was man mit diesen Objekten machen können. Unser Ziel ist es nicht, fixe Vorschläge zu machen, sondern einfach zu sagen, zum Beispiel dieses Radio kann repariert werden. «Möchten Sie es reparieren? Möchten Sie auch etwas dafür investieren?» Oder auch sagen: «Ich glaub, da lässt sich nichts mehr machen.» «Man könnte es vielleicht auch als Ersatzteil brauchen. Oder vielleicht für den Flohmarkt. Oder möchten Sie es in die Sammlung geben? Es scheint, als wäre es ein sammlungswürdiges Objekt.» Und einfach diese Lösungen, diese Möglichkeiten aufzuzeigen, weil es ein Teil von diesem
Abschiedsprozess der Technik auch ist. Die Menschen verabschieden sich mit der Technik auch immer mit einem Lebensabschnitt von sich selbst oder von der Familie und dazu braucht es auch das Umfeld, den Ort dazu.»
[Alain Gloor:] Ich finde das ein berührendes, schönes, wichtiges Projekt. Aber wenn wir nochmals von den Emotionen zu den Objekten kommen. Das aus dieser Perspektive betrachten. Ist der Helpdesk dann nicht eher Entsorgungsstelle als Museum? Oder anders gefragt: Wo ist die Grenze zwischen Depot und Deponie?
[Violetta Vitacca:] «Das ist ganz oft wirklich so, dass Leute vorbeikommen und sagen: «Ja, soll ich das entsorgen? Ich bin gerade auf dem Weg zum Entsorgungshof. Dann habe ich gedacht, ich komm noch kurz bei euch vorbei. Vielleicht wollt ihr ja das haben, bevor ich das zum Verschrotten bringe.» Und das einfach auch mal explizit zu sagen . und das explizit zu machen. Das empfanden wir eigentlich auch extrem entlastend irgendwie und beruhigend zu sagen: «Ja, es ist einfach so.» Die Frage Depot vs. Deponie ist eine berechtigte Frage. Und was unterscheidet das eigentlich? Und was das unterscheidet, Depot vs. Deponie, ist eigentlich in den seltensten Fällen das Objekt an sich. Weil wenn ich ein Objekt habe, von dem ich schon weiss, dass es wertvoll ist, dann kommt die Frage Deponie nie auf. Und dann kommt eigentlich auch die Frage Depot nicht auf, sondern dann ist schon klar, dass es fix in der Sammlung ist und nicht in einer
Zwischenwelt sich bewegt.»
[Alain Gloor:] Trotzdem liegt im Museum ENTER im Moment ziemlich viel in einer «Zwischenwelt».
[Violetta Vitacca:] «Wir hatten einfach noch Platz und wir haben oft gesagt: «Im Zweifelsfall bringen sie es mal vorbei, wir schauen dann.» Und so ist bei uns ganz viel in dieser Zwischenzone gelandet. Das füllt jetzt Palett um Palett und Palett und man hat es eigentlich noch gar nicht so richtig betrachtet. Es hat aber noch nicht die Schwelle zum Museum übertreten, sondern es ist eigentlich noch so zwischengelagert. Und das ist auch ein Prozess, der uns jetzt bevorsteht. Das ist ein zeitintensiver Prozess. Es bringt ganz stark die Frage mit: Wer entscheidet das? Aufgrund welcher Kriterien wird das entschieden? Ich sage immer zehn Zahnärzte, elf Meinungen Es ist nicht einfach, diese Entscheidungen zu treffen, was wirklich schlussendlich in der Sammlung bleibt und was auf eine andere, auf die eine oder andere Weise, die die Sammlung verlässt.»
[Alain Gloor:] Violetta Vitacca glaubt, dass sich das Sammeln in den nächsten Jahrzehnten sowieso stark verändern wird.
[Violetta Vitacca:] «Weil die Generation, die heute jung ist, die sammelt nicht mehr. Die sammelt nicht mehr so, wie das eine ältere Generation noch gemacht hat. Wer bewahrt eigentlich das Kulturgut, das Kulturerbe von heute auf? Für die Zukunft? Gibt es überhaupt noch materielles Kulturerbe? Oder ist es digitales Kulturerbe? Vielleicht wird auch das Sammeln demokratisiert. Und da ist es für uns extrem wichtig, auch darüber nachzudenken: Müssen wirklich die Institutionen sammeln oder könnte die Gesellschaft sammeln? Weil wenn wir Objekte wieder in Umlauf bringen und dieser Radio jetzt nicht bei uns im Lager steht und da verstaubt, sondern vielleicht bei jemandem zu Hause im Wohnzimmer steht, wird er genauso gepflegt und genau so erhalten. Aber der Aufwand für den Erhalt liegt nicht auf den Institutionen, sondern man könnte den eigentlich in die Gesellschaft raustragen.»
[Alain Gloor:] Wenn wir nach der Zukunft des Sammelns fragen, fragen wir natürlich immer auch nach der Zukunft des Museums. Gut möglich, dass das Museum der Zukunft eher eine Schaltoder Schnittstelle als eine Lager- oder Präsentationsstätte wird.
[Violetta Vitacca:] «Vielleicht so Dreh- und Angelpunkt, also Plattform. Die Objekte kommen wieder zurück, der Zustand wird wieder erfasst. Vielleicht gibt es neue Erkenntnisse dazu und dann geht das Objekt wieder weiter für eine gewisse Zeit. Und das Museum hat diese Funktion als Plattform oder als Marktplatz für die Sammlung? Ich weiss es nicht. Ist ein mögliches Szenario, über das es sich lohnt, Gedanken zu machen.»
[Alain Gloor:] Beim Sammlungshaus und bei campo sprechen wir immer wieder über das Konzept vom «dritten Ort». Ein «dritter Ort» ist ein Ort, wo man gerne Zeit verbringt, der weder dem Wohnen noch dem Arbeiten zugeordnet ist - und der nicht oder weniger stark in der Logik des Konsums funktioniert. Ich bin überzeugt, dass das Begegnungsorte sind, die für uns als Gesellschaft enorm wichtig sind.
Museen öffnen sich mehr und mehr zu «dritten Orten». Vielleicht begegnen sich aber hier in
Zukunft nicht nur Menschen? Sondern es entwickeln sich die Museen auch mehr und mehr zu Begegnungsorten von und mit Objekten? Vielleicht muss man die Begegnungen zwischen Menschen und Objekten radikaler denken?
Dass Objekte und Menschen in Museen zusammenkommen, sie in verschiedenen Konstellationen aufeinandertreffen, dass sich da verdichtet, was uns sonst beschäftigt - und sie dann aber wieder verschwinden? In die Haushalte, in den Gebrauch, in die Gesellschaft?
[Violetta Vitacca:] «Ja, das ist ein sehr spannender Gedanke. Weil das Bedürfnis, dann die Objekte zu sehen, das Materielle auch zu sehen, das scheint nach wie vor da zu sein, auch bei jungen Generationen. Es macht Spass, ein altes Telefon in die Hand zu nehmen, den Hörer abzunehmen, mal auf einer Wählscheibe die eigene Telefonnummer zu wählen. Diese Materialisierung, die Faszination daran, sie geht nicht weg, die bleibt erhalten. Aber es ist nicht mehr das Bedürfnis da, das alles selbst besitzen zu müssen. Und da kann das Museum als Begegnungsort der Objekte und der Menschen mit den Objekten kann eine ganz wichtige Rolle einnehmen.»
[Alain Gloor:] Mir wurde in diesem Gespräch mit Violetta Vitacca deutlich, dass wir unbedingt in Kontakt bleiben müssen. Sie und ihr Team haben sich viele Gedanken gemacht über Architektur und Betrieb. Über den Zusammenhang zwischen Besucher:innenflüssen und Steckdosen. Uber die Grenzen und die Zukunft des Museums. Über das Vergrössern und Verkleinern von Sammlungen. Und, und, und. Alles Fragen, die uns bei der SKKG auch beschäftigen.
Möchtest Du auch mit mir und uns in Kontakt kommen und bleiben? Mir davon erzählen, was du vorhast? Was dir und deiner Institution gelungen — oder misslungen ist? Let me know! Abonniere den Podcast oder schreib mir auf sammelstelle@skkg.ch. An dieser Stelle möchte ich auch erzählen, dass uns schon sehr viele Rückmeldungen erreicht haben. Grossen Dank dafür. In der nächsten Folge werden wir eine dieser Rückmeldungen vertiefen.
Ach ja, der Chevrolet «EI Camino». Violettas Traum von einem Oldtimer. Ich hatte ja versprochen, noch darauf zurückzukommen.
[Violetta Vitacca:] «Für mich ist es der Inbegriff von einem coolen Design. Das eigentlich extrem funktional angedacht wurde aber das nicht immer einhalten konnte. Die Coolness steht über der Funktionalität und das irgendwie fand ich, finde ich diesen Mut extrem cool. Wir reden von einem Pick-up, das heisst, er hat hinten eine Ladefläche. Die ist aber rundherum nur so vielleicht 40 Zentimeter geschützt und vorne hat es zwei Sitzplätze. Also man kann einfach alleine oder zu zweit unterwegs sein, für das man sechs Meter Auto hat. Das schreit nach Abenteuer. Ja, es gibt auch so einen Campingaufsatz drauf. Man kann dann auch in der Wüste von Arizona noch übernachten. und es ist sehr, sehr breit. Von daher nutzbar oder für sich selbst Es ist einfach der Traum vom «Ich alleine unterwegs auf der Strasse, aber trotzdem Getting things done».»
[Alain Gloor:] Gibt es ein besseres Schlusswort? «Das schreit nach Abenteuer» - aber trotzdem «Getting things done». Das passt auch sehr gut zu unserem Weg zum Sammlungshaus.
Einen Chevrolet «EI Camino» haben wir nicht in unserer Sammlung. Das wäre doch ein
Maskottchen für uns? Vielleicht ein wenig aus der Zeit gefallen? Nun ja, ich werde mal mit Severin, unserem Sammlungsleiter, darüber reden müssen.
So, jetzt aber. Tschüss! Wir hören uns! Es würde mich sehr freuen, wenn du bei der nächsten Folge wieder dabei bist.
Mein herzlicher Dank geht auch dieses Mal ans Podcast-Projektteam mit Christine Müller und Laura Walde für die tatkräftige Unterstützung im Hintergrund. Danke auch dir, Violetta Vitacca vom Museum ENTER, - und alles Gute für die Zukunft!
Danke auch dem ganzen SKKG-Team, dieses Mal besonders Rahel Stauffiger. Sowie natürlich der Podcastschmiede und Nico Feer für den Sound. Und, last but not least: danke, Bruno!