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Mentari Baumann: «Der päpstliche Segen für alle reproduziert, was falsch und was richtig ist»
Episode 182nd February 2024 • Laut + Leis • kath.ch
00:00:00 00:29:45

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Shownotes

Es war eine Überraschung, mit der niemand gerechnet hat: Der Vatikan erlaubt jetzt die Segnung von wiederverheirateten Geschiedenen, von Menschen, die im Konkubinat leben, und von gleichgeschlechtlichen Paaren. Mentari Baumann (30) ist Geschäftsführerin der Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch» und setzt sich ein für Gleichberechtigung in der Kirche.

Die Themen dieser Folge: 

  • Die Bedingungen für den Segen
  • Enttäuschung und Freude über den Segen
  • Weshalb der Segen für Mentari Baumanns Mutter «ein mega wichtiger Entscheid» ist
  • Die römisch-katholische Kirche und ihr ambivalentes Verhältnis zur Homosexualität am Beispiel der Anstellungspraxis in der Schweiz
  • Warum die Bewegung «Out in Church» in Deutschland funktioniert
  • Sinn und Zweck einer queeren Bibel

Transcripts

Mentari Baumann [:

Meine Mutter hat sich sehr gefreut. Für sie, so wie sie aufgewachsen ist, in ihrem Glauben, mit ihrem kulturellen Background, war das ein mega wichtiger Schritt. Weil sie kann nun sagen: «Hey, meine Tochter darf jetzt gesegnet werden.» Auch wenn ich sage, hm, ich weiß nicht, ob ich das machen werde oder würde. Aber für sie ist das wichtig – auch in ihrer Identität als Mutter einer lesbischen Tochter. Ähnlich geht es natürlich meinen Verwandten in Indonesien. Denn es ist jetzt für sie auch einfacher, über uns zu sprechen, weil der Papst hat ja gesagt, wir dürften gesegnet werden.

Das macht diesen Entscheid aus dem Vatikan für mich persönlich etwas komplizierter: Die Enttäuschung ist absolut da, aber ich sehe auch die Realität von Menschen, die nicht in der Schweiz leben. So enttäuscht wie wir hier sind, andernorts hilft es dann doch im Gespräch.

Sandra Leis [:

Das sagt Mentari Baumann. Sie ist Geschäftsführerin der Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch» und setzt sich ein für Gleichberechtigung innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Ich bin Sandra Leis, und im Podcast «Laut + Leis» sprechen wir über die Segnungen, die der Vatikan neuerdings erlaubt. Über die nach wie vor ambivalente Haltung der Kirche gegenüber Lesben und Schwulen. Und über Sinn und Zweck einer queeren Bibel. Wer den letzten Podcast bis zum Schluss gehört hat, weiß, dass heute eigentlich Priorin Irina Gassmann vom Kloster Fahr mein Gast wäre. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie absagen und wird zu einem späteren Zeitpunkt hier zu hören sein. Doch nun zurück zu dir, Mentari Baumann. Wir sind hier bei dir zu Hause im bernischen Zollikofen, sitzen in deiner großräumigen Küche, und ich möchte dich ganz herzlich begrüßen und freue mich, dass wir hier sein können für dieses Gespräch.

Mentari Baumann [:

Danke für die Einladung.

Sandra Leis [:

Blenden wir kurz zurück: Vor Weihnachten am 18. Dezember hat der Vatikan zur allgemeinen Überraschung ein Schreiben publiziert und erlaubt jetzt die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren, von wiederverheirateten Geschiedenen und von Menschen, die im Konkubinat zusammenleben. Was war deine erste Reaktion, als du gehört hast: Diese Segnungen sind jetzt möglich.

Mentari Baumann [:

Positiv überrascht. Meine erste Information darüber war natürlich eine Schlagzeile. Deshalb alles noch sehr plakativ und ich dachte: «Wow, cool, wirklich?»

Sandra Leis [:

Du hast also ein bisschen gestaunt. Und wenn man sich dann den Text anschaut, dann merkt man, dass der Vatikan immer von Paaren in sogenannten «irregulären Situationen» spricht. Wie kommt diese Formulierung bei dir an?

Mentari Baumann [:

Also diese positive Überraschung, die ich zuerst hatte, die ist dann verflogen, als ich das ganze Dokument gelesen habe, weil es hört sich nach einer Öffnung an, aber wenn man dann liest und über Menschen liest in irregulären Situationen, dann sind wir wieder in einer Sprache drin, die Menschen und ihre Situationen entwürdigt und nicht als gleichberechtigt anschaut. Das schafft eine Zweiklassengesellschaft: Die, die regulär sind und es richtig machen, und die, die eben irregulär sind, die es halt falsch machen.

Sandra Leis [:

Und gleichwohl ist es ein Schritt Richtung Öffnung, weil noch 2021 hat es explizit geheißen, das ist überhaupt nicht möglich.

Mentari Baumann [:

Genau.

Sandra Leis [:

Und was glaube ich ganz klar heraus kommt, jetzt aus Sicht des Vatikans: Segnung darf nicht mit dem Sakrament der Ehe verwechselt werden. Also der Segen darf nicht im Gottesdienst stattfinden, er darf nicht vor dem Altar gegeben werden. Kein Ringtausch, keine Hochzeitskleidung, und auch die Priester sollen kein liturgisches Gewand tragen. Das kann ich alles ein Stück weit nachvollziehen, aber gestutzt habe ich dann doch, als es hieß, man darf den Segen nur erhalten, wenn man die sexuelle Orientierung nicht auslebt. Also das klingt in meinen Ohren völlig weltfremd. Wie ist es dir ergangen? Oder den Menschen, die du kennst?

Mentari Baumann [:

Genau gleich. Also wenn ich jetzt sage, von den Menschen, die ich kenne, spreche ich jetzt von meiner Gruppe, von der eigenen.

Sandra Leis [:

Community.

Mentari Baumann [:

Aber auch grundsätzlich von der «Allianz Gleichwürdig Katholisch», wo ja nicht nur queere Menschen dabei sind, also gar nicht nur. Mehrheitlich sind es nicht queere Menschen.

Sandra Leis [:

Also auch Menschen, die im Konkubinat leben, zum Beispiel.

Mentari Baumann [:

Oder auch wiederverheiratete Geschiedene. Also wirklich, es spielt keine Rolle und es reproduziert wieder gewisse Bilder, es reproduziert, was falsch und was richtig ist. Und das macht es dann halt auch sehr kompliziert, weil auf der einen Seite ist schon die Freude da, jetzt auch bei uns, bei den Menschen, die sich für Veränderungen einsetzen. Wir sehen: «Hey, offenbar sind Veränderungen doch möglich. Offenbar ist es möglich, Schritte zu tun, und das ist ein gutes Zeichen. Aber gleichzeitig ist klar, wir sehen dann diese Sprache. Wie sehen diese Sprache, die nicht übereinstimmt mit dem tatsächlichen Leben von den echten Menschen, die es gibt und die existieren. Und das sind ganz, ganz viele.

Sandra Leis [:

Die auch ihre Sexualität ausleben.

Mentari Baumann [:

Ja, und das ist dann auch noch, das kommt dann noch dazu.

Sandra Leis [:

Also in Westeuropa wurde die Entscheidung weitgehend positiv aufgenommen. Ganz anders aber in Afrika, in Asien oder auch in Osteuropa. Dort heißt es: hier nicht. Glaubst du, das Konzept der zentralistischen Weltkirche ist überholt, und greift jetzt vielleicht die längst geforderte Regionalisierung? Ist das ein Schritt in diese Richtung?

Mentari Baumann [:

Überholt? Ich weiß nicht, ob es jemals wirklich funktioniert hat, weil die Welt war schon immer groß, und jetzt wird es uns vermutlich einfach bewusster, weil alle diese Regionen viel schneller reagieren können, wenn etwas nicht stimmt. Vorher hat man halt gar nichts auf Twitter gepostet, aber trotzdem hat man sich vielleicht anders verhalten oder Dinge nicht gemacht oder etwas nicht in Ordnung gefunden. Ich finde, wir können auch keine Gleichzeitigkeit erwarten, auch wenn ich es falsch finde. Und ich finde es auch tragisch für die Menschen vor Ort, die verfolgt werden, zum Teil in Gefahr sind. Für sie ist es tragisch, aber trotzdem können wir nicht von hier aus erwarten, dass alle genau gleich sind.

Sandra Leis [:

Du selbst hast eine katholische Mutter und einen protestantischen Vater. Die Mutter stammt aus Indonesien, der Vater aus Bern. Darf ich fragen, wie hat deine katholische Verwandtschaft in Indonesien reagiert, als sie gewusst hat, dass du eine Frau heiratest?

Mentari Baumann [:

Ähm, schwierig. Meine Beziehung ist nicht das, was sie sich gewünscht haben. Es ist nicht das, was akzeptiert ist. Homosexualität ist in Indonesien nicht akzeptiert, auch nicht legal. Es waren lange und schwierige Diskussionen. Es hat sehr lange gedauert, bis wir an diesen Punkt gelangt sind, wo wir jetzt sind. Es ist nicht die ideale Situation. Es gibt immer noch Familienmitglieder, die wissen ri4 Wahrheit. Die wissen, dass wir verheiratet sind. Aber wenn sie mit uns sprechen, dann nehmen sie meine Frau auf und denken: «Ach, die gehören einfach zusammen. Irgendwie. Die schauen jetzt zueinander.» Aber wir benennen nicht, wieso und warum und wie das jetzt genau aussieht, sondern das ist jetzt einfach so.

Sandra Leis [:

Und hast du jetzt Reaktionen bekommen aus Indonesien auf diesen Entscheid des Vatikans, diese Segnungen zu tolerieren?

Mentari Baumann [:

Absolut. Meine Mutter hat sich sehr gefreut und dann habe ich ein wenig zu erklären begommen, was jetzt alles genau in diesem Papier gestanden ist. Im Sinne von «Ja, so toll ist es dann auch wieder nicht». Aber für sie, so wie sie aufgewachsen ist, in ihrem Glauben, mit ihrem kulturellen Background, war das ein mega wichtiger Schritt. Weil sie kann nun sagen: «Hey, meine Tochter darf jetzt gesegnet werden.» Auch wenn ich sage, hm, ich weiß nicht, ob ich das machen werde oder würde. Aber für sie ist das wichtig – auch in ihrer Identität als Mutter einer lesbischen Tochter. Ähnlich geht es natürlich meinen Verwandten in Indonesien. Denn es ist jetzt für sie auch einfacher, über uns zu sprechen, weil der Papst hat ja gesagt, wir dürften gesegnet werden.

Das macht diesen Entscheid aus dem Vatikan für mich persönlich etwas komplizierter: Die Enttäuschung ist absolut da, aber ich sehe auch die Realität von Menschen, die nicht in der Schweiz leben. So enttäuscht wie wir hier sind, andernorts hilft es dann doch im Gespräch.

Sandra Leis [:

Kommen wir zurück zur Schweiz. Hier ändert sich eigentlich nicht sehr viel, weil Segnungen von gleichgeschlechtlichen und nicht verheirateten Paaren sind Realität in der Schweiz. Und es gibt ja verschiedene Formen von Gottesdienst. Die römisch-katholische Kirche meint mit Gottesdienst die Eucharistie. Aber in der Schweiz hat man ja schon andere Wege gefunden. Heisst das, dass sich hier kaum etwas ändert?

Mentari Baumann [:

In der Realität, in der Praxis ist das nichts Neues. Vielleicht wird es dazu führen, dass die Seelsorgenden und die Pfarreien offener damit umgehen und offensiver sind. Anbieten ist ein schwieriges Wort, denn es geht hier ja nicht per se um ein Produkt. Doch vielleicht wird nun besser kommuniziert, dass der Segen jetzt eine Option ist. Wir als «Allianz Gleichwürdig Katholisch» sind dabei, eine Liste zusammenzustellen, die dann auch wachsen sollte in Zukunft, von Pfarreien und Seelsorgenden, die zur Verfügung stehen für solche kreativen Segnungen und Feiern. Nicht weil wir sagen, das sind die Guten, sondern das ist ein Angebot für diejenigen Menschen, die das wollen und nun wissen, hier kann ich mich hinwenden, ohne dass ich mir Sorgen machen muss, ob ich da jetzt eine doofe Reaktion bekomme oder ob ich da abgewimmelt werde. Sie wissen, die Leute auf dieser Liste sind sicher. Da kann ich mich melden und nachfragen, ob das vielleicht für uns passend wäre.

Sandra Leis [:

Nach wie vor hat die römisch-katholische Kirche auch in der Schweiz ein höchst ambivalentes Verhältnis zu queeren Menschen. Ein schönes Beispiel ist da das Bistum Basel. Es hat 2017, also schon vor ein paar Jahren, den sogenannten Arbeitskreis «Regenpastoral» gegründet und hat explizit zur Seelsorge aufgerufen für «Lesben, Schwule», ich zitiere das jetzt, «Bisexuelle, Transpersonen und intersexuelle Menschen». Also so wurde das formuliert 2017. Da gab es viel Lob, und einen Monat später hat das gleiche Bistum einem eigenen Theologen gegenüber die Missio, also die Beauftragung, nicht gegeben, weil er in einer eingetragenen Partnerschaft gelebt hat. Was sagst du zu so einer Entscheidung innerhalb eines Monats. Man will seelsorgerisch tätig sein, aber beim eigenen Personal ist diese Toleranz dann nicht vorhanden.

Mentari Baumann [:

Es zeigt einfach wie, wie verzahnt und auch wie intransparent diese verschiedenen Vorgänge in den Pfarreien sind. Erst einmal ist es ja sowieso in jedem Bistum irgendwie anders. Vielleicht erinnerst du dich? Im Herbst hat die RKZ verschiedene Forderungen formuliert. Eine davon ist, dass das partnerschaftliche Leben privat ist. Also mit wem bin ich in einer Beziehung? Bin ich überhaupt der Beziehung, verheiratet oder nicht? Dass das privat ist, dass das in der Anstellung, im Anstellungsverhältnis keine Rolle spielen sollte, da ist die Diskussion hochgekocht bei uns in der Allianz. Und da sind Erzählungen, Geschichten, Erfahrungen hochgekommen, die genau in diese Richtung gehen, in diese Geschichte, die du vorhin erzählt hast, dass Menschen in Einstellungsverfahren nicht berücksichtigt wurden. Zum Teil wurde ihnen auch nahegelegt: «Hey, wir möchten dich sehr gerne, aber du musst das dann vielleicht doch ein wenig diskret behandeln.» Oder Leute, die seit Jahren immer noch nichts zu ihren Beziehungen oder so gesagt haben, und von denen gibt es sehr viele. Und hier ganz, ganz wichtig zu sagen ist: Das betrifft nicht nur Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, sondern wenn ich jetzt wieder das Wort vom Anfang brauche, diese irregulären Situationen. Nicht, dass ich das aus irregulär ansehen würde, aber alle Menschen außer Menschen, die nicht verheiratet sind und zusammenleben, auch wenn es ein heterosexuelles Paar ist, geschieden und wieder verheiratet. Alle diese Situationen, die jetzt nicht entweder verheiratet oder Single und abstinent sind, werden hinterfragt. Zum Teil einfach so nebenbei, zum Teil aber auch sehr auf eine Art und Weise, die entwürdigend ist. Es geht wirklich nicht nur um diese queeren Menschen. Das Privatleben von kirchlichen Angestellten ist ja Thema und Politikum in der Anstellung, und das führt zu schwierigen Erfahrungen.

Sandra Leis [:

In Deutschland ist man da schon einen deutlichen Schritt weiter. Es gab vor zwei Jahren diese große Bewegung «Out in Church». Da haben viele Menschen, die für die Kirche arbeiten oder auch ehrenamtlich tätig sind, sind öffentlich zu ihrem Queersein gestanden. In der Schweiz hat diese Bewegung nicht im selben Mass greifen können bis jetzt. Woran liegt das? Wäre Deutschland ein Vorbild gewesen?

Mentari Baumann [:

Die Ausgangslage ist ganz anders als in Deutschland. Natürlich haben dort auch Freiwillige mitgemacht, aber im Kern ging es um Menschen im Anstellungsverhältnis. In Deutschland haben sie ein katholisches Arbeitsrecht. Das betrifft neben den Pfarreien und auch katholische Institutionen.

Sandra Leis [:

Also Kindergärten, Pflegeheime, alles Mögliche.

Mentari Baumann [:

Das heißt, dort sind massiv mehr Leute betroffen. Einerseits, weil Deutschland einfach grösser ist, aber auch, weil viel, viel mehr Stellen betroffen sind. Diese Anzahl Menschen können wir in der Schweiz nicht erreichen. «Out in Church» hat funktioniert wegen der Menge. Also die Menge hat diese Explosivität und auch das Medieninteresse ausgelöst. Diese Menge hat den Schutz herstellen können von diesen einzelnen Menschen, die sich geoutet haben. Und diese Menge hat dann auch den Druck herstellen können, dass sich etwas verändert. Wir haben diese Menge nicht, deshalb können wir auch im Moment diesen Schutz nicht herstellen.

Sandra Leis [:

Das heißt, man müsste immer noch mit einer Kündigung rechnen heutzutage.

Mentari Baumann [:

Ob das dann eintrifft, ist eine andere Frage, Vielleicht ist es auch nur eine Befürchtung und und dann würde es nicht passieren. Es kann ja schon sein, aber es geht um echte Menschen mit echten Anstellungen, die echtes Geld verdienen müssen.

Sandra Leis [:

Also es ist ja bewundernswert, was in Deutschland dann passiert ist. Tatsächlich kam es zu einer Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht. Also heute kann niemand mehr eine Kündigung erhalten wegen der privaten Lebensführung in Deutschland. Und die Schweiz ist noch nicht so weit. Was denkst du, wie lange wird das noch gehen?

Mentari Baumann [:

Auch hier ist es wieder kompliziert, weil es gibt in der Schweiz gibt es nur ein Arbeitsrecht. Also auch wenn man in der Kirche angestellt ist, ist das kein Kündigungsgrund. Rechtlich gesehen ist das kein Kündigungsgrund. Deshalb ist das dann auch nie so offensichtlich. Man sagt nicht, wir kündigen dir, weil du was auch immer bist oder du wirst nicht befördert, weil was auch immer, sondern es ist dann viel subtiler. Deshalb ist es viel mehr als einfach nur eine Veränderung im Recht oder so, sondern es ist mehr eine kulturelle Veränderung. Und dann das Stichwort hier ist dann auch noch das habe ich noch gar nicht gesagt, aber das Stichwort ist dann die Missio canonica, die es für einzelne Stellen braucht. Um die geht es eigentlich.

Sandra Leis [:

Auch im Fall, den ich vorhin erwähnt habe, da hat dieser Theologe die Missio canonica eben nicht bekommen.

Mentari Baumann [:

Dort geht es eben um diese Missio. Dort ist das drin, dass man sich entsprechend verhalten muss, vorbildlich, wie auch immer. Und das macht es eben dann wirklich subtil. Deshalb müssen wir vermutlich mehr von einem Kulturwandel sprechen auf der einen Seite und auf der anderen Seite ja, wie diese Missio vergeben wird. Und das ist dann noch nicht Teil vom schweizerischen Arbeitsrecht, weil das sind zwei separate Dinge.

Sandra Leis [:

Gleichwohl könnte die Schweizerische Bischofskonferenz da vorwärts machen und sich dafür engagieren. Legt «Allianz Gleichwertig Katholisch» sich dafür ins Zeug?

Mentari Baumann [:

Ja, wir haben jetzt aufgrund von den Diskussionen, die wir im Herbst hatten, genau deshalb haben wir jetzt eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich damit beschäftigt. Darin sind auch Menschen, die tatsächlich betroffen sind, weil ich bin es ja nicht. Ich bin nicht in der Kirche angestellt und wir sind jetzt im Moment daran, einfach mal Geschichten zu sammeln, damit wir so eine Art Grundlage haben, damit wir sagen können: «Ja, wir wissen von so vielen Geschichten, und die sind so subtil oder so offensichtlich. Alle sind anders, aber der rote Faden ist, dass das Privatleben eben nicht privat ist.»

Sandra Leis [:

Und wie geht es dann weiter, wenn ihr diese Geschichten notiert habt?

Mentari Baumann [:

Es geht darum, den Druck aufzubauen, den Dialog aufzubauen mit den Bistümern. Die Bistümer haben ja auch eine gewisse Macht, selber Veränderungen zu tun.

Sandra Leis [:

Natürlich.

Mentari Baumann [:

Es heißt ja nicht, ob wir das wollen, wir von der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» sind schweizweit unterwegs. So wiederholt sich dann Fokus auf irgendein spezielles Bistum, sondern Wunschszenario ist natürlich schon wirklich die ganze Schweiz, aber da muss man dann auch realistisch sein, wenn wir sehen können, dass wir mit einem Bistum vielleicht eher etwas erreichen können. Aber das wird sich dann in diesem Jahr noch ergeben.

Sandra Leis [:

Ein anderes Anliegen, das du verfolgst, das ist die queere Bibel. Du bist zwar keine Theologin, arbeitest aber mit einem Theologen zusammen, nämlich mit dem Luzerner Theologen und Seelsorger Meinrad Furrer. Wie sieht die queere Bibel aus? Wohin soll sie sich entwickeln, und was wollt ihr mit ihr bezwecken?

Mentari Baumann [:

Das ist so ein Hobbyprojekt gewesen von Meinrad und mir. Also wirklich so wir zwei als Privatleute eigentlich.

Sandra Leis [:

Es gab ein rechtes Echo.

Mentari Baumann [:

Ja, im Nachhinein war das etwas naiv, aber wir waren schon ein bisschen überrascht. Wir wissen von so vielen Geschichten, von so vielen guten Predigten, Wieder-Erzählungen und Bibelgeschichten mit einer queeren Linse, die wir so schön finden. Und dann haben wir einfach diese Leute mal gefragt: Dürfen wir eure Geschichten sammeln? Dürfen wir die in so eine Art queere Bibel reintun? Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht genau, wie wir das machen werden. Die haben dann gesagt Ja sicher, nehmt all unser Zeug. Also wirklich unser Netzwerk aus der Schweiz und Deutschland.

Sandra Leis [:

Ein Beispiel bitte.

Mentari Baumann [:

Zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte. Sie ist die erste, die wir in der Bibel haben. Diese Breite von der Schöpfungsgeschichte zu zeigen, dass wir leben. Es werden nie zwei gegensätzliche Pole erschaffen, sondern immer Land und Wasser und alles, was dazwischen ist. Das gibt es Flüsse und Inseln. Und das mündet dann darin, dass halt auch Mann und Frau geschaffen werden, aber eben aus männlich und weiblich und auch da wieder mit allem, was dazwischen ist und nicht einfach diese zwei gegensätzlichen Pole. Und wir haben das so dargestellt, dass wir nichts überschreiben haben. Also es ist so ein halb transparentes Papier aufgedruckt, das wir dann an der entsprechenden Stelle in die Bibel reingeklebt haben, dass man das blättern kann, aber dass man die darunterliegende, also jetzt in diesem Fall Genesis sieht, wie es wirklich ist. Sie ist zu unter dem Papier von der neuen Erzählung. Aber auch wenn man blättert, kann man das dann auch noch richtig lesen. Uns ist wirklich sehr, sehr wichtig, dass wir nicht zensieren oder streichen oder bekleben, sondern hinzufügen: Diese Person, die Autorin, der Autor steht dann auch immer zum Text dazu. Sie hat das so verstanden und sie hat das für uns so hingeschrieben.

Sandra Leis [:

Gibt es in der Bibel eine Figur, die klar lesbisch oder schwul ist?

Mentari Baumann [:

Nein. Also wahrscheinlich sagt jetzt jeder irgendetwas anderes. Aber wir haben jetzt nicht die Intention, Menschen in der Bibel neu zu machen, um zu sagen Hey, diese Person soll jetzt nicht schwul oder lesbisch oder trans oder was immer sein. Vielleicht entsprechen sie nicht diesem klassischen Bild von Maskulinität oder Feminität. Das heißt nicht, dass wir jetzt ihre Identität einfach neu erfinden, weil wir wissen es nicht. Wir haben diese Menschen nicht gekannt.

Sandra Leis [:

Die queere Bibel liefert im Prinzip Ergänzungen, die man annehmen kann oder nicht. Ja, man kann weiterblättern, wenn man will.

Mentari Baumann [:

Ja, man kann auch einfach weiterblättern und die darunterliegende Geschichte einfach lesen. Der Text wie er ursprünglich ist.

Sandra Leis [:

Das Ganze geht weiter. Das ist jetzt Work in progress.

Mentari Baumann [:

Ja, genau. Es ist kein abgeschlossenes Projekt, gar nicht im Moment. Es gibt einfach eine physische Version, die ist in Luzern bei Meinrad in der Peterskapelle, und die kann man dort auch anschauen. Wir sind jetzt dran, diese Texte auch online zu stellen, dass man die lesen kann. Aber es hat natürlich nicht den gleichen Effekt, wie wenn man es in der Bibel liest. Wie wir das breiter zugänglich machen wollen oder können, wissen wir auch noch nicht.

Sandra Leis [:

Das ist noch Zukunft.

Mentari Baumann [:

Ja, genau.

Sandra Leis [:

Vor noch nicht allzu langer Zeit warst du auch Präsidentin der Pride in Zürich. Das ist jetzt abgeschlossen seit 2022. Was mich da jetzt umgekehrt wundernehmen würde: Wie haben Menschen reagiert, als sie erfahren haben, dass du eine gläubige Katholikin bist und Präsidentin der Pride? Es ist ja auch nicht so das, was man so erwartet.

Mentari Baumann [:

Ja, das stimmt. Es ist nicht das, was man erwartet. Ja, die Leute sind dann schon neugierig oder hinterfragen nicht per se, weil ich jetzt katholisch bin, sondern mehr, weil so viele Menschen verletzt wurden, sei es direkt von der Kirche oder auch indirekt einfach über religiöse Rhetorik. Und dass sie dann auch zu Recht fragen: Hey, uns als Community aus Einzelpersonen wurde über so viele Zeit so wehgetan. Wieso tust du dir das jetzt an? Es ist mehr auf dieser Ebene, dass das Unverständnis da ist. Dass ich katholisch bin, das ist eigentlich egal, sondern wirklich mehr im Sinne von: Du weißt doch, was die mit uns gemacht haben.

Sandra Leis [:

Ja, und du engagierst dich ja noch beruflich als Geschäftsführerin von «Allianz Gleichwürdig Katholisch» für Gleichberechtigung, was ja auch nicht gerade die einfachste Aufgabe ist. Mentari Baumann, woher nimmst du die Energie und die Kraft, da weiter zu kämpfen?

Mentari Baumann [:

Von den Leuten, die es auch tun. Weil ich mache es ja nicht alleine. Aber wenn ich das alleine machen würde, dann wäre diese Energie ja nirgends. Die wäre vielleicht zwei Monate da gewesen und dann verschwunden. Aber mit der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» haben wir eine Gemeinschaft von Einzelpersonen, von Pfarreien, von Organisationen, Netzwerken, Verbänden, die alle auf ihre verschiedene Art und Weise sich für Veränderungen einsetzen. In der katholischen Kirche, sei es als Teil von ihrem Beruf oder als Freiwillige oder als Teil von einem Pfarreirat, von einem Kirchenrat. Und wenn ich so an unseren Treffen sehe: Hey, es gibt so viele coole Projekte, die machen so viel mit so viel Energie und so viel Elan, dass es dann auch Spaß macht.

Sandra Leis [:

Ich muss trotzdem noch mal nachfassen. Also es ist ja schon nicht ganz einfach, die römisch-katholische Kirche zu bewegen. Woher hast du als 30-jährige Frau die Geduld, da mitzumachen?

Mentari Baumann [:

Vermutlich bin ich ein eher ein geduldiger Mensch. Es hat bestimmt auch mit meinem Alter zu tun. Du hast gesagt, ich sei dreissig Jahre jung. Das heisst aber auch: Ich kämpfe nicht schon seit fünfzig Jahren gegen das Gleiche an und erlebe immer wieder Rückschläge. Das ist mir bewusst, diese Leute gibt es, und die sind immer noch da und arbeiten mit soviel Energie. Ich bewundere das enorm. Aber ich bin dreissig und mache das jetzt noch nicht sehr lange. Ich führe jetzt noch nicht seit dreissig Jahren die genau gleichen Gespräche, formuliere die genau gleichen Forderungen und erhalte die genau gleichen Antworten. Vielleicht führen wir ein anderes Gespräch in zehn Jahren, wer weiss. Aber ich glaube: Ich bin eben noch dreissig – vermutlich deshalb.

Sandra Leis [:

Könnte es auch etwas mit deinem Namen bedeuten. Weil ich habe gelernt, dass Mentari auf Indonesisch Sonne heißt und du dich da nicht so schnell verschatten lässt.

Mentari Baumann [:

Vermutlich. In Indonesien gibt man den Kindern nicht einfach einen Namen, weil es schön ist, sondern der Name ist immer auch ein Wunsch oder eine Hoffnung, den man dem Kind mitgibt. Also meine Eltern haben nicht einfach Mentari ausgewählt, weil sie das schön gefunden haben, sondern weil sie sich gewünscht haben, dass ich etwas von dieser Sonne habe und vermutlich hat es irgendwie geklappt.

Sandra Leis [:

Vielen Dank Mentari Baumann für deine offenen Worte und deinen Elan, den du da reinsteckst in deine Arbeit. Das war die 18. Folge des Podcasts. «Laut + Leis». Zu Gast war Mentari Baumann. Sie ist Geschäftsführerin von «Allianz Gleichwürdig Katholisch» und setzt sich ein für Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche. Und wenn ihr, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, uns Feedback geben wollt, bitte per Mail an podcast@kath.ch oder per WhatsApp auf die Nummer 078 251 67 83. Und damit ihr immer auf dem Laufenden seid, abonniert gerne den Podcast. In der nächsten Folge von «Laut + Leis» spreche ich zum Auftakt der Fastenzeit mit Bernd Nilles von der Fastenaktion Schweiz. «Weniger ist mehr» – so heißt das Motto der ökumenischen Kampagne. Ob weniger tatsächlich mehr ist und was das für uns im satten Westen bedeuten könnte, das ist Thema im nächsten Podcast. Bis in zwei Wochen – und bleibt laut und manchmal auch leise.

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