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Maria Regli, was verbindet Sport und Spiritualität?
Episode 3327th September 2024 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:29:08

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Shownotes

Volksläufe und Marathons boomen im Herbst und im Frühling. Auch die Theologin Maria Regli hat solche Wettkämpfe absolviert. Heute geht es ihr beim Joggen vor allem darum, Körper, Seele und Geist als Ganzes wahrzunehmen.

Themen dieser Folge:

  • Als Gymnasiastin im Kloster Ingenbohl: «Das Laufen hat mich aus der Enge herauskatapultiert.»
  • Laufen als Lebenselixier: «Ich konnte Dinge verarbeiten und mich entspannen.»
  • Erster spiritueller Lauftreff der Schweiz: «Ein trainierter Geist unterstützt den Körper und umgekehrt.»
  • Masterarbeit in angewandter Spiritualität: «Die Mystikerin Teresa von Ávila wusste, wovon sie sprach.»
  • Beim Marathon das Ego überwinden: «Das Ego will nicht mehr, und dann lässt es los.»
  • Nach der Erschöpfung bei Kilometer 33 kommt der Fluss: «Ein solches Flow-Erlebnis kann auch eine spirituelle Erfahrung sein.»
  • Pius XII. gilt als «Papst der Sportler»: Wie Maria Regli siebzig Jahre später seinen Anweisungen einschätzt.

Transcripts

Maria Regli [:

Beim Joggen trainiere ich den Körper, und beim Meditieren trainiere ich den Geist. Und wenn ich das beides verbinde, dann gibt es eine Synchronizität: Ein trainierter Geist unterstützt den Körper und umgekehrt. Das Ziel ist ja, beim Meditieren den Geist, den zu fokussieren. Beim Laufen spüre ich den Schritt, den Boden viel stärker, als wenn ich sitze. Ich höre ihn ja sogar noch. Und das hilft, in die Präsenz zu kommen. Ich muss auch achtgeben, dass ich nicht stolpere, wo ich hinlaufe. Also die Gefahr, dass ich den Alltagssorgen oder -Plänen nachhänge, ist geringer. Wobei, sie sind auch da, muss ich schon sagen.

Sandra Leis [:

Das sagt Maria Regli. Sie ist seit ihrer Zeit als Gymnasiastin eine passionierte Läuferin, hat Theologie studiert und viele Jahre in der römisch-katholischen Kirche gearbeitet. Schließlich kam es zum Bruch, und letztes Jahr ist sie aus der Kirche ausgetreten. Heute arbeitet Maria Regli als freischaffende Theologin, Ritualbegleiterin und Klinikseelsorgerin. Unser Thema in dieser Folge von «Laut + Leis»: Was verbindet Sport und Religion? Ich bin Sandra Leis und besuche Maria Regli in ihrem Zuhause im bernischen Mittelhäusern. Maria Regli, herzlich willkommen zu unserem Gespräch.

Maria Regli [:

Ja, herzlich willkommen, Du.

Sandra Leis [:

Danke. Kürzlich hat der berühmte Bergsteiger Reinhold Messner seinen 80. Geburtstag gefeiert und wurde auch interviewt. Und da hat er mehrfach gesagt, das Bergsteigen, das sei «eine religiöse Angelegenheit». Kannst du das nachvollziehen?

Maria Regli [:

Ja, das kann ich nachvollziehen. Es hat mich erstaunt, dass er das so sagt, weil er sich eigentlich von den Kirchen distanziert. Und von sich sagt, er sei ein Möglichkeitsdenker, ein Possibilist. Aber Bergsteigen oder Sport treiben draußen in der Natur sein, das kann ein Ort sein, wo sich die religiöse Dimension des Menschen zeigen kann. Und er sagt zum Beispiel auch, das sei möglich in der Kathedrale oder auf dem Gipfel oder wo auch immer. Und dem kann ich wirklich zustimmen.

Sandra Leis [:

Wo liegt denn für dich der Unterschied zwischen Religion und Spiritualität?

Maria Regli [:

Religion ist eine Symbolsystem mit diversen Kulten, Regeln und moralisch ethischen Vorgaben. Wenn man die religiöse Dimension betrachtet, dann hat das Ähnlichkeiten mit Spiritualität. Es geht um das innere Erleben, um die Wahrnehmung nach innen.

Sandra Leis [:

Die man eigentlich auch ohne Gemeinschaft erleben kann.

Maria Regli [:

Ja, natürlich. Gemeinschaft ist immer gut, aber es geht um die Innenschau.

Sandra Leis [:

Wenn Messner auf dem Gipfel ist, hat er in der Regel nicht noch eine Gemeinde um sich. Er ist allein mit der Natur. Ja, und das ist dann eher ein spirituelles Erlebnis.

Maria Regli [:

Genau.

Sandra Leis [:

Du bist in einer katholischen Familie aufgewachsen in Andermatt und hast dann das Gymnasium im Kloster Ingenbohl in Brunnen am Vierwaldstättersee besucht. Du warst sieben Jahre dort, wenn ich das richtig im Kopf habe. Und über diese Zeit hast du einmal gesagt: «Um mich aus der Enge zu befreien, begann ich zu laufen. Nur so konnte ich das Gymnasium durchhalten. Was hat dich damals eingeengt in den 1970er Jahren?

Maria Regli [:

Ja, das war schon das Leistungsdenken, das dauernde Zurecht-gewiesen-Werden, die Vorgaben, die Regeln, die Körperfeindlichkeit. Auch ich habe mich zusehends unterdrückt gefühlt. Ich ging eigentlich mit Freude in dieses Gymnasium, und ich wurde belastet. Am Schluss nach sieben Jahren, und das Laufen hat mich wie herauskatapultiert, quasi in die Weite. Und da konnte ich mich wieder wie ins Lot bringen. Ich konnte auch Dinge verarbeiten beim Laufen. Ich war wieder ausgewogen, entspannt und konnte natürlich nachher wieder in diesem System funktionieren und auch leisten.

Sandra Leis [:

Wie haben denn die Ordensschwestern auf deine Lauftrainings reagiert?

Maria Regli [:

Ja, ich erinnere mich noch an die Französischlehrerin. Die hat mir gesagt: Pass auf, die bösen Männer. Aber das war das Einzige. Also es hat mir das niemand verboten. Ich bin dann auch manchmal mit einer Kollegin gegangen. Ja, okay, es war nicht verboten. Aber eben so ein bisschen Angstmache war schon da.

Sandra Leis [:

Wenn wenn man in die Kirchengeschichte schaut, so kann man auf Papst Pius XII. treffen, der wird als «Papst der Sportler» bezeichnet. Er selber hat leidenschaftlich Sport betrieben: Er ist geritten, er hat gerudert, er ist geschwommen und gewandert. Das wurde ihm empfohlen von einem Arzt, weil er einen zarten Körper hatte. Er solle doch mehr Sport machen. Und er hat sich dann mehrfach auch zum Sport geäußert. Und 1951 hat er vier Grundsätze zum Sporttreiben aus katholischer Sicht formuliert. Ich erwähne die kurz und bin dann gespannt, was du zu diesen Grundsätzen sagst, die er eben 1951 formuliert hat. Zum ersten sagt er: Der Sport steht im Dienst des ganzen Menschen und darf nicht Selbstzweck sein. Dann zur Berufstätigkeit: Der Sport, der soll für Entspannung sorgen. Und weiter, ein interessanter Punkt: Das Zusammenleben der Ehegatten und die heiligen Familienfreuden, die dürfen nicht gestört werden durch den Sport. Und zum vierten und letzten Punkt: Ganz wichtig seien natürlich dann die religiösen Pflichten. Da heißt es: Der Tag des Herrn, der gebührt Gott. Das sind Äußerungen zum Sport von Papst Pius XII. Wie kommen die bei dir an?

Maria Regli [:

Wir haben wie zwei verschiedene Betrachtungsweisen auf den Sport. Also der Papst Pius, der definiert die Rolle des Sports innerhalb der katholischen Subkultur. Was soll der Sport? Was darf er? Und bei mir geht es mehr um die spirituelle Dimension des Sports. Inwiefern kann Sport oder Bewegung in Verbindung mit Meditation Raum bieten, um mehr zu erfahren, um, ich sage jetzt mal, spirituelle Erfahrungen wahrzunehmen, die da sind, aber die man oft verdrängt.

Sandra Leis [:

Das sagt er aber ein Stück weit auch, wenn er von der Entspannung spricht und dass es den ganzen Menschen betreffen soll.

Maria Regli [:

Ja, ja, das sehe ich auch so. Er sagte dann auch, dass man dann mit erfrischten Kräften an die Arbeit zurückkehren kann. Da würde ich ihn unterstützen, aber wenn er dann sagt, der Sport darf keineswegs die religiöse und sittliche Vervollkommnung hindern, dann definiert er, was religiöse und sittliche Vervollkommnung ist. Und ich denke, dass durch Sport, durch Meditation, dass wir daran arbeiten, um ausgewogener und um wahrnehmungsfähiger zu werden. Und dann noch das zur Familie. Ja, was ich würde das jetzt erweitern. Sport kann soziale Beziehungen gefährden. Wenn jemand jetzt explizit den Sport als Priorität hat und die Familie oder das Beziehungsnetz teilt das nicht, dann wird es schwierig.

Sandra Leis [:

Sport kann ja auch zur Religion werden.

Maria Regli [:

Ja, genau.

Sandra Leis [:

Heute, 70 Jahre nach Papst Pius XII., hat sich ja die Gesellschaft geändert, zumindest mal in Mittel- und Nordeuropa. Die Kirchen und auch die Sportvereine, die verlieren an Mitgliedern. Gleichwohl gibt es aber ein Interesse an Spiritualität und Sport. Das ist nach wie vor vorhanden. Müssen heute aus deiner Sicht jetzt die Angebote maßgeschneidert und individuell sein?

Maria Regli [:

Angebote sollten den Bedürfnissen der Interessierten entgegenkommen. Und da denke ich, dass die Kirche oder die Kirchen oder auch die Hauptreligionen oft verpasst haben, sich auszurichten nach den wahren Bedürfnissen der Menschen. Im Sport, da denke ich, da kommt einfach der Stress des Alltags dazwischen. Also wir sind so eingeteilt und mit Familie und Verpflichtungen, dass es dann schwieriger wird, dann noch einem Verein anzugehören und regelmäßig dieses Angebot anzunehmen. Die Menschen möchten freier entscheiden, immer wieder neu Prioritäten setzen, auch auf den eigenen Körper hören und auch auf die soziale Situation. Was liegt jetzt drin und nicht einfach stur jeden Dienstag gehe ich jetzt, sondern: Ja, es kann sein, dass sich die Prioritäten verschieben. Und von daher kollektiv unterwegs zu sein macht Sinn. Aber das andere ebenso.

Sandra Leis [:

Du hast viele Jahre lang in einer Pfarrei in Köniz als Seelsorgerin gearbeitet und dort den ersten sogenannten spirituellen Lauftreff der Schweiz ins Leben gerufen. Also das war vor 15 Jahren. Da hast du auch Gemeinschaft gesucht. Und kannst du erklären, was hat Spiritualität und Körper, was haben die beiden gemeinsam? Da hast du das zusammengebracht, was dich ja prägt. Du bist Theologin und du treibst sehr, sehr gerne Sport. Und mit diesem spirituellen Lauftreff hast du das verbunden. Wie hast du die Leute dazu gebracht, mitzumachen? Was war der Reiz, dass man Spiritualität und Körper zusammenbringt?

Maria Regli [:

Einerseits habe ich eine Zielgruppe angesprochen, die sich gerne bewegt und auch Interesse an Spiritualität hat. Mein Ziel war ja, den Körper wahrzunehmen, quasi als Quelle, als Wahrnehmungsorgan für Spiritualität, für spirituelle Erfahrungen und nicht nur über Spiritualität zu reden. Also nicht nur die mentale und die emotionale Ebene einzubeziehen, wenn ich es doch trenne, was ich nicht will, sondern eben auch die körperliche. Es geht eigentlich um die Wiederverkörperung des Geistes. Also der Geist ist nicht oberhalb oder neben dem Körper, sondern er ist Teil des Ganzen. Heute redet man auch von Embodiment, also von Beeinflussung. Was ich denke, was ich fühle, was ich mache, das fließt alles ineinander. Und es ging mir darum, dass Körper, Seele und Geist als Ganzes wahrzunehmen und die Menschen ernst zu nehmen in ihrem Erleben.

Sandra Leis [:

Was ist das Katholische an diesen Lauftreffs?

Maria Regli [:

Also ich hatte explizit einen Auftrag von der Pfarrei Sankt Josef in Köniz, Angebote anzubieten für Menschen, die eher kirchendistanziert sind oder sich nicht angesprochen fühlten von den klassischen Angeboten. Und ja, ich sage immer: Katholisch ist allumfassend. Damals in Köniz hatte sehr viel Platz, und es war auch eine andere Zeit, da hat man sich auf Experimente eingelassen. Und das Katholische: Ich meine, ich habe auch das aramäische Vaterunser als Leitfaden genommen. Also wir haben das aramäische Vaterunser, sagen wir, in zehn Abenden meditiert aus Impuls oder dass Herzensgebet. Das hat uns auch immer wieder begleitet, ist durchaus katholisch oder christlich. Oder was mir natürlich gefallen hat: Ich habe mich intensiv mit den Wüstenvätern und -müttern beschäftigt. Die waren zwar nicht katholisch, aber christlich. Und von ihnen habe ich sehr viel Impulse mitgenommen, wie man oder frau zum Beispiel mit Emotionen umgehen soll oder mit Gedanken. Da haben sie sehr viele Hinweise gegeben, und das habe ich auch einfließen lassen.

Sandra Leis [:

Das ist schon ein Weilchen her. 15 Jahre. Das heißt, du warst damals ja der Zeit eigentlich ein Stück weit voraus, weil du versucht hast, Angebote zu machen, die andere Menschen noch ansprechen als die herkömmliche Community.

Maria Regli [:

Ja, das würde ich schon sagen, weil ich hab das ja im Rahmen einer Ausbildung zur Spiritualität gemacht, und ich hab da recherchiert, und ich hab wirklich in der Schweiz nichts gefunden. Ich wurde fündig in Österreich und Deutschland. Da hat man sich mit Laufen und Meditation beschäftigt und erst nachher wurde die Achtsamkeitsbewegung so populär. Und eigentlich geht es bei mir auch um Achtsamkeit.

Sandra Leis [:

Und du hast schon erwähnt, du hast ein Masterstudium angehängt und auch eine Masterarbeit geschrieben und darin, die durfte ich lesen. Du hast sie mir geschickt und darin zitierst du auch die Mystikerin Teresa von Ávila. Und sie hat schon im Mittelalter gesagt: «Sei freundlich zu deinem Leib, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.» Maria Regli, was heißt das genau? Freundlich sein zum Körper?

Maria Regli [:

Also freundlich sein heißt, den Körper wahrnehmen, die Stimme des Körpers wahrnehmen und vielleicht noch ein bisschen tiefer nachfühlen. Was geht da? Was passiert in meinem Körper? Und mit Körper meine ich natürlich auch die mentale, emotionale Ebene und die vitale auf jeden Fall. Es heißt also, es bedeutet für mich auch, in einen Dialog zu kommen mit dem Körper. Und das Schöne ist, wenn man so entspannt läuft, dann bekommt man neue Energie aus der Freude. Es entwickelt sich Freude, und dann hat man noch mehr Lust, den Körper zu bewohnen und sich zu bewegen. Von daher unterstütze ich die Teresa von Ávila. Finde, sie weiß, wovon sie redet.

Sandra Leis [:

Du bist früher auch Marathon gelaufen. Du hast Volksläufe bestritten. Also wer einen Marathon schaffen will, der muss dem eigenen Körper auch etwas abverlangen. Das kann ja nicht nur freundlich sein.

Maria Regli [:

Ja, ja, also da ist schon auch ein bisschen Disziplin dabei, das gehört dazu. Also das heißt ja nicht, dass ich nicht freundlich bin. Ich hab mit meinem Körper abgemacht, dass wir zusammen einen Marathon laufen, und dann darf ich ihn ja auch fordern. Und das Schöne ist: Bei Marathon spricht man oft von einem Hammermann nach 33 Kilometern, wo man wirklich nicht mehr will. Der Körper will nicht mehr.

Sandra Leis [:

Er hat keine Lust mehr.

Maria Regli [:

Ja. Aber dann passiert eben dieser Wechsel oder das Ego will eigentlich nicht mehr. Da habe ich genug, und dann lässt es los. Und dann, wenn das Ego sich zurücknimmt, dann kommt neue Energie. Also dann, dann passiert eben ein Stück weit eine Transformation. Und neue Energie heißt auch neue Freude, neue Lust am Laufen. Man kann auch sagen, das ist ein Flow-Erlebnis, wenn der Geist nicht mehr den Körper fordert und voranpresst, sondern wenn der Geist in den Fluss mit dem Körper kommt. Und es gibt viele Zeugnisse von Läufern, da habe ich das auch untersucht. In meiner Arbeit kann ich sagen: Ja, das sind so peak experiences, so kleine mystische Erfahrungen. Wie vielleicht auch der Messner das mal erfahren hat.

Sandra Leis [:

Joggen und meditieren. Wenn ich dir zuhöre, merke ich, da gibt es wirklich viele Gemeinsamkeiten. Kannst du das noch einmal kurz zusammenfassen? Was verbindet Joggen und Meditieren?

Maria Regli [:

Das Training. Beim Joggen trainiere ich den Körper. Und beim Meditieren trainiere ich den Geist. Und wenn ich das beides verbinde, dann gibt es eine Synchronizität. Ein trainierter Geist, ein fokussierter Geist unterstützt den Körper und umgekehrt. Also beide unterstützen sich, um in eine Sammlung zu kommen. Das Ziel ist ja beim Meditieren, den Geist, der sich ja auch joggend nach allen Seiten bewegt, den zu fokussieren. Und wenn ich beim Joggen regelmäßig atmend unterwegs bin, den Atem mit dem Schrittrhythmus verbinde und die Gedanken mit dem Atem verbinde, dann gibt es eine optimale Ausgangsposition, um ruhiger und entspannter zu werden. Das kann man natürlich auch beim Sitzen, aber viele Leute ziehen es vor, unterwegs zu sein. Und es hilft auch, in die Präsenz zu kommen. Weil beim Laufen spüre ich den Schritt, den Boden viel stärker, als wenn ich sitze. Ich höre ihn ja sogar noch. Und das hilft, in die Präsenz zu kommen. Ich muss auch achtgeben, dass ich nicht stolpere, wo ich hinlaufe. Also die Gefahr, dass ich den Alltagssorgen oder -Plänen nachhänge, ist geringer. Wobei, sie sind auch da, muss ich schon sagen.

Sandra Leis [:

Sie verfliegen ja nicht einfach, die Alltagssorgen sind nicht einfach weg.

Maria Regli [:

Genau. Also wenn man sagt, ich habe so ein schönes Schema von einem Yogalehrer, der sagt, in den ersten 20 Minuten passiert Stressabbau, Lockerung der Muskeln. In der zweiten Phase, da kommt die Entspannung. Da ist man also mit den nächsten 20 Minuten entspannter unterwegs. Und in den restlichen 20 Minuten passieren neue Inspirationen. Da ist man anders unterwegs, mehr nach innen orientiert oder verbundener mit sich und der Gegenwart.

Sandra Leis [:

Du nennst dein Training, deine Art von spirituellem Lauf eben auch Spiritual Move, das ist der Begriff, der auch in deiner Arbeit vorkommt. Und der unterscheidet sich ja ganz klar von einem leistungsorientierten Volkslauf. Es geht um die Einheit von Körper und Geist bei diesem spirituellen Lauf. Heute ist das spirituelle Laufen bereits wieder etwas passé, und an seiner Stelle ist aus meiner Sicht eher das meditative Walken gekommen und das klassische alte Pilgern. Warum? Warum ist der Spiritual Move nicht mehr so im Trend wie auch schon?

Maria Regli [:

Also das meditative Unterwegssein, Achtsamkeits-Läufe sind schon noch im Trend. Aber es ist schwierig, für mich zum Zielpublikum zu kommen. Oft denkt man, die Unterscheidung zu machen: Wenn ich jetzt jogge, dann will ich leisten, dann will ich abnehmen, dann will ich individuell unterwegs sein. Auch der Spiritual Move ist ein bisschen anstrengend. Es ist nicht nur Wellness, sondern es ist eine andere Absicht dahinter. Da braucht man ein spezielles Publikum, also speziell Interessierte. Und es ist vielleicht noch etwas schwieriger zu erklären als nur achtsam unterwegs sein. Mit wachen Sinnen unterwegs sein, ist einfacher zu erklären.

Sandra Leis [:

Da ist eigentlich spazieren gemeint. Und das ist weniger anstrengend.

Maria Regli [:

Es gibt schon wieder Trends, langsam unterwegs zu sein, zum Beispiel Slow Jogging. In Japan gibt es das neue Laufen im Wohlfühltempo, mit einem Lächeln im Gesicht. Ganz kleine Trippelschritte. Oder das Barfußlaufen. Aber eben, das ist auf der Ebene des Körpers. Und das andere ist schon mit Meditation verbunden. Ich erfahre es zum Beispiel beim Kinhin hin in Zusammenhang mit dem Zen. Das ist ja auch meditatives Laufen. Und ich war in einem Zen-Retreat, da haben wir schnelles Gehen praktiziert mit Kinhin, nicht joggen. Ich finde, man könnte joggen, das wäre ein Gefäß. Aber auch das spricht ein engeres Zielpublikum an als achtsames Mindfulness Running. Das war ja so auch ein Begriff, der Anklang gefunden hat.

Sandra Leis [:

Pilgern ist ja sehr im Trend, das läuft man und meditiert.

Maria Regli [:

Ja, Pilgern ist natürlich in der katholischen Tradition verwurzelt, hat auch eine andere Ausrichtung, ist eben konfessionell. Aber beim Pilgern sind alle willkommen. Und ja, das ist mit Meditieren verbunden.

Sandra Leis [:

Du hast mir in unserem Vorgespräch gesagt, dass du fünfmal in der Woche im Durchschnitt eine Stunde joggst. Also du bist wirklich sehr, sehr aktiv. Was machst du, wenn du mal eine Verletzung hast?

Maria Regli [:

Ich habe noch diverse andere Möglichkeiten. Ich praktiziere auch Yoga, Ich bin Yogalehrerin, und ich bin eigentlich über eine Verletzung zum Yoga gekommen. Ich konnte keine Wettkämpfe mehr oder keine Volksläufe mehr laufen, weil ich eine Knieverletzung hatte, und kam zum Lu Jong, tibetisches Heilyoga. Und ich unterrichte das. Ich unterrichte auch andere Arten von Yoga, und das ist eine Alternative. Oder ich kann gut auch wandern, spazieren, velofahren. Wichtig ist mir Bewegung draußen in der Natur. Und das kann ich bei vielerlei Verletzungen. Zum Glück hatte ich noch nie eine größere Verletzung, wo auch das nicht mehr möglich war.

Sandra Leis [:

Also dann weichst du aus, findest andere Möglichkeiten. Diverse Studien, die zeigen: Sport, der stärkt Körper und Psyche, der kann auch Depressionen vorbeugen oder ein Stück weit lindern. Trotzdem: Wann wird Sport zur Sucht?

Maria Regli [:

Sucht wird ja so definiert, Sucht oder wenn ich dauernd in dieser Gedankenschleife bin: Ich setze mich unter Druck. Ich, ich bin nicht mehr arbeitsfähig, ich will etwas.

Sandra Leis [:

Also der Sport wird zum Stress.

Maria Regli [:

Der Sport wird zum Stress. Und wenn es auch gesundheitsschädigend wird. Also wenn ich nicht mehr achte, bleibe ich gesund dabei. Wenn ich auch das soziale Umfeld nicht mehr beachte und nur noch meiner Sucht frönen würde.

Sandra Leis [:

Dann wären wir wieder bei Pius XII., der ja da Warnungen von sich gegeben hat diesbezüglich. Dass Sport auch zur Sucht werden kann, obwohl er selber ja auch sehr begeistert Sport betrieben hat.

Maria Regli [:

Ja. Aber ich finde, den anderen Gedanken finde ich viel wertvoller, als sich so auszurichten, dass Sport oder Lauftraining Depressionen lindert, wieder ins Gleichgewicht bringt. Also ich bin froh, kann ich in einer Klinik arbeiten, die das auch sehr wichtig findet. Sport als Möglichkeit, um therapeutisch mit Depressionen zu arbeiten.

Sandra Leis [:

Wenn du an dein Alter denkst, wie lange möchtest du laufen können? Oder was wäre dein Ziel? Was erhoffst du dir? Man weiß ja nie, wie's kommt. Aber du bist jetzt so sportlich und so auch spirituell unterwegs. Was glaubst du, was auf dich zukommt?

Maria Regli [:

Ja, Ich hab mal einen Test gemacht. Ich könnte 93 werden.

Sandra Leis [:

Laufenderweise?

Maria Regli [:

Nein, so, nur.

Sandra Leis [:

Einfach als Mensch.

Maria Regli [:

Ich möchte bis ins Alter laufend unterwegs sein können. Draußen in der Natur. Und deswegen habe ich vorgebeugt und laufe jetzt keine Wettkämpfe, keine Volksläufe oder Marathons mehr, damit ich möglichst lange Spiritual Move betreiben kann.

Sandra Leis [:

Ja. Du bist letztes Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Und wenn du dich jetzt in die Rolle der Trainerin versetzt. Zum Abschluss unseres Gesprächs: Welches Sportprogramm würdest du der Kirche, der katholischen Kirche empfehlen?

Maria Regli [:

Da kann ich fast nicht antworten. Was soll ich der katholischen Kirche vorschreiben?

Sandra Leis [:

Ich meine nicht vorschreiben, empfehlen, nur empfehlen. Braucht es mehr Bewegung im Gottesdienst, oder was könnte helfen?

Maria Regli [:

Es braucht mehr Offenheit, also weniger Vorgaben. Es braucht Raum, damit die Leute sich frei bewegen können und nicht Vorgaben, was sie denken und fühlen sollen. Es geht ja um spirituelle Erfahrungen, die überall möglich sind. Sei es jetzt in der Kirche oder außerhalb. Und dass sie Räume bieten, damit spirituelle Erfahrungen möglich sind. Unter Einbezug des Körpers.

Sandra Leis [:

Maria Regli vielen Dank für dieses Gespräch.

Das war die 33. Folge des Podcasts «Laut + Leis». Zu Gast war Maria Regli. Sie ist eine passionierte Läuferin und freischaffende Theologin. Sie verknüpft Sport und Spiritualität und bietet entsprechende Angebote an.

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In der nächsten Folge von «Laut + Leis» besuche ich das erste Kinderhospiz der CH in Riedbach bei Bern, das vor kurzem seinen Betrieb aufgenommen hat. Zu Gast werden sein: der Geschäftsführer André Glauser und Patrick Schafer. Er arbeitet als Seelsorger im Insel-Spital und im Kinderhospiz und wird auch erzählen, welche Rolle die Katholische Kirche Region Bern gespielt hat, damit das Kinderhospiz gegründet werden konnte.

Der nächste Podcast erscheint am 18. Oktober – bleibt laut und manchmal auch leise.

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