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Michael Meier: «Papst Franziskus fremdelt mit den westlichen Werten»
Episode 2312th April 2024 • Laut + Leis • kath.ch
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Shownotes

Er bürstet das Bild des Papstes als Reformer und Lichtgestalt gegen den Strich: Der Theologe und Publizist Michael Meier hat für sein Buch «Der Papst der Enttäuschungen» akribisch recherchiert. Er zeichnet nach, weshalb Franziskus der römisch-katholischen Kirche zwar ein menschlicheres Gesicht gibt, in der Lehre aber alles beim Alten belässt.

Themen dieser Folge:

  • Weshalb Franziskus ein Seelsorger und Hirte ist, aber kein Reformer
  • Warum Pressekonferenzen im Flugzeug publikumswirksam, für die Lehre aber keineswegs bindend sind
  • Der Segen für alle ist für Michael Meier eine Mogelpackung
  • Die Weltsynode ist für Michael Meier eine Alibi-Übung
  • Missbrauch ist im Vatikan nicht mehr Chefsache
  • Der Papst und seine politischen Statements
  • Was Franziskus von seinen Vorgängern unterscheidet
  • Das Buch von Michael Meier: «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist», Herder-Verlag 2024, 202 Seiten.

Transcripts

Michael Meier [:

Ja vielleicht nicht mal unbedingt die Enttäuschung, weil ich selber bin nicht so enttäuscht. Aber ich glaube, es gibt ein falsches Bild von Franziskus als Reformer und Lichtgestalt. Er möchte alles neu machen, aber er wird gehindert von der bösen Kurie. An dieses Narrativ glaube ich nicht. Ich habe eine andere Lesart von ihm. Für mich ist er ein Seelsorger, der Barmherzigkeit im Einzelfall üben will, aber die Lehre eigentlich nicht antastet.

Sandra Leis [:

Das sagt Michael Meier. Er ist Theologe und Publizist und hat während 33 Jahren als Kirchen- und Religionsexperte für den Zürcher Tagesanzeiger geschrieben. Für sein Wirken ist er mit dem Zürcher Journalistenpreis und dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet worden. Jetzt hat Michael Meier im Herder-Verlag ein Sachbuch veröffentlicht mit dem Titel «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist». Wie er zu diesem Urteil kommt und was Papst Franziskus stattdessen ist, darüber sprechen wir in diesem Podcast. Ich bin Sandra Leis und besuche Michael Meier in seiner Wohnung in Zürich. Michael Meier, herzlich willkommen!

Bevor wir über Ihr Buch und Papst Franziskus sprechen, zum Einstieg zwei Fragen zu Ihnen persönlich. Sie sind ein Zürcher Protestant und haben römisch-katholische Theologie studiert. Warum?

Michael Meier [:

Ja, ich bin ein verhinderter Konvertit. Es hat mich innerlich zur katholischen Kirche gezogen, weil ich an der Mystik interessiert bin. Sie ist stärker verortet im Katholizismus als im Protestantismus. Und überhaupt: Ich bin eigentlich atheistisch aufgewachsen und so war das Liebäugeln mit dem katholischen Glauben einfach etwas Neues oder etwas Verheißungsvolleres.

Sandra Leis [:

Sie haben sogar überlegt zu konvertieren, wie Sie gerade gesagt haben. Das haben Sie dann aber nicht gemacht. Was waren da die Gründe dafür?

Michael Meier [:

Ich habe ja Theologie studiert, und das dritte Jahr war dann in Rom. Das war wunderbar. Aber dann merkte ich, dass ich nicht katholisch werden kann, weil die Institution ist mir fremd geblieben, und deshalb habe ich das fallen gelassen.

Sandra Leis [:

Dann sind Sie Journalist geworden. Sie haben viele Jahre für den Tagesanzeiger geschrieben und sich einen Namen gemacht als Kirchen- und Religionsexperte. Sie sind ein unbestechlicher und kritischer Geist, und für manche Kirchenleute sind Sie aber auch ein rotes Tuch, weil Sie, so sagt man, kaum je etwas Gutes schreiben würden. Was sagen Sie? Suchen Sie denn ganz bewusst das Haar in der Suppe?

Michael Meier [:

Gewissermaßen schon. Als Journalist macht man das ja. Das Konfliktuöse, das gibt Schlagzeilen. Das ist das Interessante. Und wenn ich jetzt über meine Spiritualität, mein Gebetsleben etwas sagen würde, ich glaube, das würde kaum interessieren. Und es ist mir bewusst, dass ich ein rotes Tuch bin. Aber solange ich zu dem stehen kann, was ich schreibe, macht mir das auch nicht so viel aus. Ich denke, ich recherchiere korrekt. Ich mache oder habe relativ wenige Fehler gemacht und ich kann dazu stehen. Darum ist das für mich kein Problem.

Sandra Leis [:

Und jetzt haben Sie Ihr erstes Buch geschrieben, also nach Ihrer Pensionierung. Und auch da gibt es viel Kritik an Papst Franziskus. Man könnte das so zusammenfassen: Der einstige Hoffnungsträger ist eine grosse Enttäuschung. Wollten Sie das zeigen mit Ihrem Buch oder was war Ihre Motivation, sich jetzt so intensiv mit Papst Franziskus auseinanderzusetzen?

Michael Meier [:

Ja, vielleicht nicht mal unbedingt die Enttäuschung, weil ich selber bin nicht so enttäuscht. Aber ich glaube, es gibt ein falsches Bild von Franziskus. Er, der Reformer, die Lichtgestalt möchte alles neu machen. Aber er wird gehindert von der bösen Kurie. An dieses Narrativ glaube ich nicht. Ich habe eine andere Lesart von ihm, und zwar ist er für mich ein Seelsorger, der Barmherzigkeit im Einzelfall üben will, aber die Lehre eigentlich nicht antastet.

Sandra Leis [:

Das schreiben Sie sehr genau und ausführlich. Dass er ein Seelsorger ist und ein Hirte. Was ist daran schlecht?

Michael Meier [:

Daran ist gar nicht schlecht. Nein, ich finde, ich wirkt für mich auch so ein bisschen wie ein Dorfpfarrer, der vielleicht sehr liebevoll auf die Leute zugeht. Daran ist nichts schlecht. Das ist gut. Nach dem Pontifikat von Ratzinger und dieser doktrinären Strenge ist es ein ganz anderer Zugang. Aber im Papstamt kollidiert das halt mit der Lehre. Der Papst ist zugleich auch Wächter der Lehre des Dogmas. Und da gibt es dann eine große Kluft zwischen Pastoral und Lehre.

Sandra Leis [:

Seine Texte sind ja dann doch auch sehr linientreu.

Michael Meier [:

Genau, das vergisst man ja oft. Man hört diese Sachen wie «Wer bin ich, um zu urteilen?» Oder er hat wieder eine Frau berufen an die Kurie, was früher nicht möglich war. Aber wenn man dann seine Texte, seine Lehrschreiben liest, die eigentlich ja ein lehramtliches Gewicht haben, tönt das dann schon ganz anders. Und das muss man den Leuten vielleicht sagen, dass das, was er publikumswirksam in der Öffentlichkeit sagt, gar nicht das Verbindliche ist. Was ihn überdauert, sind die Lehrschreiben.

Sandra Leis [:

Aber in der Öffentlichkeit sind doch seine Statements und seine Pressekonferenzen im Flugzeug präsent. Das wird vielleicht ein Stück weit auch bleiben.

Michael Meier [:

Ob das bleiben wird? Vielleicht schon. Wenn man eine Biografie macht über ihn dann schon. Aber es hat einfach keine bindende Kraft für den nächsten Papst.

Sandra Leis [:

Das ist das Entscheidende. Jetzt hat er aber doch überrascht, wenn wir an den letzten Dezember denken: Da wurde plötzlich der Segen für alle möglich. Das war 2021 noch absolut verboten. Jetzt können sich wiederverheiratete Geschiedene, Menschen im Konkubinat und gleichgeschlechtliche Paare segnen lassen. Hat Sie dieser Entscheid positiv überrascht?

Michael Meier [:

Nein. Als ich die Schlagzeilen hörte, ganz zu Beginn, dann dachte ich doch Wow, das ist ja eine große Überraschung. Das hätte ich nicht gedacht. Als ich dann aber dieses Papier las, «Fiducia supplicans», war ich dann doch sehr enttäuscht. Weil er, wie er sagt, irreguläre Beziehungen, ob jetzt Wiederverheiratete, Geschiedene oder Homosexuelle, das bleibt, das ist gegen die Natur. Und dieser Segen legitimiert das auch nicht. Das ist etwas merkwürdig. Ein Segen sollte ja das, was er segnet, legitimieren oder wertschätzen. Das macht er gerade nicht, sondern er will quasi eine Hilfe sein für diese Leute auf den Weg des Evangeliums zu kommen. Einige haben sogar von einem Exorzismus gesprochen oder einem Segen zweiter oder dritter Klasse. So würde ich das auch sehen. Für mich ist das kein Fortschritt. Der Papst reizt zwar einen gewissen Spielraum aus, doch dann komt die rote Linie in seinem Pontifikat: Er lässt die Lehre unangetastet.

Sandra Leis [:

Zu Gast im Podcast war kürzlich auch mit Mentari Baumann. Sie ist Geschäftsführerin von «Allianz Gleichwertig Katholisch». Auch sie hat gesagt: Der Segen für alle reproduziert, was falsch und was richtig ist. Gleichwohl aber sagt sie: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und hat beispielsweise ihre Mutter zitiert, eine indonesische Katholikin. Und für ihre Mutter sei dieser Segen für alle «ein mega wichtiger Schritt». Können Sie das nachvollziehen?

Michael Meier [:

Nein, ehrlich gesagt nicht. Nein. Ich kann das nicht nachvollziehen, weil es bleibt einfach die Abwertung dieser Beziehungen. Und wenn ich dann quasi so zum Trost oder so herablassend gesagt bekomme, auch du bist geschätzt und du kannst auch wenn du dich anstrengst, wieder auf den Weg des Evangeliums kommen. Ich kann diesem Segen zweiter Klasse eigentlich nichts abgewinnen. Nein.

Sandra Leis [:

Ein kleiner Schritt in eine Richtung vielleicht?

Michael Meier [:

Ich meine, klar. Der amerikanische Jesuit James Martin, der sagt, noch kein Papst hat so viel gemacht für die LGBTQ-Community, für wiederverheiratete Geschiedene. Das stimmt schon, aber es bleibt für mich irgendwie eine Mogelpackung. Ich glaube, es ist dem Papst ein seelsorgerliches Anliegen, auch diesen Leuten zu sagen, ihr seid willkommen in der Kirche. Aber was ihr macht, das ist widernatürlich, das ist gegen die Natur. Also es hat immer diese zwei Seiten.

Sandra Leis [:

Sie schreiben auch, dass Papst Franziskus westlichen Werten eigentlich eher distanziert gegenübersteht. Er ist ja Argentinier und sein Herz, das schlage für den globalen Süden. Nun ist es aber so, dass gerade dieser Segen für alle große Proteste ausgelöst hat im globalen Süden. Also versucht er da doch auch gewisse Dispute auszutragen.

Michael Meier [:

Ja, wahrscheinlich hat er das auch nicht so erwartet. Ich meine, der Wortführer war ja dieser afrikanische Kardinal von Kinshasa, Fridolin Ambongo. Der ist ja auch im Kardinalsrat und der hat sich aber eigentlich klug ausgedrückt, hat einfach gesagt, wir praktizieren das nicht. Das ist eine Kolonialisierung unserer Werte, quasi. Wir machen das nicht. Aber er hat nicht gesagt, der Papst ist ein Häretiker deswegen. Aber ich glaube schon: Für den Papst kam das relativ überraschend, und das kann auch vielleicht im nächsten Konklave eine Auswirkung haben. Es sind ja nicht nur die afrikanischen Kardinäle da, es gibt auch viele andere, die dann vielleicht sagen, wir wollen nicht mehr so einen wie Franziskus, der so etwas macht. Er stiftet Unruhe und Verunsicherung. Wir wollen lieber wieder eine klare Linie.

Sandra Leis [:

Ein anderes wichtiges Thema im Buch ist die Weltsynode. Die war ja im letzten Oktober in Rom. Und auch da ist Ihr Fazit eher pessimistisch. Sie vermuten, dass die Weltsynode, die ja dieses Jahr dann abgeschlossen sein wird, eine grosse Alibiübung ist. Was sagen Sie denn dazu, dass jetzt erstmals im Herbst 54 Frauen teilnehmen konnten? Und die Sitzordnung beispielsweise ganz anders war. Also nicht mehr so universitär, sondern eher ein Miteinander. Sie schreiben da, das sei ein bisschen Kosmetik. Ist es wirklich nicht mehr?

Michael Meier [:

Ja, es ist schon Kosmetik. Ich meine, weil der Papst hat diesen Spielraum jetzt ausgereizt, auch mit diesen 54 Frauen. Quantitativ kann er das noch steigern im nächsten Jahr mit 70 oder 90 Frauen. Aber dieser qualitative Sprung hin wirklich zur vollen Gleichberechtigung der Frauen, das wird nicht kommen. Darum hat es für mich immer so etwas, auch so etwas wie eine Mogelpackung. Und ich habe von Anfang an bei diesem synodalen Prozess habe ich gesagt, da wird nichts rauskommen. Man sieht ja jetzt beim deutschen synodalen Weg. Der Vatikan hat ja alles sabotiert, was sie wollten, also alles. Sie wollten das Frauenpriestertum besprechen, natürlich auch den Segen für Homosexuelle, ökumenisches Abendmahl, Laienpredigt. Es wurde alles abgeschmettert, bis hin zu partizipativen Gremien. Dieser Synodalausschuss, wo Laien und Priester geweihte Männer zusammen entscheiden, das wurde alles abgeschmettert. Von daher: Da werden schöne Worte rauskommen, mehr nicht. Also beim weltweiten Prozess.

Sandra Leis [:

Gibt es etwas, bei dem Sie denken, das hat Papst Franziskus wirklich gut gemacht?

Michael Meier [:

Ja, ganz gewiss. Zum Beispiel mit seiner ersten Reise nach Lampedusa. Da vertritt er wirklich gemäß dem Evangelium diese Option für die Armen vertritt, und zwar sehr glaubwürdig. Und das zieht sich durch sein Pontifikat durch, und das ist auch noch dem Ratzinger-Pontifikat sehr wohltuend, das wieder jemand zeigt: Das sind eigentlich unsere evangelischen Werte, auf die es ankommt.

Sandra Leis [:

Ein anderes grosses Anliegen ist seine Sorge, die er für die Umwelt tragen will.

Michael Meier [:

Das finde ich auch. Also ich meine, das hat noch kein Papst so prominent in den Fokus gerückt. Das finde ich schon gut. Wobei eben für mich jetzt in diesen Sachen, ich brauche da eigentlich weniger Propheten. Ich brauche auch keine Greta Thunberg, ich möchte wissenschaftliche Analysen. Es ist halt so mit diesem Thema – so wichtig es natürlich global ist –, der Papst kann damit auch ein bisschen ablenken. Es geht ja tatsächlich auch darum, also vor allem darum, dass diese Kirche gesellschaftlich anschlussfähig ist, eben mit Gleichberechtigung der Frauen, mit einer neuen Sexualmoral und so weiter. All diese Dinge, die Ratzinger einst den «Kanon der Kritik» genannt hat und die eigentlich von diesen Reformgruppen immer wieder postuliert werden. Das ist ja schön, wenn man sagt, man hat einen umweltfreundlichen Papst, aber eben: Die Frauen in den eigenen Reihen. Na ja, da macht man ein bisschen etwas, aber man nimmt sie nicht für voll.

Sandra Leis [:

Virulent ist auch die ganze Missbrauchsgeschichte. Und da habe ich in Ihrem Buch etwas gelesen, was ich so nicht wusste. Sie schreiben nämlich, dass Missbrauch nicht mehr Chefsache ist im Vatikan. Wie kann das sein?

Michael Meier [:

Ja, eben. Das war doch eigentlich auch erstaunlich. Nachdem er diesen Missbrauchsgipfel eingeführt hat und auch zahlreiche Schritte unternommen hat, dass er dann mit der Ernennung des neuen Glaubenspräfekten Victor Fernandez einen Rückzieher machte. Auf dessen ausdrücklichen Wunsch hat er ihn entbunden von diesen Missbrauchsgeschichten, die bereits unter Ratzinger beim Glaubenspräfekt, also heute beim Dikasterium für die Glaubenslehre angesiedelt sind. Franziskus hat das einem – ich habe es im Buch drin, weiß den Namen jetzt gerade nicht mehr – einem amerikanischen Geistlichen übergeben, der nicht mal Bischof ist. Wenn jemand nicht Bischof ist an der Kurie, dann gehört da vielleicht schon fast ein bisschen zu den Subalternen. Und ja, und ich finde das, das ist kein gutes Zeichen. Es fällt ein bisschen Schatten auf Victor Fernández, dem man ja vorgeworfen hat, er hat in zwei, drei Fällen in Südamerika schon als Bischof vertuscht und falsch agiert. Der Papst hätte da ein stärkeres Zeichen setzen müssen, wie Sie sagen, Missbrauch ist Chefsache.

Sandra Leis [:

Insbesondere weil die Kirche so hierarchisch aufgebaut ist, muss es da ja auch eine repräsentative Figur geben, die das Fäden in den Händen hält und die man kennt.

Michael Meier [:

So ist es. Und es war ja auch so, dass der Papst schon 2015 einen eigenen Missbrauchsgerichtshof für Bischöfe einrichten will, weil die Bischöfe sind ja das Einfallstor nicht unbedingt für den Missbrauch, aber für die Vertuschung. Das ist ganz wesentlich. Das sieht man ja auch heute bei uns, bei uns in der Schweiz, dass die Bischöfe verantwortlich sind. Und ich glaube, dass Franziskus das schon machen wollte diesen Gerichtshof. Aber dass man gesehen hat, das würde die Kirche ganz erheblich schwächen, weil so viele Bischöfe einfach wie das früher Usus war, ihre fehlbaren Priester geschont haben oder versetzt haben oder einfach es hatte keine Konsequenzen.

Sandra Leis [:

Noch kurz zum Stichwort Pflichtzölibat: Da schreiben Sie an mehreren Stellen im Buch, dieses Pflichtzölibat sei ursächlich auch verantwortlich für den Missbrauch. Das seien eben diese Strukturen, die geändert werden müssten. Jetzt ist aber kürzlich die Studie in Deutschland herausgekommen zu den Missbräuchen in der evangelischen Kirche. Und da sieht es leider auch nicht besser aus. Müssen Sie da, Michael Meier, Ihr Urteil revidieren und sagen, offenbar ist der Pflichtzölibat doch nicht die Ursache der Krise?

Michael Meier [:

Ich muss sagen, ich habe es nicht ganz so gesagt. Ich habe die Leute zitiert, den Papst oder den französischen Bericht oder, oder auch Hans Zöllner von der Kinder-Missbrauchskommission, die alle sagten, es gibt da keinen Zusammenhang. Für mich ist es nicht unbedingt ursächlich, sondern der Zölibat ist in dem Sinn mitschuldig, weil er zieht Leute an, nicht nur natürlich, aber er zieht immer wieder Leute an, die Probleme haben mit ihrer Sexualität, die sie verdrängen, nicht auf Augenhöhe mit der Umwelt leben können und so. Das, so denke ich, ist jetzt schon auch verantwortlich. Aber das ist klar mit den evangelischen Missbräuchen. Es geht wahrscheinlich schon auch um ein Amtsverständnis, das der Papst in der katholischen Kirche Klerikalismus nennt. Diese Überhöhung des Amtes oder das man durch das Amt eigentlich solche Autorität hat, dass man vielleicht Leute missbrauchen kann und darauf zählen kann, dass das dann auch nicht geahndet wird.

Sandra Leis [:

Das ist keine Strafe gibt.

Michael Meier [:

Genau.

Sandra Leis [:

Sie befassen sich seit vielen Jahren mit der römisch-katholischen Kirche und müssen feststellen und machen das auch im Buch, dass die heißen Eisen immer dieselben sind, dass der Pflichtzölibat, die Gleichberechtigung der Frauen, das ist ein ewiges Thema, und die Dezentralisierung, auf die auch viele Hoffnung gesetzt haben. Diesbezüglich ändert sich unter Papst Franziskus gar nichts. Heißt das in Ihren Augen, dass die römisch-katholische Kirche eigentlich nicht reformierbar ist?

Michael Meier [:

Ja, in ihrer Substanz ist sie nicht reformierbar. Was Sie vorher sagten, die sind ja meistens diese fünf Postulate von Reformbewegung, «Wir sind Kirche» hat die auch formuliert. Das nannte dann Kardinal Ratzinger also den «Kanon der Kritik». Das bleibt, und das bleibt bis heute. Und das sind auch die Alleinstellungsmerkmale. Der Zölibat ist ja kein Dogma, er ist eine disziplinarische Verfügung. Und trotzdem ist er ein Alleinstellungsmerkmal und demnach ganz wesentlich, dass die Frau keinen Zugang zu den Ämtern hat, keinen Zugang zur Weihe hat. Deshalb ist klar: Wenn Franziskus das ändern würde – er könnte es –, dann käme es, glaube ich, zu einer Kirchenspaltung.

Sandra Leis [:

Also ein Schisma?

Michael Meier [:

Ja, genau. Ich denke, die Reformgruppen sollten sich auch mal überlegen: Können sie einfach immer so weiterfahren und das postulieren? Das nützt nichts. Man es sieht ja jetzt auch in diesem synodalen Prozess, das wird nicht. Das wird nicht ausdiskutiert werden. Und wenn schon, denke ich auch, wir müssen einfach zum zivilen Ungehorsam übergehen und selber machen. Frauen sollen Messe feiern, oder.

Sandra Leis [:

Das geschieht ja teilweise.

Michael Meier [:

Das geschieht schon, aber es sind dann einzelne mutige Frauen. Aber nein, die Kirche in ihrer Substanz ist nicht reformierbar, denke ich.

Sandra Leis [:

Das ist Ihre Meinung.

Michael Meier [:

Ja, aber das war nicht immer meine Meinung, muss ich sagen. Ich habe mich jetzt fast 35 Jahre lang intensiv damit befasst und das ist immer das Gleiche. Es gibt so keinen Fortschritt oder irgendwie etwas, das mich hoffen ließe, dass es sich ändern könnte. Das gibt es einfach nicht.

Sandra Leis [:

Es gab ja auch viele Menschen, die Reformen wollten und die sich sehr gefreut haben, als Papst Franziskus auch Bischöfe aus der Peripherie, so nennen Sie das, aus der Peripherie berufen hat. Sie schreiben aber, Reformen, die seien nie aus der Peripherie gekommen, das sei gar nicht möglich. Ist das nicht ein zu eurozentrischer Blick, Michael Meier?

Michael Meier [:

Also ich schreibe vor allem, dass die Reformen nicht aus der Diaspora kommen. Zum Beispiel ein Kardinal in Burma oder in Osaka – in der katholischen Diaspora hält man eigentlich zu dem, was immer gegolten hat. Mit Peripherie meine ich den globalen Süden.

Und die finden diese Reformbemühungen oder Bestrebungen zweitrangig. Sie sagen: ‹Wir haben andere Probleme.›» Zu Recht.

Sandra Leis [:

Also vor allem die Armut.

Michael Meier [:

Ja, die Armut. Die meisten dieser Kardinäle, die Franziskus ernannt hat, sind engagiert in sozialen Fragen und in nationalen Konflikten in Uganda und vielen anderen afrikanischen Staaten. Das ist eigentlich schon ein gutes Zeichen. Doch man darf sich fragen, ob der frühere Bischof der Diözese, zu der auch Lampedusa gehört, wirklich befähigt ist, Kardinal zu sein. Das weiss ich nicht. Klar ist, die Ernennungen von Franziskus sind sehr symbolische Ernennungen. Und das andere ist: Man freut sich auch aus westlicher Perspektive, wenn man sagen kann, die Kirche ist weniger eurozentrisch. Und es wäre toll, wenn mal ein Afrikaner Papst würde – aber Gott bewahre. Punkto Reformen würde sich dann gar nichts ändern.

Sandra Leis [:

Und es könnte ja gut sein, dass der Nachfolger von Papst Franziskus ein Mann aus dem globalen Süden ist, weil er ja viele berufen hat. Was würde das für Europa bedeuten?

Michael Meier [:

Was mich überrascht hat bei Franziskus: Wie europaskeptisch er ist, wie antiwestlich gerade im Ukrainekonflikt. Er schert aus dem westlichen Bündnis gegen Russland aus. Das ist das eine. Und: Er wertet Europa immer ab. Er sagt, Europa sei dabei, die Seele zu verlieren. Die EU sei in einer Lethargie. Das hat er auch gesagt in einem ziemlich schlimmen Papier von 2016, das er zusammen mit Patriarch Kirill verfasst hat. Beide haben zuerst die religiöse Renaissance im postsowjetischen Russland gelobt, um dann zu sagen, wie schlimm es in säkularen Ländern ist. Damit ist Europa gemeint. Und ich denke, wenn man sagt, Europa oder die EU haben keine Seele, dann muss ich sagen: Das stimmt einfach nicht. Es gibt einen Wertekanon: Menschenwürde, Demokratie, Gleichstellung. Klar sind zum Teil Werte darunter, mit denen der Papst fremdelt. Aber das sind Werte, die für mich jetzt nicht einfach sekundär oder marginal sind, sondern die eine Seele eines solchen Staatenbundes ausmachen können.

Sandra Leis [:

Sie haben vorhin auch den Ukrainekrieg erwähnt und haben gesagt, dass er mit Kirill zusammenspannt. Was ja auch bezeichnend ist: Papst Franziskus ist noch nie nach Kiew gereist, zum Beispiel.

Michael Meier [:

Ja, das ist bezeichnend. Ich finde, er geht im Ukraine-Krieg immer von einer Symmetrie aus und von zwei Streithähnen. Er will auch den Aggressor nicht nennen. Und ich meine, Russland ist eine Diktatur, das muss man sagen. (Ich kann es deshalb auch nicht verstehen, weil all die Reisen, die Papst Franziskus gemacht hat, sind anwaltschaftliche Reisen. Zum Beispiel nach Lesbos für die Flüchtlinge oder nach Zentralafrika für die Kriegsversehrten oder nach Kanada für die missbrauchten indigenen Kinder. Warum kann er nicht nach Kiew gehen? Das verstehe ich wirklich nicht. Das ist für mich – und das sagen auch andere wie beispielsweise der Kirchenhistoriker Hubert Wolf – ein radikaler, billiger Pazifismus. Dieser Pazifismus vergisst, dass die Kirche sich die Lehre des gerechten Krieges zu eigen gemacht hat, wonach sich der angegriffene Staat verteidigen darf. Dieses Selbstverteidigungsrecht der Ukraine hat der Papst leider nicht explizit in die Waagschale geworfen.

Sandra Leis [:

Auch im Nahostkonflikt ist er uneindeutig. Auch da benennt er Ross und Reiter ja nicht. Also es ist schon ein bisschen seine Taktik oder seine Strategie, für Frieden zu plädieren. Sie sprechen von einem billigen Frieden.

Michael Meier [:

Es ist ein billiger Friede. Und was hinzukommt: Er hat auf die falschen Geistlichen oder wie er sie nennt, Staatskleriker, gesetzt. Mit zwei Staatsklerikern hat er Erklärungen gemacht; 2016 mit dem Moskauer Patriarch Kirill und 2019 in Kairo mit Ahmed al-Tayyib, der obersten sunnitischen Führungsfigur von der al-Azhar. Die beiden haben eune Erklärung zur Geschwisterlichkeit unterzeichnet, was dann auch sehr gefeiert wurde, und sich gegen Terrorismus ausgesprochen. Al-Tayyib hat hat sich auch gegen den IS gewandt usw. Doch jetzt steht er auf der Seite der Hamas, das muss man sagen. Er ist sehr israelfeindlich, er ist antisemitisch. Er nennt jetzt die Israeli grausame Kindermörder. Das ist ein altes antisemitisches Stereotyp, und er trifft sich mit Hamas-Leuten und findet, ähnlich wie das auch Erdogan sagt, Hamas ist eine Verteidigungsorganisation, nicht eine terroristische Organisation.

Sandra Leis [:

Aber das sagt der Papst ja nicht.

Michael Meier [:

Das sagt er nicht. Aber er paktiert mit diesen Leuten. Es sind Staatskleriker, es sind Leute aus autoritären Regimen. Ich hätte gern gehabt, er würde jetzt mal eine ganz ausführliche Erklärung verabschieden mit Kirche der Reformation, die demokratisch strukturiert sind und in Demokratien wirken. Und auch im Westen eher.

Sandra Leis [:

Also in der Ökumene geht ja auch nichts vorwärts. Da muss man schon sagen.

Michael Meier [:

Ja. Ich meine eben, das sind jetzt auch wieder ein paar Jahre her, als eine Frau in Rom ihn fragte, eine evangelische Frau, wann kann ich mit meinem katholischen Gatten zur Eucharistie gehen? Dann hat er gesagt, also sinngemäß: Folgt eurem Gewissen. Als aber die deutschen Bischöfe 2017 ernst machen wollten beim großen Reformationsjubiläum und Gastfreundschaft gewähren wollten, da ist Rom massiv eingeschritten.

Sandra Leis [:

Und hat gesagt: Das geht nicht, das geht nicht.

Michael Meier [:

Das finde ich enttäuschend.

Sandra Leis [:

Eine Frage, die Sie auch im Buch kurz streifen. Und die geht auch mir ehrlich gesagt immer wieder durch den Kopf. Wieso wechseln gläubige Katholikinnen und Katholiken, die Reformen möchten, wieso wechseln die nicht zu den Christkatholiken?

Michael Meier [:

Das ist eine sehr alte Frage. Die habe ich mir früher schon gestellt zu Zeiten von Bischof Haas, zu Zeiten von Bischof Vitus Huonder. Warum wechseln sie nicht einfach? Ich glaube, ich habe für mich eine schlüssige Antwort gefunden: Die Christkatholiken sind so marginal, die sind nicht universal. In Deutschland gibt es sie noch, allerdings unter anderem Namen. Ich glaube, das Bedürfnis der Gläubigen ist es, einer universalen Kirche anzugehören mit einem Haupt, wo man sich verbunden fühlt durch die Liturgie, durch die Lehre, durch Brauchtum usw. Und dazu möchte man eine Lichtgestalt an der Spitze als oberster Hierarch, so wie man das von Papst Franziskus einmal geglaubt hat. Da möchte man dazugehören und nicht zu einer kleinen, unbedeutenden Kirche, denke ich.

Sandra Leis [:

Michael Meier zum Schluss: Was wird von Papst Franziskus bleiben? Was geht in die Geschichte ein?

Michael Meier [:

Ja, also ich denke nicht allzu viel. Auch von all diesen Sachen, also diesen angeblichen Reformschritten. Da wird nichts bleiben. Wie gesagt, die Lehrschreiben werden maßgebend sein, nicht das, was er im Flugzeug gesagt hat. Was bleiben wird, vielleicht doch, dass er der Kirche ein südlicher das Gesicht gibt. Ich glaube schon, diese Globalisierung der Kirche, das das wird Konsequenzen haben. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass auch der nächste Papst aus dem Süden kommt.

Sandra Leis [:

Gibt er der Kirche auch ein menschlicheres, vielleicht auch ein barmherzigeres Gesicht?

Michael Meier [:

Das schon. Aber ob das, ob das bleiben wird? Gleichzeitig hat er die Leute sehr verunsichert mit vielen Sachen. Und dann, ob vielleicht nicht der nächste Papst sagen wird: Zurück zu den zu den alten Eindeutigkeiten. Wir wollen wieder Ordnung und Disziplin haben. Vielleicht nicht gerade so wie Ratzinger, aber einer aus dem Süden. Der sagt: All diese Fragen sind nicht so wichtig. Wir halten uns an das, was immer gegolten hat.

Sandra Leis [:

Das wird die Zukunft zeigen.

Michael Meier [:

Allerdings.

Sandra Leis [:

Vielen Dank, Michael Meier, für dieses Gespräch und auch, dass Sie bereit sind, wichtige heiße Themen zu diskutieren, auch zu diskutieren.

Das war die 23. Folge des Podcasts «Laut und Leis». Zu Gast war der Theologe und Publizist Michael Meier mit seinem Buch «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist». Erschienen ist das Buch im Herder-Verlag.

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In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich mit dem bekannten deutschen Fernsehmoderator, Musiker und Autor Reinhold Beckmann. Zurzeit ist er mit seinem jüngsten Buch in Deutschland auf Lesereise und füllt große Säle auch in der Provinz. Im Bestseller «Aenne und ihre Brüder» erzählt Beckmann die Geschichte seiner Mutter. Sie hat als Mädchen im Zweiten Weltkrieg ihre vier Brüder verloren und ist trotzdem tief verwurzelt geblieben im katholischen Glauben. Bis in zwei Wochen, und bleibt laut und manchmal auch leise.

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